»Ich arbeite bei der Schwarzwald-Presse, in der Lokalredaktion.«
»Oh, ein Journalist!«, ruft Hanno.
»Genau.«
»Habe ich dann schon einmal was von dir gelesen?«
»Wenn du die Schwarzwald-Presse liest: Anzunehmen.«
»Was hast du denn in letzter Zeit so geschrieben?«
»Ähm, in der heutigen Ausgabe den Artikel über Borkenkäfer. Gestern war da etwas Größeres über die Kastration von Katzen.«
»Brrr, scheußliches Thema«, befindet Hanno.
»Aber wichtig.«
»Sicher, sicher«, meint er und nimmt einen großen Schluck von seinem Radler. Dann sieht er wieder zu mir und wir müssen beide lachen.
»Bist du eigentlich neu in der Gegend?«, will Hanno wissen. »Ich hab dich hier noch nie gesehen.«
Das »hier« betont Hanno so stark, dass ich genau weiß, dass er auf eine gewisse Waldlichtung anspielt.
»Ich bin vor drei Jahren hergezogen.«
»Ach, doch schon so lange?«
Ich merke, dass ihm ein paar Fragen zu dem Thema auf der Zunge liegen, und bin heilfroh, dass er sie vor Jana zurückhält. Offenbar gibt es dennoch gewisse Schwingungen zwischen uns.
»Oh!«, ruft Jana nämlich plötzlich und wird knallrot im Gesicht. »Ist das etwa ein Date? Habe ich euer Date gecrasht?!«
»Nein, alles gut«, beruhige ich sie.
»Nun, was nicht ist, kann ja noch werden«, befindet Hanno und zwinkert mir zu.
»Vielleicht«, entgegne ich und schenke Hanno ein Lächeln. Denn inzwischen habe ich das Gefühl, dass ein Date mit Hanno gar keine schlechte Idee wäre.
An den neuen Tagesrhythmus mit Hund habe ich mich noch nicht ganz gewöhnt, aber Sputnik und ich sind auf dem besten Weg uns einzuspielen. Sputnik macht es mir auch denkbar einfach. Zum Beispiel gehört er nicht zu den Hunden, die ihre Menschen zu nachtschlafender Zeit wecken, weil sie meinen, jetzt ganz, ganz dringend einen Spaziergang machen zu müssen. Im Gegenteil: Sputnik schläft einfach weiter, wenn ich aufstehe. Er linst nur mit einem Auge aus seinem Körbchen, dann wälzt er sich auf die andere Seite und pennt weiter. Ich muss zwar früher aufstehen als damals, bevor ich einen Hund hatte, aber ich kann in Ruhe frühstücken und mich fertig machen. Und das ist auch gut so. In den ersten Tagen habe ich versucht, ohne Kaffee intus mit Sputnik seine Morgenrunde zu unternehmen. Das hat nicht funktioniert. Für uns beide nicht. Wir brauchen anscheinend beide meinen Morgenkaffee, um in die Gänge zu kommen. Vielleicht haben wir ja eine so enge symbiotische Beziehung, dass wir uns einen Koffeinkreislauf teilen.
Auch heute funktioniert diese gemeinsame Routine. Tatsächlich finde ich Sputnik, als ich in mein Schlafzimmer gehe, um meine Klamotten zu holen, in meinem Bett vor. Er hat es sich mitten darauf gemütlich gemacht, streckt alle viere von sich und schläft selig. Ich beneide ihn glühend.
Sobald ich mich fertig gemacht habe, beginnt aber auch für Sputnik der Ernst des Tages. Ich wecke ihn, worauf er im ersten Moment ein wenig indigniert reagiert. Als er jedoch bemerkt, dass ich Leine und Geschirr dabeihabe, hüpft er sofort fröhlich auf meinem Bett herum und flitzt dann, so schnell ihn seine dürren Beinchen tragen, zur Wohnungstür.
Wir machen eine kleine Runde und ich finde es lustig, dass ich dabei Menschen treffe, die ich früher nie gesehen habe, die mir jetzt aber ständig begegnen. Zum Beispiel die Besitzerin eines altmodischen Blumenladens, der ein Stück die Straße runter liegt und den ich bisher immer ignoriert habe. Sie ist Sputniks Hässlichkeit schon am ersten Tag erlegen und inzwischen hat sie immer Kekse für ihn parat, die er sich natürlich freudig abholt. Oder die anderen Hundemenschen, die einen ähnlichen Spazierrhythmus haben wie ich. Der Typ, der aussieht wie seine Bulldogge. Die Frau mit dem hysterischen Yorkshire Terrier. Der hübsche, aber viel zu junge Kerl mit dem Golden Retriever. Man grüßt sich und geht weiter.
Echter Sozialkontakt ist das noch nicht, aber gerade nach gestern habe ich das Gefühl, dass ich, was das angeht, auf einem guten Weg bin. Nicht nur, dass der Hundekurs Spaß gemacht hat, auch das anschließende Plaudern mit Hanno und Jana hat mir gefallen. Sie sind beide wirklich nett und witzig, es ist leicht, sich mit ihnen zu unterhalten. Und wer weiß, vielleicht hat das mit Hanno ja sogar Potenzial, mehr zu werden. Dann hätte ich auf dieser dämlichen Lichtung doch noch irgendwie Nähe gefunden. Das wäre schon eine gute Geschichte.
Zum wiederholten Male ermahne ich mich, mich nicht zu rasch in etwas hineinzusteigern. Gott, nach allem, was ich weiß, steht Hanno auf schnellen, unverbindlichen Sex (und auf meinen Bäcker). Nicht, dass ich etwas gegen Sex habe, aber das allein reicht mir einfach nicht.
Nachdem wir unsere kleine Runde gedreht haben und Sputnik sich davon überzeugen konnte, dass in seinem Revier alles in Ordnung ist, gehen wir noch einmal heim. Sputnik bekommt sein Frühstück, das er hastig verschlingt. Dann packe ich uns beide ins Auto und es geht ab in die Arbeit.
In der Redaktion hat Sputnik längst alle um seine Pfote gewickelt. Kaum sind wir da und kaum habe ich ihn abgeleint, beginnt er seine übliche Begrüßungsrunde. Allen muss er Hallo sagen, von allen seine Streicheleinheiten einheimsen, von manchen auch einen Keks. Zum Glück haben wirklich ausnahmslos alle meine Kollegen – viele sind es ja ohnehin nicht – positiv auf den kleinen Kerl reagiert. Das liegt wahrscheinlich zu einem großen Teil an seiner tiefenentspannten Art. Ich habe ihm neben meinem Schreibtisch eine kleine Höhle gebaut, dorthin zieht er sich zurück, sobald er alle begrüßt hat, und verschläft den Großteil meiner Bürozeit.
Sputnik lässt sich auch nicht aufschrecken, wenn wir mal hektischer umherlaufen oder wenn es etwas lauter wird, weil wir Stress haben. Zur morgendlichen Konferenz kommt er aber natürlich mit. Er liegt dann unter dem Konferenztisch und setzt sein Vormittagsnickerchen dort fort. Es ist schon ein paarmal vorgekommen, dass uns sein Schnarchen in einer Diskussion unterbrochen hat. Heute jedoch läuft die Konferenz hundeschnarchfrei.
»Kommst du noch kurz mit in mein Büro?«, bittet meine Chefin mich nach Ende der Konferenz, als ich gerade meine Sachen zusammensammle.
»Klar«, erwidere ich und bedeute Sputnik, der aufgestanden ist und mich erwartungsvoll ansieht, mitzukommen.
In Reginas Büro angekommen, setzt sie sich an den Schreibtisch und ich mich auf den Besucherstuhl ihr gegenüber. Ich fordere Sputnik auf, sich neben mich zu legen, doch darauf hat er offensichtlich keine Lust. Statt auf mich zu hören, umrundet er den Tisch und wuselt zu Regina.
»Hallo du«, zwitschert sie mit einer Stimme, die ausschließlich für Sputnik reserviert sein muss. Ich habe sie zuvor nie so reden gehört. Es passt auch nicht recht zu ihrem strengen Auftreten. Wie immer trägt Regina ihr braunes Haar mit den grauen Strähnen akkurat zurückgebunden und eine Perlenkette zu ihrem grauen Kostüm. Sie hat ein bisschen was von Heidis Fräulein Rottenmeier – zumindest habe ich mir die immer so ähnlich vorgestellt –, aber sie ist eine gute Chefin.
Sputnik scheint die Tonlage jedenfalls zu gefallen. Er wedelt begeistert mit dem Schwanz und stupst Regina mit der Nase an. Das ist seine Art zu verlangen, gekrault zu werden. Regina versteht ihn und kommt brav dieser Aufforderung nach.
Mein Blick schweift derweil über Reginas vollgestopften Schreibtisch und bleibt auf dem Foto hängen, das sie mit ihrem Mann und ihrer Tochter zeigt. Jedes Mal, wenn ich hier sitze, muss ich das Foto anstarren. Jedes Mal, seit eine Kollegin mir in einer klatschsüchtigen Laune erzählt hat, dass Regina ihre Familie bei einem Autounfall verloren hat. Auf dem Foto sieht sie so glücklich aus. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie dieser Verlust sie getroffen haben muss. Es ist bewundernswert, dass sie danach weitermachen konnte.
Читать дальше