Der Katzengusti schaute mit stillem Entzücken den Mühen und Nöten des Landjägers zu; aber er sprach kein Wort. Er stand nur da und schaute.
Doch da hielt’s der Hertmann nicht mehr aus. Mit zorngeschwollener Stimme schrie er:
„Da stehst jetzt und gaffst, als ob du nit Gescheiteres zu tun wüsstest, du Lappi! Komm einmal hieher und zieh mir die Stiefel aus.“
Und als der Gusti sich’s noch eine Weile überlegte, fügte er noch grimmiger hinzu:
„Uber gleich kommst her, verstehst mich! Du nichtsnutziger Strolch, dass du bist.“
Diese liebenswürdige Aufforderung machte endlich dem Katzengusti Gelenke. Er trat zum Hertmann hin und packte den Stiefel am Bein, das ihm dieser schon von weitem entgegenstreckte, mit der Rechten am Absatz, mit der Linken an der Spisse, und entfernte ihn mit Ziehen und Zerren von dem geplagten Fusse. So heftig zog er, dass es ihn, als der Stiefel endlich frei war, bis auf die andere Seite der Strasse schlug, wo er hinfiel und den Kanonenstiefel ein Stück weit von sich warf.
Der Landjäger lachte:
,,Du Löli, du einfältiger! Gelt, jetzt hast gemerkt, was für eine Kraft in meinen Beinen ist. Komm nur gleich wieder her und zieh mir den andern auch noch ab.“
Und der Gusti kam und zog ihm auch den zweiten Stiefel ab.
Doch merkwürdig war’s, diesmal fiel er nicht hin wie das erstemal, sondern drehte sich geschmeidig wie eine Kasse um, sprang mit ein paar langen Sätzen zum ersten Stiefel hin, der auf der Strasse lag, und als das Paar wieder vereint in seinen Händen war, schwang er sie mit einem Triumphgeheul über seinem Haupt und lief, was die Beine konnten, durch die Matten den Bergen zu.
Der Landjäger Michael Alois Hertmann aber hockte am Strassenbord und starrte dem Davoneilenden fassungslos nach. Weit offen stand sein Mund, und gross und rund wie Pflugsrädlein waren seine Augen. Er hockte da wie die verkörperte Verblüffung und schnaufte wie ein wütiger Stier.
Als der Katzengusti den Waldrand erreicht hatte, hielt er in seinem Lauf inne. Er stand hinter dem Stamm einer weissschimmernden Buche und pfiff durch die Finger, dass es gell und langgezogen durch den schweigenden Forst hallte.
Dann schrie er, was ihm zur Kehle hinaus mochte:
„He dort, Hertmann! Lebst denn noch? Geh du jetzt nur allein nach Lauental und untersuch’, wem der Kittel gehört hat. Ich möcht’ lieber da oben ein wenig spazieren gehn.“
Da steigerte sich des Landjägers Wut zur Raserei. Er riss seinen schweren Ordonnanzrevolver aus dem Futteral und brüllte:
„Du Hallunk, du verfluchter! Willst sofort hieher kommen, oder ich jag’ dir bei Gott eine Kugel durch den Leib!“
Der Katzengusti hinter der Buche hervor aber höhnte:
„Nein — nein, Hertmann, aus selbem wird heut nit! Wenn du mich wieder siehst, dann magst mich packen; aber heut wird nit aus selbem. Lauf’ nit so schnell nach Haus; die Steinchen drücken dich ja jetzt nicht mehr in den Stiefeln. Komm’ gut heim und grüss’ mir deine Alte!“
Damit verschwand er im Dunkel der Bäume.
Der Landjäger aber schnellte nun mit einem jachen Ruck auf die Füsse und kugelte wie ein Ei über die Gräser und Blumen, der Stelle zu, wo der Katzengusti verschwunden war. Mit unglaublicher Schnelligkeit sauste er über die Wiesen. Doch als er in den Wald kam, änderte sich die Sache mit einem Schlage. Er machte noch ein paar hastige Sprünge, fiel dann kläglich stöhnend um und besah sich — nicht ohne Anstrengung — seine Fusssohlen, denen das stachlige Gestrüpp etliche Risse und Schrammen beigebracht hatte. Soweit ging sein Diensteifer, — aber nicht weiter.
Den Revolver hatte er immer in der Hand behalten. Sinnlos vor Schmerz und gerechter Entrüstung feuerte er mehrmals nach der Richtung hin, in welcher er den Katzengusti zu hören glaubte. Mit dieser Schiesserei verwundete er ein paar junge Ahörnlein lebensgefährlich, schoss sogar einer kleinen Tanne den Kopf ab — sonst aber kam dabei niemand zu Schaden.
Der Knall zog sich anhaltend und dumpf unter den Bäumen hin und ward von den fernen Bergwänden wieder zurückgeworfen, gleich einer unsichtbaren klingenden Welle, die sich an verborgenen Felsen bricht. Als der Wald sich wieder allmählich beruhigte, da war dem Landjäger Hertmann, als höre er, wie ein Echo, von weither ein lustiges, frohes Lachen. Er wusste nicht, was weiter zu tun war.
Deshalb legte er sich platt auf seinen fetten Rücken und blickte mit seinen erzürnten Augen zu den junggrünen Blättern empor. Über deren zarte Ränder schaute der milde heitere Himmel voller Güte, voller Versöhnung hernieder. Doch bis zu des Polizeimanns Herzen konnten diese lichten Sendboten nicht vordringen. Er biss voll stummer, ohnmächtiger Wut die Zähne aufeinander und schmiedete mit dem Hammer der Anklage auf dem Amboss des Gesetzes eine finstere Rache.
Nach einer Weile nahm er sein Dienstbuch aus der Tasche und schrieb, ohne aufzustehen, ein umfangreiches Protokoll hinein. Alles über den Katzengusti; dessen verbrecherische Handlungen er wohlgeordnet ins rechte Licht setzte. Mit stiller Genugtuung rechnete er sich dann sogleich aus, wieviel das für den Gusti absetzen könnte — wenn sie ihn dann wieder hätten.
Doch vorläufig hatten sie ihn nicht, den Katzengusti.
Der erfreute sich nun doppelt der goldenen, sonnigen Frühlingsluft. Sie schien ihm nur um so köstlicher, weil er sie sozusagen auf einem kleinen Umwege erlangen musste.
Mit Wegen und Stegen wohlvertraut, schritt er nun gemächlich den Höhen zu.
Die neuerworbenen Kanonenstiefel hatte er mit einer Schnur zusammengebunden und über die Schulter gehängt, so dass einer vorn auf der Brust, der andere hinten auf dem Rücken zu ruhen kam. Im Gehen murmelte er manchmal etwas vor sich hin, manchmal lachte er leise auf, und zuweilen pfiff er auch ein kleines, wildes Liedchen.
Nicht ein einzig Mal blieb er stehen, um zu horchen. Er wusste wohl, dass ihm in diesem Augenblicke von keiner Seite Gefahr drohte. Heute nicht — und was scherte er sich um alles morgen!
Er war ein Philosoph und Naturschwärmer, der Katzengusti — auf seine Art natürlich. Mit stoischer Seelengrösse ertrug er die häufigen Ärgernisse, welche ihm die Mitmenschen durch ihre kleinlichen Gesetze verursachten. Auch wenn sie ihm ab und zu einen längeren oder kürzeren Aufenthalt in der engen Zelle verordneten, grollte er ihnen darob nicht allzusehr. Sie verstanden es eben nicht besser, so dachte er, und suchte aus der neugeschaffenen Lage so viel Gutes als möglich herauszuschlagen. Und mit Witz und Humor tat er das. Mancher seiner Wächter und Verurteiler, ob sie sich auch sonnenhoch über ihm wähnten, beneideten ihn im stillen um diese köstlichen Gaben. Und mancheiner hätte dies wohl auch offen eingestanden, wenn seine Stellung ihm nicht verboten hätte, es laut werden zu lassen. Gleichmütig und heiter betrat er stets den Gerichtssaal, und verliess ihn ebenso nach dem Urteilsspruch, der in den meisten Fällen nicht gerade günstig für ihn war.
Mit einer Art Hochmut sah er, der Lump, auf alle die wichtigen Herren, denn sie konnten ihm ja trotz allem nichts anhaben. Ob sie ihn einmal mehr oder weniger einsperrten, was tat das schliesslich ihm? Sie nahmen ihm ja so nur die Sorge ab, für sich selbst einige Zeit Rost und Logis zu beschaffen. Und das war bei den schlechten Zeiten immer noch eine gewisse Erleichterung.
Aber an diesem Tage freute es ihn dennoch, frei und ledig durch die Wälder zu streichen. Der lange Aufenthalt in den Krankenzimmern hatte ihn für des Frühlings Erwachen recht empfänglich gemacht.
Wenn er nicht gerade vor sich hin pfiff, lachte oder murmelte, dann lauschte er gespannt auf das Jubilieren der kleinen Vögelchen, die sich gebärdeten, als wären sie rein verrückt geworden vor lauter Glückseligkeit. Und da er, wie gesagt, für der Natur Schönheiten nicht unempfindlich war, so kam auch in seine Landstreicherseele ein eigen Wohlbefinden, wie schon lange nicht mehr.
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