,,Er ist mit dem Ammann hinaufgegangen in die Amtsstube,“ hörte er soeben die Magd sagen.
Der Hertmann schnaubte schon die Treppe herauf. „So, endlich haben wir ihn!“ sagte er so für sich hin, und rannte ohne anzuklopfen in die Stube, wo er den Ammann hantieren hörte.
Der Katzengusti, der sich beim Herannahen der offentlichen Ordnung in eine dunkle Ecke gedrückt hatte, hörte gerade noch, während er die Treppe hinunterrannte, wie der Ammann zum Landjäger sagte:
„Grad’ ist er fort! Er hat mir noch einen Feufliber gestohlen — vielleicht sind’s auch zwei gewesen!“
Doch unbemerkt kam der Gusti nicht zum „Gesprungenen Krug“ heraus. Die Magd, die unten stehen geblieben war, um zu horchen, sah ihn und schrie alsbald aus Leibeskräften:
„Da ist er! — Da ist er!“
Unter Dröhnen und Brausen rollte der Landjäger wieder der Treppe zu. „Wo?“ rief er, als er noch oben war.
Doch der Gusti war schon um die nächste Ecke herum. Weil die Leute ihn kannten und überdies dem
Landjäger keiner grün war, stellte sich ihm niemand entgegen.
Jedoch der Hertmann hielt mit der linken Hand seinen Säbel, der ihm beim Laufen hinderlich war, in die Höhe, mit der rechten griff er nach dem Käppi, und nahm, wie es sich gehört, die Verfolgung auf. Es fiel ihm nicht schwer, die Richtung, welche der Flüchtling genommen, zu erraten, denn die Bauern standen gleich Wegweisern da und folgten dem Wettrennen mit Aufmerksamkeit und Vergnügen.
Als der Landjäger zum Dorfe hinausgekommen war, sah er den Katzengusti leichtfüssig die Rimmsteler Strasse hinunterrennen.
,,Halt!“ schrie er ihm mit aufgeblähten Lungen nach.
Der Gusti drehte leicht den Kopf. Da er den Landjäger in so grosser Entfernung sah, blieb er stehen und setzte sich auf einen der grossen Steine, die in regelmässigen Abständen gegen den Schlund zu standen.
Der Hertmann, dem wirklich die Luft ausgegangen war, mässigte, als er dies bemerkte, ebenfalls sein Marschtempo. Doch sowie er dem Gusti nahegekommen war, erhob sich dieser und nahm das Rennen abermals auf. Der Landjäger wieder hinterher, — aber mühsam und keuchend. Er war am Rande der Möglichkeit. Und als sich der Gusti ein andermal auf einen Prellstein setzte, vergass sich der Landjäger Hertmann sogar so weit, es ihm gleich zu tun, wie tags zuvor beim Beerenpflücken. Er nahm sich das Käppi vom Haupte und trocknete mit seinem roten, weissgetupften Nastuch den Schweiss, der ihm in förmlichen Lachen auf der Stirn stand, ab. Der Katzengusti auf dem nächsten Prellstein, sah ihm dabei wohlwollend zu.
„’s macht warm, Hertmann?“ fragte er hinüber.
„Wart’ nur, du Strolch, bis ich dich hab’! Ich will dir’s hernach schon einstreichen!“ gab der Landjäger zornig zurück.
„Pressiert es dir denn eigentlich, dass du so rennst?“ fragte der Gusti wieder von seinem Stein her.
,,Wenn du nit bald ’s Maul hältst, so schiess’ ich dir die Knochen ab,“ sagte der Landjäger Hertmann.
„Nei-nein! Das tust nit!“ höhnte der Gusti. „Sonst kommst du ins Loch.“
Da schwieg der Landjäger grimmig.
Nach einer Weile, als er sich etwas verschnauft hatte, erhob er sich, um sich von neuem an die Festnahme des Diebes zu machen, wie es das Gesetz vorschreibt.
Und nun erhob sich auch der Gusti, welcher diesem Gesetze feindlich gegenüberstand.
Eine Zeitlang rannten sie so dem Tale zu. Weil es bergab ging, hielt der Landjäger noch ziemlich lange aus. Schliesslich war er aber wieder zu Ende mit seinen Kräften. Erschöpft setzte er sich abermals auf einen Prellstein.
Kaum hatte der Katzengusti dies bemerkt, so tat er desgleichen.
Und wieder begann die Unterhaltung:
„Wo willst nur eigentlich hin, Hertmann?“
„Wart’ nur! Du kommst mir schon wieder in die Finger!“ sagte der Landjäger.
„Ich hab’ gemeint, du wohnst auf der andern Seite vom Berg — warum willst jetzt da hinunter?“
Da gab der Landjäger keine Antwort mehr. Das Herz klopfte ihm zum Halse heraus, und es war ihm immer, als würde ihm schwarz vor den Augen.
Der Katzengusti sah unverwandt zu ihm hinüber.
„Was ist, Hertmann!“ fragte er nach einer Weile. „Geht’s wieder ein Stücklein? Wir könnten’s am End’ wieder nehmen!“
Sie nahmen’s also wieder, sobald der Hertmann rennen konnte; war er müde, dann setzten sie sich und verkürzten einander die Zeit durch allerlei Reden.
Der Katzengusti wurde immer vergnügter, im Verhältnis, wie des Hertmanns Ärger zunahm. Als zufällig der Garzam-Juli mit einer alten Kuh von Rosenach heraufkam, meinte er:
„Juli, könntest den Hertmann ein Stück weit auf der Ruh reiten lassen. Er ist müd’ und kann nimmer laufen.“
Der Hertmann aber schrie:
„Halt ihn! Halt ihn! Er hat gestohlen oben in Krummbach!“
Was kaum einer von den Bauern in der Umgebung getan, das tat der Garzam-Juli. Er liess die Kuh stehen und sprang auf den Katzengusti los. Der war nun jämmerlich dran: auf einer Seite den Schlund, auf der andern jache Feldwände; die Strasse hinauf rückte der Schlächter an, und die Strasse hinunter stürmte der Hertmann, den plötzlich wieder neuer Mut beseelte. In wenigen Augenblicken waren beide bei ihm angelangt und gingen mit grosser Eile an seine Festnahme. Der Landjäger Hertmann holte mit seiner dicken Faust zu einem wuchtigen Schlage aus — er war erbittert, und der Garzam-Juli schwang seinen Treiberstecken — dem machte es eben Freude, drauf zu hauen.
Der Katzengusti, der zwischen diesen dräuenden Gefahren stand, tat das, was wahrscheinlich jeder an seiner Stelle getan hätte. Er duckte sich, so schnell er nur konnte, nieder und machte sich um vieles kleiner als er war. Die Folge hiervon war, dass die ihm zugedachten Hiebe ihr Ziel vollständig verfehlten, dergestalt, dass des Landjägers Faust mit grossem Nachdruck auf des Garzam-Juli Nase fiel und der Treiberstock des letzteren des Hertmanns schönes Käppi einschlug. Alle beide empfanden diese gegenseitige Leistung nicht als Wohltat, vielmehr ergrimmten sie darob.
„Du Esel!“ brüllte der Juli. „Du Ochs!“ der Landjäger. Gleichzeitig wiederholten sie das Verfahren — welches das erstemal nur ganz zufällig war — diesmal mit Absicht. Sie schlugen mit grossem Eifer eine Zeitlang aufeinander los, als hätten sie kein grösseres Verlangen gehabt, und vergassen darüber ganz, dass sie den Katzengusti verhaften wollten.
Und der Katzengusti blieb natürlich nicht stehen, bis sie wieder auf diese anfängliche Absicht zurückgekommen, um später beiden Gewittern gleichzeitig als Blitzableiter zu dienen, sondern er lief, was er konnte, den Weg hinunter. Dabei murmelte er einmal über das andere:
„Wart’ nur, Garzam, wir sehen uns wieder, dann rechnen wir ab.“
Als der Schlächter und der Landjäger ihr Mütchen aneinander gekühlt, hielten sie inne und sahen sich mit einiger Verwunderung an. Wie dies ja bei den meisten Händeln so ist, wusste im Grunde keiner von ihnen, warum er den andern verdroschen hatte. Die bejahrte Kuh, die als einzige Zeugin dabeigestanden, schien dies auch nicht zu wissen, obschon sie ihre grossen Ohren stellte und die Augen weit aufriss.
Als der Garzam-Juli sie wieder beim Strick nahm, folgte sie ihm geduldig. Und beide verliessen den Landjäger, der unter mancherlei Tönen des Unwillens sein Käppi wieder zurechtbog und die verrutschte Uniform in Ordnung brachte.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Читать дальше