Karl Friedrich Kurz
Sayonara
Eine japanische Liebesgeschichte
Saga
Sayonara
German
© 1937 Karl Friedrich Kurz
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711518472
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
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Es sollte sich etwas in Japan ereignen, dort am andern Ende der Welt, wo die Sonne herkommt ...
Sicherlich trägt der Rhein die Schuld daran — die Stimme des Wassers, die seit jeher die Menschen betörte und in die Ferne lockte.
Der Rhein ist ein alter Landstreicher. Er kommt aus den hohen, dunklen Bergen, wo die Völker Europas zusammentreffen und sich vermischen, und wo die Wasser Europas sich trennen und verschiedenen Meeren zustreben.
Walter hörte die Stimme des Rheins von seinen ersten Tagen an. Aus seinem Fenster herab sah er auf den mächtigen Strom, der als eine endlose Schar hüpfender, mutiger Wellen vorüberzog und weit unten am Rande der großen Ebene zwischen Himmel und Erde verschwand. Das dunkle Raunen des Wassers mischte sich ohne Unterlaß in alle Geräusche des alten stolzen Hauses, bildete zu allem Geschehen den tiefen Grundton. Je stiller die Nächte, desto lauter erhob der Strom seine Stimme ... Des Stromes Stimme drang in Walters Schlaf und erfüllte seine Träume.
Walter wurde geboren als ein vornehmes Patrizierkind in der alten Stadt Basel.
Ähnlich wie andere Patriziersöhne wuchs er heran in der Abgeschlossenheit eines reichen Heims. Er besuchte zuerst die Schulen und verliebte sich später in eine Tochter, die nach Geburt und Wohlstand ausgezeichnet zu ihm paßte.
Alles schien bestens geordnet — zur rechten Zeit würde Walter seine Familie gegründet und nach guter Überlieferung das Geschäft seines Vaters weitergeführt haben. Anders ließ es sich eigentlich kaum denken, denn an Walter war im Grunde nicht viel Besonderes — vielleicht eine gewisse Verschlossenheit und ein Hang zu Abenteuern, was daher rühren mochte, daß er in den Nächten anstatt zu schlafen der Stimme des Rheins lauschte und von fernen Ländern träumte.
Und so fuhr also der Sohn Walter in die große Welt hinaus, er fuhr zuerst durchs Mittelmeer, dann durchs Rote Meer und wandte sich hierauf gegen Sonnenaufgang — denn er war ein Verehrer des Lichts.
In Ceylon stieg er ans Land und wohnte zwei Monate lang in einem Buddhistenkloster im Gebirge von Kandy. Dort erklärte ihm ein alter Priester des großen Gautama unsterbliche Lehre. Doch als die Zeit dahinfloß in stillen, ernsten Gesprächen, erschien Walter des großen Gautama Lehre wohl edel und klug, aber sie nahm seiner Seele die Freude, weil sie das frohe, blutwarme Leben verneinte.
Mit Verlangen und Zweifeln im Herzen verließ er das Buddhistenkloster, fuhr von Nagapatam bis zum Gangestal, fuhr von Benares über Gorakpur bis nach Nepal. Er folgte einer Yakkarawane über die hohen Pässe des Himalaja und tat einen Blick ins verbotene Land Tibet.
Dieserart sah Walter viele Länder und traf mit mancherlei Menschen zusammen, er sah viele Bilder und erlebte viele Abenteuer auf der unebenen Oberfläche dieser Erde.
Aber an jenem Tage, als er das geheimnisvolle Asien betrat und in die Berge von Kandy stieg, geriet er in den Kreis unerforschbarer Einflüsse. Der alte Buddhistenpriester führte ihn in den Schatten eines vielhundertjährigen Mangobaumes, der seine Äste über einen kleinen Tempelhof ausstreckte. Das war ein heiliger Baum und wahrscheinlich entströmte ihm ein mächtiger Zauber. Der junge Mann Walter ahnte nicht die Gefahr. Er saß nur und lauschte mit tiefer Andacht den Worten des alten Priesters, der mit gesenkten Lidern, in völliger Versunkenheit, die Lehre ewiger Weisheit kündete. Des Priesters Stimme vermischte sich mit dem eintönigen Gemurmel eines Baches, der hinter der Tempelmauer über grüne Felsen plätscherte. Manchmal schien es Walter, daß auch der Bach eine uralte Weisheit künde ...
Vielleicht kannte der alte Prieser selber nicht den Zauber vom Schatten des Mangobaumes. Wenn er ihn kannte, so verriet er es nicht. Und wenn er es verraten hätte, würde ein Mann wie Walter niemals daran geglaubt haben ... Doch nun war er einer fremden Macht verfallen.
Ihm ward bestimmt, einen weiten Kreis zu ziehen. So sollte er zu einer Erkenntnis kommen ...
In Kalkutta bestieg er aufs neue das Schiff und zog immer weiter der Morgenröte entgegen. Bis er das Land des Sonnenaufgangs erreichte ...
Der junge Patrizier Walter kam nach Japan und zur Insel Enoshima zur Zeit der Pflaumenblüte ... Weiter kam er dann nicht mehr, weder ostwärts noch westwärts.
Dieses geschah an einem Abend.
Nachdem Walter stundenlang auf einsamen, stillen Pfaden durch grüne Wälder gewandert, ohne Hast und ohne Ziel, vernahm er von fernher den gedämpften Klang einer mächtigen Glocke. In kurzen Zwischenräumen flutete es heran, gleich einer dunkelbrausenden Woge, die hoch über alle Wipfel hinzog. Auf einmal sah er völlig unerwartet vor sich das Meer. Und es war das Meer des japanischen Frühlings, das da vor ihm ausgebreitet lag wie ein violettschimmerndes Göttergewand. Eine lange, schmale Holzbrücke führte vom Walde zu einer hohen, steilen Felseninsel hinüber.
Auf dieser hölzernen Brücke hörte für den jungen Mann aus der Stadt am Rhein die Wirklichkeit auf, und es begann ein langer, verwunderlicher Traum.
Die Brücke mündete in ein Gäßlein. Hüben und drüben standen Puppenhäuser aus Bambus und Papier. Menschen in bunten Gewändern trippelten auf hohen Holzpantinen über die glattgescheuerten Steinfliesen. Kinder mit drolligen Haartrachten spielten und kreischten. Hier und dort glimmten schon die ersten Lichter auf, lustige Papierlaternen in allen erdenklichen Formen und Farben, sie schwebten sachte hin und her, schaukelten und hüpften an unsichtbaren Schnüren.
Ein sanfter Wind führte zuweilen den herben Geruch des Seetangs heran; und dann hörte man in weiter Ferne den dumpfen Aufschlag der Wogen an den Riffen. Wenn aber der Abendwind für kurze Zeit einschlummerte, senkte sich von den steilen Felsen hernieder würzig der Duft des Nadelholzes und der Atem der sonnenwarmen Erde.
Walter schritt durch ein paar enge, winklige Gassen, und sein Herz erschauerte vor Erwartung und Freude; es bebte beim Anblick all des Märchenhaften und völlig Unwahrscheinlichen, das da vor ihm lag.
Greifbar nah und traumhaft fern zugleich waren Gassen und Häuser und Menschen. Es kam mit einem Schlage eine unerhörte Spannung und ungläubige Neugierde über ihn — nicht anders, als sei er nun unversehens ins Reich der Wunder getreten. Vor Staunen hielt er den Atem an und ging sehr behutsam. Er fürchtete wohl, diese Stadt mit ihren bunten Menschen und dieser Felsenberg und das weite Meer dahinter könne auf einmal wieder verschwinden. Er meinte, das alles könne doch nur das farbenschöne Schillern in einer riesigen Seifenblase sein und müsse bei der leisesten Berührung zerplatzen und in nichts zerfallen.
Seine eigene Seele war gerüstet zum Feste, das sich da still und feenhaft vor ihm eröffnete. Er wußte es wohl selber nicht, daß er lächelte, wie ein unwissendes Kind im Traume lächelt, wenn die ersten Bilder dieser Welt sich mild und verklärt in seiner Erinnerung spiegeln. Und er merkte es selber nicht, daß er immer nur ein paar zögernde Schritte machte und dann verwundert stehenblieb, und daß er den Leuten in den Gassen, die gleich lebendig gewordenen Porzellanfigürchen an ihm vorübertrippelten, zunickte.
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