Das wurde eine besondere Art des Rauchens. Vier, fünf Züge und die Pfeifen waren ausgebrannt. Yonami klopfte die Asche im Kohlenbecken aus und stopfte von neuem. So saßen sie eine Weile, rauchten und schwiegen. Zuweilen hörte man das sachte Rascheln eines Baumastes gegen die Hauswand oder einen Ruf von der Gasse; aber in bestimmten Zwischenräumen immer wieder das leise Klirren der Pfeifen auf dem Rande des Feuerbeckens. Es hörte sich an wie helles Schellengeläute auf tiefverschneitem Wege ... Und wenn alle andern Laute verstummten, vernahm man das leise Knistern des Kohlenfeuers.
Auf einmal sagte Walter, mehr als spräche er nur zu sich selber: „Zwei Monate lang lebte ich in einem alten Kloster, auf einer Insel weit dort hinter dem Meer. Ein weiser Mann erklärte mir den letzten Sinn des Lebens. Jener Mann kannte alle Geheimnisse der menschlichen Seele. Er sagte, alles Leiden in dieser Welt habe seinen Ursprung im Begehren nach Glück ...“ Und er neigte sich vor und fragte laut: „Kannst du dieses begreifen, kleine Yonami?“
In atemloser Spannung schaute Yonami in sein Gesicht, in ihre Stirn zwischen die hohen Brauenbogen gruben sich zwei feine Falten. Mit ihren kirschrot gemalten Lippen sprach sie seine Worte leise nach. So mühte sie sich, den Sinn seiner Rede zu verstehen. Doch sie neigte traurig den Kopf: „Nein, Herr — Yonami kann dieses nicht erfassen“, gestand sie.
„Und jener grausame Priester verkündete, das höchste Glück sei darum Verzichten und Wunschlosigkeit. Er nannte es Nirwana ...“
„O mein Samurai“, flüsterte Yonami. „Bitte verzeih deiner kleinen Nesan und zürne ihr nicht, wenn sie dir auf diesem Wege nicht zu folgen vermag ...“
„Ob ich dir verzeihe, Yonami? — Sieh, ich verstand sie sehr wohl jene Worte — ihre Weisheit gleicht dem ewigen Eis der Berge ... Sag mir doch, süße Yonami, was bleibt dem Menschen, wenn seine Sehnsucht stirbt ...? Mit viel Weisheit und viel Traurigkeit im Herzen wanderte ich seither durch diese sonnige Welt ... Aber an diesem Abend, Yonami, führte mich ein milder Gott zu dir. Hier in Enoshima soll mein Herz wieder froh werden ...“
„Auch jetzt verstehe ich dich nicht, o Herr. Nur soviel höre ich aus deinen Worten, daß du hierbleiben willst ... Und das ist für deine Yonami ein großes Glück.“
„Bei dir will ich versuchen, das Leben wieder zu lieben!“ rief er.
Yonami schaute eine Weile schweigend in die Kohlenglut. Sie überlegte sich wohl diese Sache, die so völlig verschieden war von allem, was sie bisher erlebte. Dann wandte sie ihr Gesicht wieder dem sonderbaren Fremdling zu und sagte still: „Du bist mein Daimyo, mein großer Fürst und mein Herr. Und du bist gewiß ein mächtiger Mann in deinem Lande, das ich nicht kenne ... Ich aber werde niemals mehr sein können als deine kleine Nesan. Ja, ich werde immer nur so wenig sein dürfen wie der Obi an deinem Kimono. Wenn du den Kimono trägst, ist der Obi nützlich und ein Schmuck. Wenn du den Kimono ablegst, hat der Obi keinen Wert mehr ...“
All dieses sagte Yonami mit stillem Ernst.
Hierauf saß sie ihm wieder regungslos gegenüber, so als erwarte sie einen Befehl oder vielleicht nur ein neues Bekenntnis. Denn diese kleine Nesan begriff doch sehr wohl, daß der fremde Mann etwas anderes in ihr sah, als nur die Dienerin. Das erkannte sie im versonnenen Blick seiner Augen. Das hörte sie im Schwingen seiner Stimme, auch wenn sie seine Worte nicht richtig verstehen konnte. Aus ihm hervor strömte eine schlichte Andacht; davon auch sie ergriffen wurde.
Der dumpfe Schein aus dem Kohlenbecken erleuchtete die eine Seite ihres Gesichtes, die andere ging unter im weichen Schatten der Dämmerung. Aber in ihren beiden Augen hüpften rote Flämmlein.
In der Tat, das war ein merkwürdiger Gast in einem Teehaus; er redete vom Nirwana und unverständlichen Dingen ... Jetzt sitzt er in ratlosem Schweigen und starrt seine Nesan an.
Die Nesan aber besaß eine Frauenseele; und damit erfaßte sie schnell, daß ihr Herr und Gast irgendwie Sorgen hatte. Sie neigte sich zu ihm hinüber und sagte: „Morgen, mein Samurai, wollen wir miteinander zum Tempel der hunderthändigen Kuannon gehen. Wir wollen ihr Reis und Früchte opfern. Wir wollen sie bitten, daß sie deinen Kummer von dir nehme.“
Ach, es wurde nun doch rein des Teufels, und dazu ein wenig lächerlich ... Warum nahm er dieses Mädchenwesen nicht einfach in seine Arme? Kummer? Wie in aller Welt mochte sie nur darauf verfallen? Nein, keine Spur von Kummer — höchstens ein wenig aufgerüttelt war er, ein wenig verrückt von der Dämmerstunde in Enoshima, vom Treiben in diesem merkwürdigen Teehaus, und vor allem war er erschüttert von der schlichten Lieblichkeit dieser Nesan, die er Yonami nannte ...
Verwundert über den Wirrwarr, der da unversehens in ihm ausgebrochen, schüttelte er den Kopf und meinte: „Warum denn nicht? Laß uns zum Tempel deiner Göttin gehen ... Doch was könnte ich denn von ihr erwarten? Du, Yonami, sollst meine kleine Göttin sein... Du begreifst es wohl selber nicht, aber du bist ein seltenes Kunstwerk ...“
Mit einem schnellen und schelmischen Augenaufschlag streifte sie ihn; es glich einer scheuen Liebkosung. Darauf senkte sie den Kopf. Ja, sie drehte sich dem Feuerbecken zu; aber an der kleinen bebenden Wölbung ihrer Wangen erkannte er, daß sie lächelte.
Mehr und mehr wunderte er sich über diese Unterhaltung, die er da mit einem Teehausmädchen führte. Und am meisten wunderte er sich über seine eigenen Einfälle. Ach, er ärgerte sich ein wenig, da er meinte, dieser Zug fahre immer weiter in falscher Richtung. Aber dennoch fragte er: „Nun glaubst du wohl, ich scherze, kleine feine Yonami?“
„Am Klang deiner Stimme, o mein Samurai, höre ich, daß deine Seele spricht ...“ erwiderte Yonami.
Es half demnach alles Sträuben nichts — der Zug fuhr immer weiter ... Wohin, wohin ging diese Fahrt? Er dachte bei sich selber, es sei nicht nur lächerlich — es sei rein idiotisch, das alles miteinander ... Doch Yonamis Zartheit und Demut griffen ihm ans Herz. Deshalb wurde es gleich von Anfang an ein gefährliches Abenteuer.
„Seit wann bist du in diesem Haus?“ fragt er.
„Ich kam im vergangenen Winter.“
„Wie lange wirst du hier bleiben?“ fragt er.
„Anaka-san kaufte mich für zwei Jahre, Herr.“
Aufgerührt bis ins Innerste staunt er: Dieses Geschöpf kauft man. Anaka-san, das braune Räupchen kaufte es — kaufte es für zwei Jahre ... Nein, du Herrgott ...
Und er setzt sein Verhör fort und fragt: „Liebst du denn dieses Leben, Yonami?“
Wahrscheinlich vermag sie den Sinn seiner Worte ebensowenig zu begreifen, wie seine Erregung. Eingeschüchtert wie ein hilfloses Kind duckt sie sich unter seinen forschenden Augen, zuckt kaum merklich die schmalen Schultern und blickt schweigend vor sich nieder.
Eins wurde Yonami nun völlig klar: dieser fremde Mann war verschieden von allen den andern Männern, die sie bis dahin kennenlernte. Er verlangte von ihr nicht das, was alle die andern verlangten. Was er aber eigentlich von ihr wollte, erriet sie nicht und darum glänzten ihre Mandelaugen vor Furcht und Neugierde.
Yonami macht den Vorschlag: „Vielleicht könnte ich Akiko-san rufen lassen?“
„Akiko-san?“ fragt er. „Was willst du mit Akiko-san?“
„Sie ist die beste Geisha in dieser Gegend ... Akiko-san lebte lange Zeit sowohl in Yokohama als in Tokio ... Die Leute sagen, ihre Umarmungen seien heiß und gewaltig wie das ewige Feuer der Erde. Akiko-san kennt viele alte Tänze; und sie wird dir kleine Geschichten erzählen, die du nie mehr vergessen wirst. Akiko-san wird dich sicherlich besser unterhalten können als ich, die ja vom Leben wenig kennt und wenig gelernt hat ...“
Männerstimmen durchdrangen die Papierwände des Hauses, lebhafte, laute Stimmen, denen leises Mädchenlachen antwortete ... Neue Gäste. Yonami hob den Kopf und lauschte. Aber gleich wandte sie sich wieder ihrem fremden Samurai zu und schaute ihn an mit ihrem Porzellanlächeln, das um Gnade zu flehen schien. Wahrscheinlich grübelte sie jetzt darüber nach, was sie beginnen und unternehmen sollte, diesen vornehmen Gast zu unterhalten, damit er mit ihr zufrieden sei und sie nicht schelte wegen ihrer Ungeschicklichkeit.
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