Clara Höger ist eine Frau, an die man sich scheinbar nicht gewöhnt. Denn wie im vorigen Jahr, verstummen alle Gespräche bei ihrem Eintritt und setzen nur mühsam wieder ein, weil alle aufpassen müssen, wie Stefanie auf die Höger zugeht, sie herzlich umarmt und auf beide Wangen küßt, um sie dann Leo zuzuführen, der ihr die Hände entgegenstreckt und sie gar nicht wieder losläßt.
Amélie Stern findet das großzügig, während Milly Pabst es einfach nicht glaubt. Frau Wedderstedt, die gerade mit ihrem Mann gekommen ist, dem jungen Besitzer der Wedderstedt A.-G. für Kornbranntwein („Ist dein Mann zu dir nicht nett, gib ihm einen Wedderstedt!“), Frau Wedderstedt verliert den langen Hals fast aus den Schultern, um die Gesichter aller Beteiligten in Ruhe zu betrachten.
Das bleibt die Sensation des Abends, und danach tauchen nur noch einige solide Ehepaare auf, die liberal genug sind, an dem seltsam gemischten Verkehrskreis der Landowskis keinen Anstoß zu nehmen, oder die einen von den beiden gern mögen. Darunter der alte Generalleutnant von Schilling mit Frau, Freunde eigentlich von Stefanies Vater, dem Grafen Wangen, die zuerst nur Stefanies wegen zu Landowski gekommen sind und nun den Leo fast noch lieber haben, oder die Brettschneiders, von denen die schlaksige und hakennasige Frau sich an diesem Abend als ein freundlicher Beobachter erweist und ein weiträumiger Mensch mit leisem, stechendem Witz.
Zum Schluß, als man schon mitten im Essen ist, erscheint das merkwürdigste Paar. Der Lyriker Alex Teufelmann, ein kleiner, breiter Kerl mit dickem Hals und dickem Kopf, im Smoking zwar, aber mit einem Kragen, der nur vorn befestigt ist, hat noch einen ungeladenen Gast im Schlepptau, einen Jüngling in kurzhosigem Samtanzug, hohem Blondhaar, das er wie Kopfschmuck trägt, und schönen Händen, die jetzt abwehrend und erschreckt in der Luft rumfahren. Teufelmann beteuert zunächst, sich aus Gründen verspätet zu haben, um die sich jede Verspätung lohnt, und stellt dann seinen Freund vor, Willy Bleichert, der auch ohne Smoking ein bedeutender Maler sei.
Leo Landowski ist verstimmt, weil er findet, daß an anderen Tagen Zeit genug ist zu solchen Mitbringseln, aber weil sich Frau Maimann und Amélie Stern bereits auf Bleichert geworfen haben, um ihn auf Verwendbarkeit abzutasten, so läßt er die Sache laufen und freut sich, als Teufelmann dem Regisseur Teller keine Schmeicheleien sagt, sondern seinen letzten Film für den Dreck erklärt, der er ist.
„Jeder Mensch macht Dreck, Herr Doktor,“ kräht Teufelmann und schlägt dem entgeisterten Teller fast die Schulter entzwei, „aber Sie haben schon zu viel Dreck gemacht und sollten mal was Gutes machen.“
Das soll die Einleitung zum Angebot des Teufelmannschen Filmmanuskriptes sein, und so muß Stefanie eine Viertelstunde später mit Hilfe von Clara Höger und der alten Exzellenz Schilling den völlig zerknirschten Dichter darüber aufklären, daß er nicht die richtige Art hat, mit den Mächtigen dieser Welt umzugehen.
Stefanie ist jetzt ganz geborgen in der kühlen Freundlichkeit, mit der sie ihren Hausfrauenpflichten nachgeht. Sie ist bald im großen Salon, wo Rechtsanwalt Brettschneider mit Hilfe von Schlüsseln und Butterbrotpapier eine Jazzkapelle aus dem Klavier macht, unterstützt von seiner hageren Frau, die mit melancholischem Ernst die verschiedenen Dämpfer und Klappern einlegt und herausnimmt. Bald ist sie in Leos Zimmer, wo eine Schar von Damen dem Regisseur Teller Filmgesichter vorführt. Sie kann hier gerade noch Leos ungezogene Bemerkung unterdrücken, der, mit Beziehung auf Fräulein Pabsts Rolle im Kulturfilm, durchaus sagen möchte, sie habe „eher das Gegenteil eines Filmgesichts“.
Es genügt ihm nun, das Stefanie zuzuflüstern, und sie sitzt darauf liebenswürdig unter den soliden Ehepaaren, erörtert mit Direktor Knesebeck die Börsenlage, sagt Frau von Schilling ein paar Freundlichkeiten über ihren Sohn, kann Frau Wedderstedt, die schon wieder vor Eifersucht hektischrote Wangen hat, davon überzeugen, daß ihr Mann im Augenblick in ein politisches Gespräch mit dem Abgeordneten Dr. Ahrberg vertieft ist, und geht dann in die Bibliothek.
Hier geht es schon ein bißchen bunt zu. Teufelmann versucht in einem Hymnus die körperlichen Vorzüge der Höger zu besingen, Amélie Stern bespricht laut mit dem Maler Bleichert die Pflicht der gutgewachsenen Frau, Modell zu stehen, Frau Maimann möchte sich um alles in der Welt an Liberalität nicht schlagen lassen und nickt, während die Kurtisane Weiland die Herren Maimann und Stern zu bezaubern sucht, die indes ihren Angeboten nur halb zuhören, weil sie ihre Frauen bewachen müssen.
Stefanie hat hier eigentlich nichts zu suchen. Aber sie bleibt doch einen Augenblick stehen, sieht diese komischen Menschen prüfend der Reihe nach an, und es will ihr scheinen, als wenn Clara Höger sie mit feindlichen Blicken mustert. Sie kann es nicht genau sehen, denn sie spricht gerade mit Stern, der sie im Vertrauen fragt, ob Amélies Kleid nicht doch ein bißchen gewagt sei. Aber während sie antwortet, daß ja immer entscheidend sei, wer so etwas trage, wendet sie sich schnell nach der Höger um. Sie hat sich sicher nicht getäuscht. Aber die Schauspielerin hat ihr Gesicht so sehr in der Gewalt, daß Stefanie höchstens noch die Schatten des Hasses sehen kann und sogar mit einem leichten Nicken für den bezaubernd werbenden Blick der Freundin danken muß.
Sie wendet sich schnell um und geht hinaus. Sie sieht einmal in der Küche nach dem Rechten, obwohl da natürlich unter Frau Schreiers bewährter Leitung alles in Ordnung ist. Beim Zurückgehen bleibt sie auf der Treppe stehen. Warum schmerzt sie diese Sache mit Clara, die sie schon lange weiß? Ach — sie ist hier so ohnmächtig. Kaum daß sie sich selber glaubt. Wie soll ihr Leo da glauben? Und doch, er müßte ihr glauben, ja, er müßte ihr glauben.
Als sie sich wieder unter ihre Gäste mischt, ist sie noch ruhiger als zuvor. Höchstens, daß Leo Landowski erkennen könnte, daß sie bleicher geworden ist, mit kleinen Ängsten um die Augen und einer Strenge um die Mundwinkel, die zu ihr nicht paßt und die ihr selbst wehtut. Jetzt will sie es auch ruhig zugeben, daß diese Gesellschaft weder für sie die richtige ist noch für Leo. Aber wenn Leo lächelnd und im Gefühl, allen zu gefallen, durch die Zimmer gehen kann (und ihr jetzt gerade zunickt und das Zeichen macht, daß er es „immerhin ganz nett“ findet), so ist eben nicht zu leugnen, daß ihn die Eitelkeit immer wieder blind macht. Er braucht im Grunde diese Leute, die ihn nichts angehen, nur, um sich beweisen zu können, daß er kein Vorurteil hat. Stefanie ist den Rest des Abends wirklich unbrauchbar.
Sie verkriecht sich bei General Schilling, der im Juli bei ihrem Vater war, und läßt sich von Schloß Wangen erzählen. Mit einem gewissen Trotz möchte sie, daß sie von Heimweh geplagt würde, und sie verweilt mit ihren Fragen besonders lange an allen Lieblingsorten, dem Pferdestall, worin noch immer Mustapha und King stehen, dem Buchenwald, dem Streitweg, dem Gestüt Gollern, der Trauereschenlaube und dem Damensalon, in dem man von weit her die alten Tanten Tee trinken sah.
Aber es will sich keine Sehnsucht einstellen, denn Schilling spricht viel vom alten Grafen Wangen, der mit seinen siebzig Jahren noch beneidenswert rüstig sei, und Stefanie weiß, daß diese Rüstigkeit sich noch immer an Küchen- und Zimmermädchen beweist und das berühmte Wangensche Blut, das doch bekanntlich so hoch zu halten ist, in vielen Dorfkindern rollt. Sie muß an die verstorbene Mutter denken und schüttelt abwehrend die Hände. „Ganz schön,“ sagt sie und lacht Schilling an, „ganz schön… aber…“
Sie fühlt sich jetzt wirklich sehr einsam und muß sich zusammennehmen. Die Tränen sitzen dicht hinter den Augen. Die Menschen fühlen sich immer gemütlicher, lärmen und erzählen Witze. Amélie Stern hat im Kampf um Bleichert gesiegt, während Maimann strahlend seine Frau einherführt. Clara Höger kommt schnell für zwei Minuten angelaufen, um Stefanie zu fragen, was für ein Talent Teufelmann sei, ob es sich lohne, ihn zu rezitieren, und Teller hat in Fräulein Stübbecke ein Filmgesicht entdeckt. Leo verspricht Dr. Ahrberg eine namhafte Summe für Parteizwecke, kurzum, es ist rings freundliches Entgegenkommen, Händereichen, Versprechen, und außer den alten Schillings gehen nur Stefanie und der Getreidehändler Stern leer aus.
Читать дальше