1 ...6 7 8 10 11 12 ...16 Stern prüft immer wieder die Wirkung des neuen Kokoschka, den Landowskis erworben haben, einer spanischen Landschaft von ungewöhnlicher Trübe. Er unterhält sich mit Stefanie eine ganze Zeit über die Maltechnik, und es scheint Stefanie, als wolle er sich in die Fachausdrücke einarbeiten, da wohl Amélie jetzt Interesse für Malerei bekommen wird.
Endlich gehen aber die Gäste doch, und es gelingt Stefanie sogar sehr geschickt, einer Verlängerung der Gesellschaft durch die Intimen vorzubeugen, indem sie Claras schlechtes Gewissen ausnutzt und sich so herzlich von ihr verabschiedet, daß sie nicht bleiben kann.
Leo steht noch eine Weile mit ihr im leeren Ablageraum. „Nun?“ sagt er und sieht sie prüfend an.
„Die Saison hat also begonnen“, antwortet Stefanie und seufzt.
„Ein bißchen reichlich bunt, nicht?“ tastet Leo sich vor. Stefanie nickt. Nein, sie mag heute nichts sagen. Es käme zu bitter heraus.
Als sie dann allein auf ihrem Zimmer ist und sich langsam auszieht, fällt ihr erst genau ein, was sie eigentlich hätte sagen müssen. „Ich bin noch nicht so sicher, Leo,“ sagt sie leise, „du sollst nicht glauben, daß Clara Högers Leben oder selbst Amélie Sterns keinen Reiz für mich hat.“
Und als sie endlich im Bett liegt, setzt sie trotzig hinzu: „Ich habe ganz so gelebt wie die oder beinahe so. Nun sollst du mich behüten, daß es nicht noch einmal kommt.“
Sie liegt ganz still. Das Herz klopft. „Du sollst mich behüten“, wiederholt sie kleinmädchenhaft. Sie ist allmählich so getröstet, daß sie einschlafen kann.
VII
Ein anderes nächtliches Gespräch
Clara Höger verabschiedet sich vor der Tür von den anderen Gästen. Die meisten sind jetzt verstimmt und eilig. Sie wollen noch versuchen, die letzte Elektrische bei Roseneck zu erreichen. „Hopp, hopp“, ruft Rechtsanwalt Brettschneider und läuft, die Uhr schwingend, hinter seiner langen Frau her. Das Fußvolk schließt sich ihm zögernd an. Es bleiben nur die Autobesitzer zurück und die einen Platz in den Autos erwischt haben. Lutz Teller natürlich, der, wenn er Wert darauf legte, jedes Glied einzeln nach Hause fahren lassen könnte. Er hält es mit dem Reichtum und steigt bei Sterns ein, wo er allerdings den Maler Bleichert zum Nachbarn hat. Er bestätigt sich lächelnd, daß Frauen meist keinen Geschmack haben, und er muß es ja wissen.
Frau Weiland hat mit Fräulein Stübbecke bei Wedderstedts Platz genommen, und Frau Wedderstedt bekommt infolgedessen furchtbare Migräne. Maimanns sind zu versöhnt, um nicht allein fahren zu müssen. Direktor Knesebeck hat sich die Ehre erbeten, Schillings und Geheimrat Lerchenstätt nach Hause bringen zu dürfen, und so bleibt zum Schluß nur noch Clara Höger mit Teufelmann und ihrem Auto zurück.
Die Nacht ist warm. Viel zu warm eigentlich für das Fehcape, das die Schauspielerin trägt und aus dem nur unten ein Stückchen der dünnen Beine herausragt, oben die große runde Stirn und die schwere Krone aus rostbraunem Haar. Clara Höger läßt das kleine schwarze Auto in Rufweite vorausfahren, schlägt das Cape um sich und geht langsam die Straße hinunter, ohne Teufelmann zum Mitkommen aufzufordern. Er soll selbst tun, was er für richtig hält, denkt sie. Sie hat keinen Grund, ihm die Sache zu erleichtern.
Teufelmann trägt den Mantel offen, aber er hat den Mantelkragen hochgeschlagen. Er findet, daß ihm das gut steht. Den zu kleinen schwarzen Hut — Leo Landowski hat ihn schon oft gefragt, ob eine Nummer größer nicht das gleiche kostet — hat er in der Hand. Den kurz geschorenen Dickschädel wendet er eilig hin und her. Er ist begeistert über die Gärten zu beiden Seiten, über die Bäume, und daß man Sternenhimmel durch Blätter ansehen kann. Die Frau, die ein paar Schritt vor ihm geht, langsam und lautlos, auf Gummipfoten wie das Auto, findet er herrlich. Er betrachtet Haar, Pelz, Seidenstrumpf und Schuh mit Rührung.
Sie gehen eine ganze Weile im Tempo eines Leichenzuges, das Auto voran, Clara dann und Teufelmann am Schluß. Als Clara endlich stehenbleibt, bleibt auch Teufelmann stehen, nickt ihr freundlich zu und weist auf das Auto, das gerade in schönem Bogen um die Ecke rollt.
Die Höger geht noch ein Stückchen weiter, sie ist erstaunt. Das scheint also anders zu sein als das Übliche. Jeder andere Mann hätte seine Männchen gemacht, mit Geist oder mit Witzen geworfen. Sie hat sich damit abgefunden. Das ist eben so. Ein bißchen langweilig, ein bißchen eklig und die Einleitung zu einem Spiel, das wenigstens manchmal Genuß bringt.
Sie bleibt jetzt stehen, läßt den Dichter herankommen und mustert ihn mit ihren ruhigen grauen Augen, deren hypnotische Kraft von führenden Kritikern gerühmt wird. Teufelmann kommt bis auf drei Schritt heran, hebt sich auf die Zehen und versucht Gleichgewicht zu halten, indem er mit ausgestreckten Armen — am Ende des einen hängt das Hütchen — in der Luft herumfährt. „Es geht“, sagt er und kippt dabei um. Fast hätte er die Höger umgestoßen, aber sie ist noch ausgewichen, und so fliegt er gegen einen der jungen Ahornstämme, von denen die Straße eingefaßt ist. Danach gehen sie ein Stück zusammen, indem sie einander mit unverfälschter Neugier betrachten. „Also, wer sind Sie?“ bricht die Höger ungeduldig das Schweigen. „Was sind das für Geschichten?“
Teufelmann, der bis zu diesem Augenblick harmlos seinen Launen gefolgt ist, findet sich mit einemmal außergewöhnlich, und nur seine natürliche Schlauheit hindert ihn, in Prahlereien auszubrechen. „Freilich wird um Gedichte nicht so viel Lärm gemacht wie um euch Gedichtsprecher,“ sagt er unfreundlich, „ich kenne Sie natürlich von der Bühne, aber Sie kennen mich nicht.“
Die Schauspielerin winkt ungeduldig ab, sie zieht aus ihrer Handtasche eine Trillerpfeife und pfeift ein merkwürdiges Signal.
„Ballade von Saint-Saëns“, sagt Teufelmann anerkennend.
Die Höger nickt, die Pfeife im Mund, und da das Auto noch nicht gehört hat, pfeift sie die ganzen vier ersten Takte. Sie muß dazu die Backen aufblasen, weil sie den hohen Ton sonst nicht herausbekommt.
Endlich kehrt das Auto um. „Eine gewöhnliche Dreitonpfeife,“ erklärt sie jetzt dem Lyriker, „es ist gar nicht so einfach.“
Teufelmann nimmt die Pfeife in die Hand, prüft sie eingehend. Nein, er kann das jedenfalls nicht. Beinah finster reicht er sie Clara zurück.
„Ja — nun kann ich wohl mitfahren?“ sagt Teufelmann, und dieses „nun“ entwaffnet die Höger. Sie steigt ein und klappt das Cape zurück, weil es im Wagen wirklich zu heiß ist. Teufelmann kann kaum Platz finden neben dem vielen Pelz.
Clara Höger bewohnt nur eine Dreizimmerwohnung in der Brandenburgischen Straße, aber sie hat zwei Dienstmädchen, von denen eins stets bereit sein muß, wann immer die Herrin nach Hause kommt. Für ihre Dienstmädchen, die stets außergewöhnlich hübsch sind, gibt sie viel Geld aus. Man soll seine Freunde in Versuchung führen, ist eine ihrer Lebensregeln.
Diesmal hat Katja Dienst, eine Bayerin aus der Holledau, ein sehr reiner Typ dieser Gegend, mit zarter Haut, schrägen Augen und entzückend gewölbten Wangen. Sie nimmt den Ankommenden ernst die Mäntel ab, und während die Höger ins Schlafzimmer geht, führt sie Teufelmann ins Bibliothekzimmer, einen Raum, in dem sich nur Bücher und Diwane befinden. Gleich darauf erscheint sie mit Mokka, Schnaps und Zigaretten, baut das alles vor dem Dichter auf und bringt auch einen Kimono, den sie ohne nähere Erklärung auf das Fußende des Diwans legt.
Alex Teufelmann hat die Hände hinter dem Kopf verschränkt und starrt vor sich hin. Nein, es gefällt ihm nicht. Zu viel Routine! Soll er sich ausziehen? Ist das fein oder verführerisch? Außerdem gehen ihm die ersten Zeilen des Hymnus nicht aus dem Kopf, den er auf Clara Höger dichten wird:
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