1 ...8 9 10 12 13 14 ...18 Der Mann vom US-Generalkonsulat, offenbar ein Jurist, erhob sich ebenfalls, blieb aber stehen und unterstrich seine Worte mit übertrieben großen Gesten. Er nannte ein halbes Dutzend Vereinbarungen, Bestimmungen, Paragraphen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland, erwähnte auch das Besatzungsrecht der US-Truppen. Er sagte, amerikanische Institutionen würden diesen Fall übernehmen und damit die deutsche Polizei entlasten, und zu Lohmer gewandt, es sei eben genauso, als ob US-Soldaten in Straftaten verwickelt seien, diese Fälle würden ja auch von der Military Police der US Army in der Bundesrepublik übernommen, in Süddeutschland sei das ganz alltäglich.
»Wir möchten Sie also dringend auffordern, ab sofort keinerlei eigene Ermittlungen mehr in dieser Sache anzustellen, uns jedoch in jeder Hinsicht zu unterstützen, wenn wir Sie darum bitten.« Der Mann vom Generalkonsulat setzte sich wieder, als habe er ein Plädoyer beendet.
»Selbstverständlich, Herr Doktor ... Herr Doktor Evans.«
Kohlschmidt blickte auf die Visitenkarte in seinen Händen und nickte beflissen. Lohmer merkte, wie Zorn in ihm aufstieg. Es war einer der Momente, in denen er seinen Vorgesetzten verachtete – wegen dessen kriecherischer Haltung gegenüber jeder Art von echter oder vermeintlicher Autorität. Wütend wollte er etwas Abfälliges, möglichst etwas Ehrenrühriges sagen, warf dann statt dessen den noch halbvollen Kaffeebecher zwei Meter weit in einen neben Kohlschmidts Schreibtisch stehenden Papierkorb. Ein paar braune Spritzer trafen noch Kohlschmidts Hosenbeine. Der zuckte zusammen und wurde rot, als habe er eine Ohrfeige erhalten. Lohmer verließ grußlos das Zimmer. Als er über den Flur ging, hörte er hinter sich die Stimme seines Vorgesetzten: »... unmögliche Benehmen meines Mitarbeiters ... entschuldige ich mich.«
Jemand hatte die Cuxhavener Nachrichten auf Lohmers Schreibtisch gelegt. »Oppositionsgruppen in der DDR fordern freie Wahlen«, lautete die Schlagzeile. Auf der ersten Lokalseite unten rechts stand ein Bericht mit einem Foto der Dörte III und der Zeichnung des angeblichen William J. Berrigan. Die Überschrift lautete: »Geheimnisvoller Amerikaner verschwunden – Herrenlose Jacht trieb auf der Oste«. Lohmer begann unkonzentriert zu lesen. Es klopfte. Bernhard Greenberg steckte seinen massigen Kopf und die breiten Schultern mit der Uniformjacke durch die Tür. »Kann ich trotzdem reinkommen ...?«
Lohmer reagierte nicht. Greenberg warf seine Mütze auf einen Garderobenhaken, zog einen Stuhl heran und setzte sich. Er bot Lohmer eine Chesterfield an. Der lehnte mürrisch ab. Greenberg erzählte, als wolle er sich entschuldigen: Zu seiner Überraschung seien heute morgen »die beiden Leute da drüben« mit dem Hubschrauber in Bremerhaven eingeschwebt. »Im Auftrag von Washington, haben sie gesagt. Der militärische Geheimdienst und die CIA sind äußerst beunruhigt.« Während sie hier säßen, seien bereits Hubschrauber und ein paar Dutzend Taucher von der Army in Bremerhaven in Anmarsch. Sie sollten den Fluß absuchen, nach diesem verdammten Rosenblatt ...
»Falls die jetzt schon eine Leiche suchen, ist das totaler Blödsinn«, sagte Lohmer.
»Warum?«
»Weil die jetzt unten auf dem Grund liegen würde. Eine Leiche schwemmt erst am dritten Tag wieder auf, wenn sich bestimmte Fäulnisgase gebildet haben. So lange muß man eben warten können.«
»Aha«, sagte Greenberg und rieb sich die Hände, als sei ihm kalt. »Ich wäre dir doch sehr dankbar, wenn du in dieser Sache mit mir, mit uns, zusammenarbeiten würdest. Wir brauchen natürlich einen Mann mit deiner Erfahrung und deinen Ortskenntnissen.« Lohmer schwieg.
»Mir haben die auch nicht gesagt, was es mit dem Rosenblatt eigentlich auf sich hat, fuhr Greenberg fort. Bisher jedenfalls nicht. So ist das nun mal, wenn es um Staatsgeheimnisse geht, halten sie kleine Leute wie uns so lange wie möglich raus ...«
Lohmer sagte noch immer nichts.
»Bist du sauer?«
»Stinksauer.«
»Warum?«
»Warum? Ich bin sauer auf mich und auf diesen Arschkriecher, der mein Chef ist. Ich komme mir wie ein dummer Schuljunge vor! Wie ein Idiot.«
Und als Greenberg nicht verstand, was er meinte, erklärte Lohmer, daß er soeben eine Lektion erhalten habe: er sei zwar erst nach Kriegsende geboren, aber in seinem eigenen Lande herrsche noch immer Besatzungsrecht, man solle sich da nichts vormachen, das sei in der Bundesrepublik keinen Deut besser als in der von Sowjettruppen besetzten DDR.
»Wir sind kein souveräner Rechtsstaat, sondern eine amerikanische Kolonie! Da habe ich einen Fall direkt vor meiner eigenen Haustür, und da kommt ein gewisser Bernie Greenberg, aus Michigan oder Iowa oder wo du herstammst, mit zwei merkwürdigen Landsleuten und nimmt mir den Fall weg! Einfach so ... als sei das die selbstverständlichste Sache der westlichen Welt ...!« Lohmer redete sich in Rage. »Eure Politiker und eure Propagandaleute wollen uns seit Kriegsende einreden, wir seien eure demokratischen Partner, eure Freunde – in Wahrheit sind wir eure nützlichen Idioten in der NATO, euer Abladeplatz für Raketen und Atomsprengköpfe und diesen ganzen Scheiß und der Absatzmarkt für Coca Cola und Hamburger ...«
Greenberg sah seinen deutschen Kollegen mit halboffenem Mund an. Eine Chesterfield glimmte zwischen seinen Lippen. Schließlich nahm er die Zigarette heraus und schnippte die Asche auf den Linoleumboden.
»Wenn ich nicht wüßte, daß du sonst ein prima Kerl bist, würde ich sagen: Du redest wie ein verdammter Kommunist!«
»Na und ...? Vielleicht haben die ja recht! Wenigstens in dieser Hinsicht!«
Lohmer schlug mit der flachen Hand auf die Zeitung. Genau auf das Bild des verschwundenen Amerikaners.
Montag, 2. Oktober 1989
Der auffallend blasse junge Mann nahm sich drei Bananen aus einer der Kisten, die der Gemüsehändler schon am Morgen vor seinen kleinen Laden neben dem feinen Willard-Hotel in Washington gestellt hatte. Donald Ingham ließ sich auf einen Dollar zehn Cent herausgeben. Er hatte noch nichts gegessen, aber zuviel geraucht und zuviel Kaffee getrunken. Seine Augen waren gerötet. Sein Magen knurrte immer häufiger. Ingham hoffte, das peinliche Geräusch durch den Verzehr der Südfrüchte so lange unterdrücken zu können, bis er das Oval Office wieder verlassen würde.
Natürlich hätte er auch eines der Büromädchen zum Einkaufen schicken können, aber er hatte die Nacht durchgearbeitet und wollte noch frische Luft schnappen an diesem milden Indian-Summer-Tag, an dem sich ein blaßblauer Himmel wolkenlos über der amerikanischen Hauptstadt wölbte. Ingham ging am Schatzministerium vorüber, das er früher wegen der gewaltigen Eingangssäulen für ein neoklassizistisches Theater gehalten hatte und spazierte mit den Bananen in der Hand an dem drei Meter hohen schmiedeeisernen Zaun an der Ostseite des Weißen Hauses entlang. Eine endlose Schlange von Menschen wartete hier bereits auf Einlaß in jenen Teil des vierstöckigen Präsidentensitzes, dessen Ostflügel wochentags zur Besichtigung für das Volk freigegeben wird. Keiner der Touristen, die an diesem prächtigen Herbstmorgen durch Washington spazierten, wäre auf die Idee gekommen, daß der junge Mann, der noch mitten auf dem Hamilton Plaza in die erste Banane biß, in gut einer halben Stunde eine Verabredung mit dem amerikanischen Präsidenten haben würde.
Aus den Lautsprechern, die hinter dem Zaun unter Büschen versteckt sind, klang Marschmusik, gespielt von der Bigband der US-Navy. Im Lafayette Park sonnten sich ein paar Dutzend Jugendliche, meist politisch links engagierte Demonstranten, hinter ihren Schildern und Spruchbändern: »Hände weg von Panama« – »CIA raus aus Nicaragua!« – »Freiheit für das palästinensische Volk!«
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