Eriksson
Herbst der Vergeltung
Erik Eriksson
Herbst der Vergeltung
Kriminalroman
© 2009 Oktober Verlag, Münster
Der Oktober Verlag ist eine Unternehmung
des Verlagshauses Monsenstein und Vannerdat OHG, Münster
www.oktoberverlag.de
Alle Rechte vorbehalten
Originaltitel: Hämnarnas höst
Übersetzung aus dem Schwedischen: Christine Bode-Wein
Satz: Anh Nguyen
Umschlag: Linna Grage
unter Verwendung eines Fotos von www.istockphoto.com/knape
eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmund www.readbox.net
ISBN: 978-3-938568-88-0
DIE NACHBARN
Die Straße war nach dem Regen wie blank gescheuert, bläulich blank, und dann war da noch der leicht säuerliche Duft von etwas, von dem Birgitta dachte, dass sie es wiedererkannte. Sie kam nicht darauf, was es war.
Etwas Reines auf jeden Fall, etwas, das mit Spanien zu tun hatte oder vielleicht auch mit Irland. Manchmal vermischten sich die Länder in ihrer Erinnerung, nicht weil sie sich so ähnlich waren, sondern weil Birgitta in ihrer Jugend sowohl einige Monate in Malaga als auch in Dublin gelebt und einige Reisen zwischen den beiden Städten gemacht hatte.
Sie blieb stehen, als die Dufterinnerung sie erreichte. Der Duft war schwach, aber ein wenig beunruhigend, er stammte aus der Zeit, die die beste ihres Lebens gewesen war.
Sie hatte Bengt nicht davon erzählt. Er wusste nicht mehr, als dass sie zunächst als Au-pair in England gelebt hatte und dann mit ihrer dortigen Gastfamilie nach Irland gezogen war, denn die Ehefrau war Irin gewesen. Im Sommer hatte sie mit der Familie in den Urlaub nach Spanien fahren dürfen. Daran war nichts Falsches. Aber sie hatte auch einige Reisen auf eigene Faust unternommen, zu dem jungen Mann, den sie in Dublin kennen gelernt hatte. Vor langer Zeit. Der Duft führte sie in diese Zeit zurück, und für einen Augenblick befand sie sich in einer anderen Straße.
Dann war sie wieder in der Klarabergsgata in Stockholm nach dem heftigen Regenschauer, einem von den zahlreichen in diesem merkwürdigen Regensommer.
Birgitta hatte auf dem Heimweg von der Arbeit Schnaps und Starkbier gekauft. Die Tüte aus dem Spirituosengeschäft lag in der Einkaufstasche zusammen mit Schweinefilet, Tomaten und Zwiebeln. Sie warf einen Blick auf die Uhr der Klarakirche, als sie zum Hauptbahnhof eilte: Viertel nach vier, sie würde den Pendelzug um fünf vor halb nach Älvsjö bekommen, dann noch schnell unterwegs Zigaretten und die Abendzeitung holen, viertel nach fünf zu Hause sein und im besten Fall kurz nach sechs das Essen fertig haben.
Bengt wollte, dass das Essen fertig war, wenn er kam. Birgitta wollte ihn nicht enttäuschen.
Er kam von einer mehrtägigen Arbeit in Hallstavik zurück, er war länger dort geblieben und hatte Überstunden gemacht bei irgendetwas, das in einer Papierfabrik dort ausgebessert werden musste, irgendetwas Elektrischem. Er würde sicherlich müde sein, er würde Essen haben wollen und einige Schnäpse und Biere nach all der Arbeit. Birgitta hoffte, dass es gut für ihn gelaufen war und dass er alles geschafft hatte. Das hoffte sie wirklich.
Als sie auf dem Bahnsteig stand, roch sie wieder diesen säuerlichen Geruch. Aber jetzt gab es nichts in der Nähe, das den Ursprung des Geruchs erklären konnte. Sie begriff, dass er aus Irland war, es waren die Bäume, wenn es geregnet hatte, der Dampf von der feuchten Erde. Im Juli, so wie jetzt. Obwohl jetzt nichts so sein konnte, wie es damals war.
Birgitta wusste, dass der Duft eine Erinnerung war, und ihr fehlten die Worte, vielleicht nicht für das Erlebte, aber für den Duft.
Das Aftonbladet war ausverkauft. Birgitta nahm den Expressen , sie hatte nie verstanden, was die beiden Zeitungen unterschied. Und sie kaufte eine Stange Kent mit Filter zum Sonderpreis, statt der grünen Marlboros, die sie und Bengt normalerweise rauchten. So sparte sie dreißig Kronen.
Um viertel nach sechs saßen sie am Tisch. Die Söhne saßen vollkommen still, als Birgitta Bengt von dem Filettopf auftat. Sie sah ihn an, hoffte, er würde etwas sagen. »Reicht das?«, fragte sie. Er nickte leicht, goss sich den ersten Schnaps ein, fragte nicht, ob sie auch wollte, weil er wusste, dass sie Hochprozentiges nicht mochte. Sie begnügte sich mit Bier, hätte Wein vorgezogen, wollte aber keine Umstände machen.
»Ich habe billige Zigaretten gekauft«, sagte sie.
Als er nicht antwortete, wusste sie, dass er schlecht gelaunt war.
»Dabei habe ich einiges gespart.«
Er kippte den Schnaps hinunter.
Birgitta tat den Söhnen Essen auf die Teller, eine große Portion für Ola, der immer hungrig war, und eine etwas kleinere für Per-Erik.
»Nicht so viel«, flüsterte er.
»Das ist doch gar nicht viel«, sagte Birgitta.
Bengt hob den Blick in Richtung des Jungen, der auf den Teller hinunter sah, als er begann, mit der Gabel in der Tomatensoße herumzustochern, die ein einsames Filetstück umgab.
Bengt goss sich den zweiten Schnaps ein.
Birgitta fühlte deutlich, dass ihr Mann missgelaunt war und überlegte, was der Grund sein konnte. Mochte er das Essen nicht, hatten die Jungs ihn geärgert? Sie kam nicht darauf.
Auch die Jungen spürten die gedrückte Stimmung. Sie sprachen nicht miteinander, wie sie es sonst taten, sahen hinunter auf ihre Teller, und nun fingen sie konzentriert an zu essen, als ob das Geräusch von kratzenden Gabeln und mahlenden Zähnen die Worte ersetzen konnte. Bengt erhob sich mit einem Seufzer. Er hatte nicht aufgegessen. Birgitta begriff, dass er ihr Essen nicht mochte, obwohl sie den Filettopf genau wie sonst gekocht hatte.
»Bist du müde?«, versuchte sie es.
»Ich gehe raus und hole Zigaretten«, antwortete er.
Er klang verlegen, und vielleicht gab es da auch einen schwachen Unterton, von dem sie gelernt hatte, ihn wieder zu erkennen: etwas beleidigt, das zurückgehaltene Selbstmitleid des gekränkten Mannes.
Jetzt wusste Birgitta Bescheid, und sie fühlte Unruhe. Trotzdem wurde der Abend ruhig. Bengt trank seine Biere, und sie sahen Fernsehen, eine amerikanische Komödie mit Dolly Parton. Sie gingen vor Mitternacht zu Bett.
Birgitta wusste, wie er es haben wollte. Sie legte sich auf den Rücken, nahm ihn entgegen, half ihm hinein. Als er eingeschlafen war, fühlte sie mit der Hand nach und bemerkte, dass er nicht gekommen war.
Sie lag ziemlich lange wach und hörte, wie er schnarchte. Ihre Unruhe war immer noch da. Sie schlief ein, als es hell wurde. Aber dann schlief sie tief und fest.
Er wachte zuerst auf, hatte einen trockenen Mund und wandte sich zu ihr, hörte ihre tiefen, ruhigen Atemzüge und dachte, dass sie morgens immer so unglaublich tief zu schlafen pflegte.
Nein, vielleicht nicht immer, aber meistens tat sie das.
Er fühlte Zorn in sich aufwallen. Sie war immer so verdammt unbeschwert, so irgendwie unbeteiligt, so unempfänglich für seine Gedanken, sie kümmerte sich nicht darum, was er tun wollte.
Sie hätte ihn fragen können, aber das tat sie nicht.
Sie könnte sich ein wenig bemühen, aber das tat sie nicht, sie könnte ein wenig helfen, es gab Frauen, die das taten, die ihren Männern ein wenig halfen.
Er zog die Decke mit sich, als er aus dem Bett stieg. Ihre Beine lagen weiß und bloß, das Nachthemd war hoch gerutscht, der Schoß war entblößt, das schwarze Haar glänzte ein wenig. Er verstand nicht, warum es glänzte, er empfand es wie blanken Hohn, so als ob sie das bekommen hatte, was er ihr nicht gegeben hatte.
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