Erich Maria Remarque - Der Weg zurück

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In den Schützengräben an der Westfront erleben Ernst Birkenholz, der Ich-Erzähler, und seine Kameraden das Ende des Ersten Weltkriegs, worauf sie sich auf den Weg nach Hause machen. Dort angekommen, müssen sie feststellen, dass sie nicht als Helden gefeiert werden, sondern dass von der Kriegsbegeisterung, mit der man sie Jahre zuvor in den Krieg „gelockt“ hat, nichts mehr übrig ist. Ein Großteil der Bevölkerung, unter anderem auch die Eltern und Ehefrauen von Ernst und seinen Kameraden, kann und will nicht anerkennen, dass die Jahre des Krieges die jungen Soldaten verändert und traumatisiert haben. Der Einstieg in das für die Soldaten ziel- und belanglose zivile Leben erscheint ihnen nach dem Leben im Schützengraben unmöglich. Die ehemaligen Soldaten fühlen sich immer weiter von der Gesellschaft ausgeschlossen und orientierungslos. Während einige sich als skrupellose Schieber aus der Not der Bevölkerung Kapital schlagen, enden andere im Irrenhaus, Gefängnis oder begehen Selbstmord. Ernst Birkenholz beendet sein durch den Krieg unterbrochenes Studium am Lehrerseminar und tritt eine Stelle als Lehrer in einem Dorf an, welche er jedoch bereits kurze Zeit später wieder kündigt, da ihn die Perspektive auf ein ewig gleichförmiges Leben abschreckt. Zu diesem Zeitpunkt tritt sein psychisches Trauma weiter in den Vordergrund was in einem Nervenzusammenbruch endet. Das Buch endet damit, dass der Protagonist erkennt, dass vieles durch den Krieg zerstört wurde, aber auch manches wieder aufzubauen und wieder gutzumachen ist.

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Erich Maria Remarque

Der Weg zurück

Eingang

Der Rest des zweiten Zuges liegt in einem zerschossenen Grabenstück hinter der Front und döst.

«Komische Art von Granaten — «, sagt Jupp plötzlich.

«Wieso?«fragt Ferdinand Kosole und richtet sich halb auf.

«Hör doch!«antwortet Jupp.

Kosole legt eine Hand hinters Ohr und lauscht. Wir horchen ebenfalls in die Nacht hinaus. Aber es ist nichts anderes zu vernehmen als das dumpfe Geräusch des Artilleriefeuers und das hohe Zwitschern der Granaten. Von rechts kommt dazu nur noch das Knarren von Maschinengewehren und ab und zu ein Schrei. Aber das kennen wir nun seit Jahren, deshalb braucht man doch nicht extra den Mund aufzumachen.

Kosole sieht Jupp bedenklich an.

«Jetzt hat's gerade aufgehört«, verteidigt sich der verlegen.

Kosole mustert ihn noch einmal forschend. Da Jupp jedoch ruhig bleibt, wendet er sich ab und brummt:»Dir zischt der Kohldampf im Bauch, das sind deine Granaten. Solltest lieber ein Auge voll Schlaf nehmen.«

Dabei klopft er aus der Erde eine Kopfstütze zurecht und streckt sich vorsichtig so aus, daß seine Stiefel nicht ins Wasser rutschen können.»Mensch, zu Hause hat man nun 'ne Frau und ein zweischläfriges Bett«, murmelt er, schon mit geschlossenen Augen.

«Wird schon einer dabei liegen«, gibt Jupp aus seiner Ecke zurück. Kosole öffnet ein Auge und wirft ihm einen scharfen Blick zu. Er sieht aus, als wollte er doch noch auf stehen. Dann aber knurrt er:»Möcht ich ihr nicht raten, du Rheineule. «Gleich darauf schnarcht er bereits.

Jupp macht mir ein Zeichen, zu ihm herüberzuklettern. Ich steige über Adolf Bethkes Stiefel und setze mich neben ihn. Mit einem behutsamen Blick nach dem Schnarchenden bemerkt er bitter:»Keine Ahnung von Bildung hat so was, sage ich dir.«

Jupp war vor dem Kriege Schreiber bei einem Rechtsanwalt in Köln. Obwohl er schon drei Jahre Soldat ist, hat er immer noch ein empfindliches Gemüt und legt sonderbarerweise Wert darauf, hier draußen ein gebildeter Mensch zu sein. Worum es sich dabei genau handelt, weiß er selbst natürlich auch nicht; aber von allem, was er früher einmal gehört hat, ist ausgerechnet das Wort Bildung bei ihm hängengeblieben, und er klammert sich daran wie an eine Planke im Meer, um nicht unterzugehen. Jeder hat hier so irgend etwas, der eine seine Frau, der andere sein Geschäft, der dritte seine Stiefel, Valentin Laher seinen Schnaps und Tjaden den Wunsch, noch einmal dicke Bohnen mit Speck zu fressen. Kosole hingegen wird durch das Wort Bildung ohne weiteres gereizt. Er bringt es irgendwie mit dem Begriff Stehkragen zusammen, und das genügt ihm. Sogar jetzt wirkt es. Ohne sein Schnarchen zu unterbrechen, äußert er kurz:»Du Miststock von Schreiberseele.«

Jupp schüttelt resigniert und erhaben den Kopf. Eine Weile sitzen wir schweigend dicht nebeneinander, um uns zu wärmen. Die Nacht ist naß und kalt, Wolken ziehen, und manchmal regnet es. Dann nehmen wir die Zeltbahnen, auf denen wir hocken, und hängen sie über unsere Köpfe.

Am Horizont leuchtet das Mündungsfeuer der Geschütze. Man hat den Eindruck, es müsse dort eine weniger kalte Gegend sein, so gemütlich sieht es aus. Wie bunte und silberne Blumen steigen die Raketen über das Wetterleuchten der Artillerie hinaus. Groß und rot schwimmt der Mond in der diesigen Luft über den Ruinen einer Ferme.

«Glaubst du, daß wir nach Hause kommen?«flüstert Jupp.

Ich zucke mit den Schultern.»Es heißt ja so. —«

Jupp atmet laut.»Ein warmes Zimmer und ein Sofa und abends ausgehen — kannst du dir das noch vorstellen?«

«Bei meinem letzten Urlaub habe ich mein Zivilzeug anprobiert«, sage ich nachdenklich,»aber es ist mir viel zu klein geworden; ich müßte neue Sachen haben. «Wie wunderlich das alles hier klingt: Zivilzeug, Sofa, Abend —. Sonderbare Gedanken kommen einem hoch dabei — wie schwarzer Kaffee, wenn er manchmal zu sehr nach dem Blech und Rost des Kochgeschirrs schmeckte und man ihn heiß und würgend wieder erbrach.

Jupp bohrt versonnen in der Nase.»Menschenskind, Schaufenster

— und Cafes — und Weiber.«

«Ach, Mann, sei froh, wenn du zuerst mal aus der Scheiße hier raus bist«, sage ich und blase in meine kalten Hände.

«Hast recht. «Jupp zieht die Zeltbahn über seine mageren, krummen Schultern.»Was machst du denn, wenn du hier weg bist?«

Ich lache.»Ich? Ich werde wohl wieder zur Schule müssen. Ich und Willy und Albert — und sogar Ludwig drüben auch. «Damit zeige ich rückwärts, wo jemand vor einem zerschossenen Unterstand liegt, mit zwei Mänteln zugedeckt.

«Ach, verflucht! Aber das werdet ihr doch nicht machen?«meint Jupp.

«Weiß ich nicht. Werden wir wohl müssen«, antworte ich und werde wütend, ohne zu wissen warum.

Unter den Mänteln regt es sich. Ein blasses, schmales Gesicht hebt sich hoch und stöhnt leise. Dort liegt mein Mitschüler, der Leutnant Ludwig Breyer, unser Zugführer. Seit Wochen hat er blutigen Durchfall, es ist zweifellos Ruhr, aber er will nicht zurück ins Lazarett. Er will lieber hier bei uns bleiben, denn wir warten alle darauf, daß es Frieden gibt, und dann können wir ihn gleich mitnehmen. Die Lazarette sind übervoll, niemand kümmert sich da recht um einen, und wenn man erst auf so einem Bett liegt, ist man gleich schon ein Stück mehr tot. Rundum krepieren die Leute, das steckt an, wenn man allein dazwischen ist, und ehe man sich's versieht, ist man dabei. Max Weil, unser Sanitäter, hat Breyer eine Art flüssigen Gips besorgt, den frißt er, damit die Därme auszementiert werden und wieder Halt kriegen. Trotzdem läßt er den Tag so zwanzig-, dreißigmal die Hosen herunter.

Auch jetzt muß er wieder nebenan. Ich helfe ihm um die Ecke, und er hockt sich nieder.

Jupp winkt mir:»Hörst du, da ist es wieder!«

«Was denn?«

«Die Granaten von vorhin.«

Kosole rührt sich und gähnt. Dann erhebt er sich, sieht seine schwere Faust bedeutungsvoll an, schielt nach Jupp und erklärt:»Mann, wenn du uns jetzt aber wieder Fiole vorgemacht hast, kannst da deine Knochen im Rübensack nach Hause schicken. «Wir lauschen. Das Zischen und Pfeifen der unsichtbaren Granatbögen wird unterbrochen durch einen sonderbaren, heiseren, langgezogenen Laut, der so seltsam und neu ist, daß mir die Haut schauert.

«Gasgranaten!«ruft Willy Homeyer und springt auf.

Wir sind alle wach und horchen angespannt.

Weßling zeigt in die Luft.»Da sind sie! Wilde Gänse!«

Vor dem trüben Grau der Wolken zieht dunkler ein Strich, ein Keil. Die Spitze steuert den Mond an, jetzt durchschneidet sie seine rote Scheibe, deutlich sind die schwarzen Schatten zu sehen, ein Winkel von vielen Flügeln, ein Zug mit quarrenden, fremden, wilden Ru- len, der sich in der Ferne verliert.

«Da gehen sie hin«, knurrt Willy.»Verflucht, wer auch so abhauen könnte 1 Zwei Flügel, und dann weg!«

Heinrich Weßling sieht hinter den Gänsen her.»Jetzt wird's Winter«, sagt er langsam. Er ist Bauer, er weiß so was.

Ludwig Breyer lehnt schwach und traurig an der Böschung und murmelt:»Das erste Mal, daß ich welche sehe.«

Aber am muntersten ist mit einem Schlage Kosole geworden. Er läßt sich die Sache rasch noch einmal von Weßling erklären und fragt vor allem, ob wilde Gänse so groß wie Mastgänse wären.»Ungefähr«, sagt Weßling.

«Meine Fresse noch mal«, Kosole zittern die Kinnbacken vor Aufregung,»dann fliegen da ja jetzt so fuffzehn, zwanzig tadellose Braten durch die Luft!«

Wieder rauscht es von Flügeln dicht über uns, wieder stößt uns der rauhe, kehlige Ruf wie ein Habicht in die Schädel, und das Klatschen der Schwingen vereinigt sich mit den ziehenden Schreien und den Stößen des stärker werdenden Windes zu einem heftigen, jähen Begriff von Freiheit und Leben.

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