Karl-Olof Ackerot
Ein Kindermord erschütterte Schweden: Der Fall Bobby
Übersetzt
Patrick Zöller
vom ehemaligen Kriminalkommissar Karl-Olof Ackerot, Göteborg
Saga
Ein Kindermord erschütterte Schweden: Der Fall Bobby Übersetzt Patrick Zöller Original Sagen Bobby rystede hele landet Coverbild/Illustration: https://docplayer.se/747392-Veckans-fallet-bobby-skakade-hela-landet-ur-nordisk-kriminalkronika-2007-www-spifab-se-www-facebook-com-spifab.html Copyright © 2008, 2020 Karl-Olof Ackerot und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726737776
1. Ebook-Auflage, 2020
Format: EPUB 3.0
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Mit Worten lassen sich die fürchterlichen Leiden nicht beschreiben, denen der zehnjährige Bobby in seinem Zuhause wiederholt ausgesetzt war. Um den Jahreswechsel 2005-2006 wurde der an Autismus erkrankte Junge über mehrere Wochen so schwer misshandelt, dass das Gericht später von Folter sprach. Die Misshandlungen führten schließlich zu Bobbys Tod.
Nach dem Tod des Jungen versuchten der Mörder und seine Lebensgefährtin gemeinsam, den Todesfall zu vertuschen und meldeten ihn als vermisst. Kurz zuvor hatten sie seine Leiche in einem See in der Nähe ihres Hauses versenkt.
Allerdings gab es eine Reihe von Umständen, die dazu führten, dass die Polizei den Fall aufklären konnte.
Die Mutter des Jungen und ihr Lebensgefährte wurden zu langen Haftstrafen verurteilt, jedoch nicht wegen Mordes. Der Stiefvater des Jungen legte vor dem Obersten Gerichtshof Berufung gegen das Urteil ein, die aber Ende 2006 abgewiesen wurde.
Zehnjähriger unterwegs als vermisst gemeldet
Am Sonntag, den 29. Januar 2006 rief ein Mann namens Eddy Larsson in der Notrufzentrale der Polizei an und teilte mit, der zehnjährige Bobby, Sohn seiner Lebensgefährtin, sei verschwunden. Ein Streifenwagen wurde zum Coop Bäckebol auf Hisingen in Göteborg geschickt, und kurz darauf trafen die Beamten dort auf Eddy und seine Lebensgefährtin Niina Äikiä.
Eddy Larsson berichtete, sie seien zu dritt mit dem Auto von Småland nach Stenungsund unterwegs, um Niinas Mutter Vuokko zu besuchen. Sie hätten in Bäckebol gehalten, um ein kleines Geschenk für sie zu kaufen.
Niinas Sohn – Eddy war nicht der biologische Vater des Jungen – litt an FraX, einer Krankheit ähnlich ADHS. Diese Krankheit wird durch einen Gendefekt auf dem X-Chromosom hervorgerufen und zieht Entwicklungsstörungen nach sich. Bobby befand sich in seiner Entwicklung auf dem Niveau eines Vierjährigen. Außerdem hatte man bei ihm ADHS und autistische Symptome diagnostiziert (Anmerkung des Verfassers).
Eddy erklärte weiter, Bobbys Krankheit äußere sich in Form von Konzentrationsstörungen, Nervosität und Aufgekratztheit. Er beschrieb Bobby als menschenscheu und fügte hinzu, der Junge sei in den letzten Tagen wütend gewesen, weil er nicht zur Schule wollte.
Er hätte sich geweigert, mit in den Supermarkt zu gehen und habe daher im Auto bleiben dürfen. Das sei öfter vorgekommen, doch sei der Junge bisher nie aus dem Auto verschwunden. Eddy und Niina waren nach zirka 15 Minuten zurück beim Auto, und da sei Bobby nicht mehr da gewesen.
In der Personenbeschreibung hieß es unter anderem, der Junge sei zirka 150 Zentimeter groß und Mulatte.
Die Streifenpolizisten hielten in ihrem Bericht fest, es habe ausschließlich Eddy geredet und sich an der Suche nach Bobby beteiligt. Eddy Larsson fuhr mit den Beamten im Streifenwagen herum, um die nähere Umgebung nach dem Jungen abzusuchen. Während der Suche erzählte er unter anderem, Bobby habe Angst vor Menschen. Wenn er wütend sei, werfe Bobby sich meistens auf sein Bett, außerdem sei er träge und selbstgefällig veranlagt. Beim Gehen spreize er die Füße nach außen ab, sei ziemlich steif im Rücken und bewege sich wie ein alter Mann. Bobby werde sich wahrscheinlich verstecken, sobald er bemerke, dass unbekannte Personen nach ihm suchten. Von sich aus werde der Junge zu niemandem Kontakt aufnehmen.
Eddy wirkte jedoch keineswegs beunruhigt. Niina habe offenbar gar nicht verstanden, was passiert war, so der Bericht der Streifenpolizisten. Sie habe weder ihre Mobilnummer noch ihre Adresse angeben können, ohne zuvor in ihrem Portemonnaie nachzuschauen. Fragen zu Bobby wie zum Beispiel, ob er eigenständig den Bus nehmen könne oder sich vor ihm unbekannten Menschen verstecken würde, habe sie nicht beantworten können.
Niina zeigte keinerlei Regung, fragte auch nicht danach, wie es weitergehen werde. Sie machte sich offensichtlich keine Sorgen um Bobby, und sie beantwortete die Fragen der Polizisten nur kurz und knapp.
Da es sich bei dem Verschwundenen um einen zehnjährigen, in seiner Entwicklung gehemmten Jungen handelte, setzte die Polizei alle Ressourcen ein, um ihn zu finden. Eine Reihe Maßnahmen wurde routinemäßig eingeleitet. Unter anderem kontrollierte man die Adresse von Bobbys Großmutter in Stenungsund, seine aktuelle Adresse und einiges mehr.
Alle Polizeistreifen, Sicherheitsdienste, Rettungsdienste, Krankenhäuser und so weiter wurden informiert. Die Suche nach Bobby wurde auf Sveriges Radio und im Verkehrsfunk gesendet. Außerdem wurde eine landesweite Suchmeldung herausgegeben.
Am 30. Januar wurde das Militär in Skövde und Halmstad zusammen mit der Nationalgarde in die Suche einbezogen, die mehrere Tage lang intensiv fortgesetzt wurde.
Streifenwagen, Bereitschaftseinheiten, Hundestaffeln, zivile Patrouillen, berittene Polizei, die Küstenwache (sie suchte den Fluss Göta älv ab), die Verkehrspolizei und Helikopter wurden eingesetzt. Externe Ressourcen wie das Luftwaffenregiment LV 6 aus Halmstad, das Panzerregiment P 4 aus Skövde sowie ein Freiwilligencorps kamen hinzu. Die Ausgaben allein für die polizeilichen Einsatzkräfte beliefen sich auf zirka 363.000 Kronen. Außerdem wurde eine große Anzahl Personen vernommen.
Bobbys biologischer Vater
Bobbys biologischer Vater kommt aus Somalia. Er sagte aus, er habe 1994 eine kurze Affäre mit Bobbys Mutter gehabt. Ihre Wege hätten sich jedoch getrennt, und sie hätten keinen Kontakt mehr miteinander.
Etwa ein Jahr nach Bobbys Geburt habe Niina ihn angerufen und ihm erzählt, sie habe einen Sohn bekommen, Bobby, und er sei der Vater des Jungen, so der Mann aus Somalia. Daraufhin habe er eine Blutprobe abgegeben, die seine Vaterschaft bestätigte.
Bobbys biologischer Vater war dem Jungen nur ein einziges Mal begegnet, vor vier oder fünf Jahren.
Vuokko, Bobbys Großmutter
Vuokko wurde mehrere Male verhört. Unter anderem sagte sie aus, ihre Tochter Niina sei im Alter von 17 Jahren schwanger geworden. Zu diesem Zeitpunkt habe sie bei ihr gewohnt, aber als ihr Sohn ein Jahr alt war, habe Niina ihre eigene Wohnung bekommen. Bevor Niina irgendwann Mitte 2005 zu Eddy nach Småland zog, habe sie bei Samhall gearbeitet. Bobby sei zur Schule und in die Betreuung gegangen.
Vuokko holte den Jungen nachmittags von der Schule oder der Betreuung ab, nahm ihn mit nach Hause und kochte sowohl für ihn als auch für Niina. Vuokko erzählte, im Großen und Ganzen sei der Junge bei ihr aufgewachsen. Er habe sein eigenes Bett und einige seiner Sachen bei ihr gehabt. Bobby habe nicht bei seiner Mutter wohnen wollen, weil es dort so unordentlich und schmutzig sei.
Bobby hatte von Geburt an eine Hasenscharte, eine Missbildung, derentwegen er mehrfach operiert worden war. Außerdem war er Autist und hatte einige andere Krankheiten, die die Großmutter nicht benennen konnte. Sie berichtete, Bobbys Krankheit äußere sich dadurch, dass er wütend werde, brülle und schreie, sich selbst in die Finger beiße oder sich selbst schlage. Wenn er wütend sei, werfe er mit Dingen um sich und knalle Türen zu. Normalerweise sei seine Wut aber sehr schnell wieder verflogen, und dann sei er wieder ein guter und fröhlicher Junge gewesen.
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