1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich deutlich ausdrücken würden. Was für ein Tonband? Was für Stimmen? Herr ... wie war doch Ihr Name?« sagte sie in der metallisch-schneidenden Tonlage, mit der sie vor laufenden Kameras schwadronierende Politiker zum Thema zurückbrachte.
Lohmer fühlte, wie er rot wurde und hoffte, daß sie es nicht bemerken würde. »Kennen Sie einen Amerikaner namens William J. Berrigan?« fragte er unvermittelt.
»Nein«, sagte sie ebenso scharf wie zuvor und forderte ihn auf, sich umzudrehen, sie sei noch verabredet und wolle sich, wie er vielleicht bemerkt habe, noch umziehen. Lohmer blickte durch die Gardine auf die Alster hinunter. Auf der anderen Seite hob sich das hell angestrahlte »Hotel Atlantic« von der dunklen Umgebung ab.
»Sie haben auch nicht mit Mister Berrigan vor einigen Tagen in Otterndorf eine Motorjacht gechartert und sind in die Oste gefahren?«
Lohmer hörte hinter sich das Rascheln von Textilien. Sie schleuderte ihre hochhackigen Schuhe von den Füßen.
»Also wir wollen hier doch nicht länger in Rätseln reden, ich bin eine einigermaßen erwachsene Frau und habe nichts zu verbergen – jedenfalls nicht vor der Kriminalpolizei«, sagte sie. »Erstens: Ich kenne, wie gesagt, keinen Mister Berrigan. Zweitens: Ich habe zusammen mit einem amerikanischen Freund eine Bootstour auf der Oste gemacht ... und ich werde diese Bootstour morgen fortsetzen. Ich habe sie wegen der Sendung heute für einen Tag unterbrochen.«
»Darf ich nach dem richtigen Namen Ihres amerikanischen Freundes fragen?«
»Warum? Was heißt ›richtiger‹ Name? Was ist passiert?«
Zum erstenmal hörte Lohmer Unsicherheit in ihrer Stimme. Er hätte gern ihr Gesicht gesehen. »Ihr Freund – wie immer er heißt – ist ziemlich spurlos verschwunden«, sagte Lohmer. »Wenn man von ein paar Blutspuren absieht, die er hinterlassen hat.«
Er drehte sich abrupt um. Er sah gerade noch, wie ihre Brüste in eine Bluse aus lachsfarbener Seide hüpften. Sie knöpfte sie hastig zu.
»Was heißt das: er ist verschwunden?«
Lohmer erzählte ihr kurz und schonungslos von dem herrenlosen Boot, von den Blutspuren an Bord, von der Tonbandkassette und daß der Bootsvermieter sie gesehen und erkannt hätte. Er sagte auch, daß es noch keinerlei konkrete Anhaltspunkte gebe, was geschehen sei. Es könne alles ganz harmlos sein, es könne aber auch ein Verbrechen stattgefunden haben.
»Können Sie sich vorstellen, daß er ... daß er sich etwas angetan hat? Hat er unter Depressionen gelitten ... hat er möglicherweise Liebeskummer gehabt?« Das Lächeln blieb in seinen Mundwinkeln hängen.
»Ich nehme an, daß indiskrete Fragen zu Ihrem Beruf gehören.«
»Zu Ihrem wohl auch, ich nehme deshalb an, Sie haben Verständnis dafür.«
»Also Peter war ... er ist in mich verliebt, aber er mußte deswegen keinen Kummer haben. Ja, daß er ein paar berufliche Probleme hatte, das ist schon möglich. Er war in der vorigen Woche für seine Firma in Bonn zu irgendeiner Tagung. Als er zurückkam, hat er mal was angedeutet. Es sei Wahnsinn, was die da machen oder so ... Aber Depressionen? Oder gar Selbstmordgedanken? Nein.«
»Peter heißt er also, nicht William, und vermutlich auch nicht Berrigan, wie in dem Paß stand, den er beim Bootsverleiher hinterlegt hat.«
»Er hat einen falschen Paß hinterlegt?« Einen Moment schien sie verwirrt. Lohmer nutzte die Gelegenheit.
»Darf ich jetzt vielleicht erfahren, wie er sich Ihnen gegenüber genannt hat?«
»Ich verbitte mir diesen süffisanten Ton, Herr Hauptkommissar!« Ihre Augen wurden eng. Eine helle Röte stieg in ihr Gesicht, an die Partien über den Wangenknochen, die vorher von der Maskenbildnerin geschminkt worden waren. Lohmer fand, daß ihr die Zornesröte noch besser stand.
»Ich kenne ihn seit fast zwanzig Jahren. Sein Name war und ist Peter Rosenblatt. Er kommt aus Kalifornien. Er ist Physiker, wissenschaftlicher Computerspezialist oder so.«
»Genaueres wissen Sie nicht über seine Tätigkeit?«
»Soweit ich das verstanden habe, befaßt er sich mit der Entwicklung von neuartigen medizinischen Operationsgeräten. Ich glaube, es hat etwas mit winzigen Laserstrahlen für die Gehirnchirurgie zu tun. Ich habe natürlich keine Ahnung von diesen Dingen.«
Sie zog sich vor dem hohen Schrankspiegel weiter an, wechselte sogar den Rock, als wäre er gar nicht im Raum. Lohmer glaubte erst, sie sei völlig nackt, bis er sah, daß sie einen fleischfarbenen, bestickten Slip trug.
»Vielleicht ist er von Bord gegangen, um irgend etwas zu erledigen, und das Boot ist ganz einfach abgetrieben.«
»Schon möglich«, sagte Lohmer, »aber er ist seit mehr als 24 Stunden verschwunden.«
»Was sind das für Blutspuren, von denen Sie gesprochen haben?«
»Das wissen wir eben noch nicht genau ...«
Mehr zu sich selbst als zu ihm erzählte sie von ihrem amerikanischen Freund.
Sie habe ihn tatsächlich vor 18, 19 Jahren kennengelernt. Er sei damals als amerikanischer Austauschschüler ein Jahr lang in Hamburg gewesen. Sie hätten sich ineinander verliebt, dann sei er zurück in die USA gegangen, sie hätten ein paar Briefe gewechselt, und dann lange nichts mehr voneinander gehört. Bis vor zwei Wochen. Ein alter Freund, der Mann einer Freundin genauer gesagt, habe sie zu einer Party eingeladen und ihr vorher einen Überraschungsgast angekündigt. Sie habe wirklich keinerlei Ahnung gehabt, wer das sein könnte. Es war Peter Rosenblatt. Er hatte dienstlich in Bonn zu tun und sich bei diesem Freund, einem Architekten aus der Nähe von Bremen, gemeldet. Auch Rosenblatt habe nichts von ihrem Kommen gewußt. Die Überraschung sei natürlich gelungen! Sie hätten viel miteinander geredet, geflirtet und sich wieder ineinander verliebt. Sie könne doch mit seiner Diskretion rechnen? Sie lebe nämlich in einer ziemlich unangenehmen Scheidung, und es wäre nicht gut, wenn ihr Mann von ihrem Verhältnis mit Rosenblatt erfahren würde.
Lohmer versprach es.
»Die Bootstour ist übrigens meine Idee gewesen«, sagte sie. »Wir wollten uns eine schöne ruhige Woche machen, bevor er wieder zurück nach Kalifornien mußte. Ich kenne die Oste, es ist ein schöner, sauberer Fluß.«
»Ich weiß«, sagte Lohmer, »ich wohne da hinterm Deich.«
»Es war von vornherein eingeplant, daß ich für einen Tag Peter allein lasse. Erst wollte er mitkommen, aber dann hat er es sich anders überlegt und ist an Bord geblieben. Wir haben verabredet, daß ich morgen im Hafen von Neuhaus wieder zusteige.«
Ob sich in den letzten Tagen einer von ihnen an Bord verletzt habe, oder ob sich Rosenblatt beim Rasieren geschnitten und stark geblutet habe? Lohmer mußte an die Bemerkung von Broders denken.
Nein, so ein Unsinn. Er habe sich mit einem Batteriegerät rasiert. Jetzt erst schien ihr zum erstenmal die Bedeutung des Gespräches klar zu werden. Sie blickte ihn starr an, und es schien so, als nehme sie ihn erst jetzt richtig wahr.
»Sie glauben doch nicht, daß ... daß ihm was passiert ist ... daß er ermordet worden ist ...«
Er antwortete nicht.
Er wollte ihr gerade von dem gekritzelten Abschiedssatz erzählen, den Feldhusen zusammengebastelt hatte, als es heftig an die Zimmertür klopfte. Sie öffnete und strich sich dabei über den Rock. Der Mann von vorhin stand in der Tür, der Regisseur oder Aufnahmeleiter.
»Die Leute unten warten alle auf dich, Schätzchen«, sagte er, »da sind auch noch ein paar Fotografen und Reporter ...« Dann sah er Lohmer, musterte ihn sekundenlang verblüfft und sagte ein wenig zu vertraulich: »Hoffentlich störe ich nicht.«
»Du bist ein Quatschkopf«, sagte Ines van Holten, stellte Lohmer mit seinem Dienstrang vor und sagte, der Herr Kriminalhauptkommissar habe ihr ein paar Fragen stellen müssen, weil möglicherweise etwas mit einem Bekannten passiert sei. Lohmer fragte nur noch, ob sie morgen oder übermorgen zu einer ausführlichen Anhörung zur Verfügung stehen könne. Sie nickte. »Wie gesagt, ich wollte morgen sowieso wieder zum Boot fahren. Ich habe ein paar Tage Urlaub, ich möchte natürlich sofort Bescheid wissen, wenn Sie etwas herausfinden.«
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