1 ...7 8 9 11 12 13 ...18 Sie schrieb ihm ihre Privatnummer auf den Notizzettel des Hotels neben dem Telefon. Es war ein Uhr nachts.
Von einem Apparat in der Hotelhalle aus ließ sich Lohmer über die Zentrale mit Bernhard Greenberg, dem US-Army-Detektiv in Bremerhaven, verbinden. Greenberg gähnte zur Begrüßung. Lohmer sagte ihm, daß der verschwundene William J. Berrigan in Wirklichkeit Peter Rosenblatt heiße. Greenberg gähnte noch einmal.
Er sei gerade eingeschlafen, sagte er, denn »vor einer halben Stunde erst hat mich jemand von der US-Botschaft in Bonn angerufen. Der hat mir dasselbe gesagt. Und daß das eine Art Staatsgeheimnis ist, hat er auch gesagt – und nun weiß sogar schon die Kripo von Cuxhaven, wie der Kerl heißt.«
Lohmer schlief unruhig in dieser Nacht. Und als er am Samstag morgen von einem klappernden, auf- und abschwellenden Lärm geweckt wurde, dauerte es eine Weile, bis ihm bewußt wurde, daß das Geräusch, das näher kam und sich entfernte und wieder näher kam, nicht mehr von der Windmühle aus seinem Traum verursacht wurde, sondern daß in der Nähe ein Hubschrauber herumflog. Er stand mit unsicheren Bewegungen auf, deutete ein paar Kniebeugen an und ging nach vorne ins Wohnzimmer. Durch die fast kahl gewordenen Äste der Kastanie vor dem Haus sah er einen Helikopter mit grau-grünem Tarnanstrich. Als er endlich seine Brille auf dem Eßtisch fand und aufsetzte, erkannte er die Stars-and-Stripes und die Aufschrift US-Army. Die Maschine flog tief über den Fluß, schwenkte den Schwanz mit dem kleinen Steuerpropeller am Ende unruhig hin und her wie eine nervöse Libelle.
Der Regen hatte sich über Nacht verzogen. Eine fahle Frühsonne drang durch dünne, herbstliche Wolken und blendete ihn. Der Hubschrauber entfernte sich mit nach unten geneigter Nase und verschwand hinter dem Deich. Lohmers Blick fiel auf die antike Standuhr, ein im voraus geliefertes Erbstück seiner Schwiegereltern. Es war nach acht. Er wollte sich gerade noch einmal hinlegen, als das Telefon klingelte. Kohlschmidt war am Apparat. »Kommen Sie sofort in die Dienststelle. Es eilt«, sagte er aufgeregt. Lohmer zog sich hastig an.
Auf der eingezeichneten Hubschrauberlandefläche hinter dem Parkplatz des Polizeidienstgebäudes in Cuxhaven stand ein graugrün-gescheckter Militärhelikopter, als Lohmer rückwärts auf seinen reservierten Platz fuhr. Er hatte keinen Zweifel, daß es dieselbe Maschine war, die ihn aus dem Schlaf gerissen hatte.
Kohlschmidt hatte auf ihn gewartet. Er stand auf dem Flur, als Lohmer die Treppe heraufeilte und dabei zwei Stufen auf einmal nahm. »Kommen Sie in mein Büro, Kollege Lohmer!« rief er und hängte mit Verzögerung ein scharfes »Bitte!« an.
Lohmer murmelte mürrisch, er sei erst nachts gegen drei Uhr von einem dienstlichen Einsatz aus Hamburg zurückgekommen. Er warf seine Aktenmappe auf den Schreibtisch und seine Wildlederjacke an den Kleiderhaken, krempelte im Gehen die Hemdsärmel hoch und ging zum Kaffeeautomaten.
»Kollege Lohmer ...« Kohlschmidts Stimme klang nun schrill, »Sie sollen doch sofort ...«
»Ich komm ja schon«, sagte Lohmer, wandte nicht einmal den Kopf und wartete, bis der dünne Kaffee in den Pappbecher gelaufen war. Er trank hastig einen Schluck. Er hatte nicht gefrühstückt. Mit dem schwappenden heißen Getränk in der Hand betrat er Kohlschmidts Zimmer. Zu seinem Erstaunen saßen drei Männer darin, zwei in dunkelblauen Anzügen und einer in graugrüner US-Uniform, die über den breiten Schultern zum Zerreißen gespannt war. Kohlschmidt tänzelte unruhig im Zimmer herum und zog dabei mit seiner linken Hand nacheinander an den Fingern seiner rechten, bis es vernehmlich knackte. Eine Angewohnheit, die bei Lohmer eine Gänsehaut erzeugte und die er ebenso haßte wie das Geräusch, wenn ein Löffel über einen Aluminiumkochtopf schrammt. Auch die drei Besucher zuckten jedesmal ein wenig zusammen, was Kohlschmidt nicht zu bemerken schien.
»Meine Herren, darf ich Ihnen meinen Mitarbeiter, Hauptkommissar Lohmer, vorstellen, der diesen Vorgang bisher bearbeitet hat.«
»Wir kennen uns bereits seit einiger Zeit«, sagte der Besucher in Uniform und drehte sich um. Lohmer hatte Bernhard Greenberg auf den ersten Blick nicht erkannt, denn der US-Army-Detektiv hatte sein sonst normal langes, gescheiteltes Haar nach GI-Art streichholzkurz schneiden lassen. Greenberg erhob sich steif. Sein Grinsen war nicht, wie sonst, breit und herzlich, sondern ungewohnt verlegen, und er bemühte sich um ein formelles Amtsdeutsch.
»Darf ich dir zwei Herren vorstellen, die mich heute morgen auch für mich überraschend in einer Angelegenheit von großer Wichtigkeit aufgesucht haben ...«
Greenberg deutete auf einen Mann mittleren Alters mit feucht nach hinten gekämmtem Haar und rundlichem, pockennarbigem Gesicht, der ihn mit halb zusammengekniffenem linken Auge kritisch betrachtete. Er sah mexikanisch aus, fand Lohmer. »Das ist Dr. Ricardo Evans von unserem Generalkonsulat in Hamburg«, sagte Greenberg. »Und das ist Mister Patrick O’Hara vom ... von der Central Intelligence Agency.« Der graugesichtige CIA-Mann lächelte müde, schlug die Beine übereinander und steckte beide Hände tief in seine Hosentaschen, was beim Sitzen einige Schwierigkeiten machte. »Die Herren interessieren sich für den Fall ihres vermißten Landsmannes, Sie wissen schon – der von dem Boot mit den Blutspuren«, sagte Kohlschmidt überflüssigerweise, während Lohmer sich halb auf eine Fensterbank setzte und seinen Kaffee schlürfte.
»Sie sind mit dem Hubschrauber da unten angereist?«
»Wir sind auf dem Herflug auch über den Fluß und über dein Haus gekommen«, sagte Greenberg, »die Herren wollten schon einmal aus der Luft die Gegend sehen, in der dieser Mister Rosen ..., dieser angebliche Mister Berrigan aus Kalifornien verschwunden ist.«
»Unsere amerikanischen Verbündeten wollen in dieser Angelegenheit mit uns zusammenarbeiten«, sagte Kohlschmidt bedeutungsvoll. »Würden Sie freundlicherweise in geraffter Form Ihre bisherigen Ermittlungsergebnisse referieren.«
Lohmer zögerte.
»Die rechtlichen Voraussetzungen und die Rahmenbedingungen sind von mir vorbesprochen und geklärt«, sagte Kohlschmidt. »Vizepräsident Herfeld vom BKA hat uns vorhin telefonisch nachdrücklich um jedwede Kooperation ersucht.«
Lohmer begann zögernd zu reden. Sein Bericht und seine Antworten auf die präzisen Fragen der Amerikaner dauerten schließlich fast eine Stunde. Er verlas die Asservatenliste, holte Bücher, Broschüren und die Tonbandkassette aus seinem Zimmer und legte sie auf den Tisch. Als er von seinem Gespräch mit der Fernsehjournalistin Ines van Holten erzählte, richtete sich der CIA-Mann kerzengerade auf und sagte: »Auf gar keinen Fall darf über diese Sache irgend etwas im Fernsehen oder in der Presse erscheinen.« Lohmer erklärte, warum Frau van Holten nicht das geringste Interesse an einer Veröffentlichung ihrer Beziehung zu Rosen ... zu diesem angeblichen Mister Berrigan habe.
»Spielen Sie uns doch bitte mal dieses ominöse Tonband vor«, sagte der CIA-Mann. Lohmer telefonierte nach Feldhusen. Der brachte einen Recorder. Die drei Amerikaner hörten erst verblüfft, dann immer angespannter zu. Als sich das Band abschaltete, waren eine Zeitlang nur die Verkehrsgeräusche durch das Fenster zu hören, das Lohmer geöffnet hatte.
»Ist der Mann auf dem Band verrückt oder betrunken?« fragte Kohlschmidt mit ungewohnter Direktheit.
»Soviel ich weiß, Sir«, sagte Mister Evans vom US-Generalkonsulat gespreizt, »soviel ich weiß, ist dieser Mann ein Genie.«
O’Hara von der CIA schob seinen Stuhl geräuschvoll mit den Kniekehlen über den Linoleumboden, erhob sich, ging zwei, drei Schritte auf Kohlschmidts Schreibtisch zu und nahm – wie sich Lohmer einprägte – mit provozierender Selbstverständlichkeit das kleine Tonband aus dem Kassettenrecorder und sagte zu ihm und zu Kohlschmidt gewandt: »Meine Herren, dieses Tonband und die anderen von Ihnen sichergestellten Gegenstände unseres vermißten Staatsbürgers sind hiermit beschlagnahmt! Der Fall wird ab sofort von uns und unseren Diensten übernommen ...« Und als er Lohmers erst verblüfften, dann wütenden Gesichtsausdruck sah, fügte er noch hinzu: »In diesem Fall sind die Sicherheitsinteressen der Vereinigten Staaten berührt ...!«
Читать дальше