Diesen Gedanken, und sei sein Vater ein noch so egoistischer Wunsch, kann man nicht mit einer Handbewegung abtun. Die tschechische Kultur längerfristig den Beamten, Dilettanten und Schlagersängern zu überlassen, hätte zu dauernder Schädigung jenes Teils der Nation führen können, der zu Hause keine Bücherschränke voller Čapeks und Hemingways hatte. Zu sehr ist in meinem Gedächtnis eingraviert, wie auch die gelichtete heimische Kultur während des nazistischen Protektorats meinen Geist erhob und einige wenige herausragende Werke in dieser mörderischen Dunkelheit sogar den Geist der ganzen Nation aufrüttelten.
Der Fall Hrabal sollte eine eigenartige Fortsetzung erfahren. Seine Wende wird die Mohren aus dem neuen Schriftstellerverband auf die Barrikaden treiben, die sich zum ersten Mal wirklich bedroht fühlen. Als erstes erreichten sie, daß er nur Randthemen veröffentlichen durfte, meilenweit entfernt von den tiefen Wunden des Lebens, die er früher enthüllte, um sie mit dem heilenden Verband seiner unendlichen, bizarren Sätze zu umwickeln. Dann gelingt ihnen noch etwas ganz Unwahrscheinliches.
Zwei der schönsten Texte Hrabals, Die Stadt, in der die Zeit stehenblieb und Allzu laute Einsamkeit , erscheinen endlich im Druck – gröbstens verunstaltet. Verglichen mit den ursprünglichen Fassungen in der maschingeschriebenen Edition Petlice stellen die Berichtigungen die Moral der Geschichten auf den Kopf. Ob nun Hrabal selbst der Henker in eigener Sache war oder aber der Verkrüppelung nur schweigend zugestimmt hat, ähnlich wie den zwei Sätzen seines Widerrufs in der Tvorba , die Sache erinnerte mich an Eduard Goldstückers Erklärung, warum er sich bei den Verhören in den fünfziger Jahren mit absurden Aussagen den eigenen Strang knüpfte: nämlich in der Hoffnung, nur so der Welt die Herrschaft der Lüge offenbaren zu können – eine irrige Hoffnung, wie sich zeigen sollte.
Trotz all dem war mir klar, daß damit die kostbaren Originalfassungen dieser beiden Texte nicht aus der Welt geschafft werden konnten und eines Tages in ihrer vollen Schönheit aufleuchten würden und auch, daß die meisten früheren Meisterwerke Hrabals durch diesen unrühmlichen Akt den zeitgenössischen Lesern en masse erhalten blieben.
Das Problem, das zu schnellen Stellungnahmen verlockt, entzieht sich einem krassen Urteil. Wenn ich die Reihen der tschechischen Literaten der Vergangenheit überblicke, so ähneln sie einem unter dem Kartätschenbeschuß marschierenden Regiment, so viele Tote und spurlos Verschwundene gab es allein durch die Einwirkung der Zeit. Unter den wenigen, die heil zu dem heutigen Leser gelangten, gibt es auch solche, die in den schicksalsschweren Stunden der Nation versagten, während unter den anderen so mancher ihrer wahren Helden vergessen ruht.
Inwieweit trägt das Werk für die falsche Handlung seines Autors Verantwortung? Vielleicht ebensowenig wie ein Autor die Verantwortung für die falsche Handlung seiner Personen? Wie ist das alles zu beurteilen?
In seinem beklemmenden Roman Langeweile in Böhmen beschreibt Alexander Kliment die innere Qual eines parteilosen Architekten, den seine moralische Haltung mit den Jahren auf ein Abstellgleis brachte, von dem aus er dann mitansehen muß, wie seine weniger moralischen Kollegen sich gerade durch ihre Inkonsequenz die Möglichkeit verschafften, ihrem Volk nützlich sein zu können.
Der Autor selbst hat wie sein Held die eigene Chance geopfert und seine leisen, wunderbar poetischen Töne verstummen lassen, um bei der erkannten Wahrheit bleiben zu dürfen; nicht jeder hat das unschlagbare Aufstehvermögen eines Havel oder Vaculík, von mir ganz zu schweigen.
Und was die Hrabals und Kliments angeht: Wer sind die Sieger, wer die Besiegten? Wer hat der Literatur und seiner Gesellschaft einen größeren Dienst erwiesen – der Meister der Kapitulation, der seiner kapitulierten Nation mindestens zum Teil erhalten bleibt, oder aber der Meister des moralischen Trotzes, der ihr schon das zweite Mal – und wer weiß, ob nicht für immer – verlorengeht?
Ich weiß es, und ich weiß es nicht.
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