1 ...6 7 8 10 11 12 ...21 Ein unerklärliches Etwas schnürte Philipps Kehle zusammen, er begnügte sich, Lionels Hand zu drücken und ihn der Fürsorge Ralphs zu überlassen, dann, nachdem die Leiche in das beste Zimmer des Hauses getragen worden war, suchte er seinen Vater, um womöglich über das geschehene Unglück etwas Näheres zu erfahren.
„Wie kam es, dass Onkel Charles erschossen wurde?“ fragte er.
Mr. Manfred zuckte die Achseln. „Einer der schuftigen Neger natürlich! Die Halunken haben niemals Peitschenhiebe geschmeckt, daher sind sie übermütig geworden.“
Philipp schüttelte den Kopf. „Ich wüsste keinen einigen, dem ich eine derartige Schandtat zutrauen möchte, Papa. Die armen Leute hatten alle ihren Gebieter von Herzen lieb.“
Mr. Trevor lächelte spöttisch. „Lassen wir das jetzt, Philipp! Der Verstorbene erwacht nicht wieder, auch wenn wir ihn noch so aufrichtig betrauern, — es ist also an der Zeit, unsere eigene Lage zu überdenken. Du bist der Erbe von Seven-Oaks, mein lieber Junge!“
Philipp sah auf. „Ich, Papa? — O nein!“
„Doch Kind, doch. Ich bin ein Vetter des Verstorbenen, unsere Väter waren Brüder, aber du stehst ihm in der Verwandtschaft noch um einen Grad näher, denn deine Mutter war seine Schwester. Ich wiederhole dir, du bist der rechtmässige Erbe von Seven-Oaks, natürlich mit der Beschränkung, dass ich, als dein Vater, bis zu deiner Majorennität das Vermögen für dich verwalte.“
Philipp schüttelte den Kopf. „Das mag ja alles sein, wie du sagst, Papa, wenigstens dem Gesetze nach, aber doch muss die Farm Lionels Eigentum werden, denn Onkel Charles hätte sie ihm vermacht, wenn —“
Ein flammender Zornblick traf den Knaben. „Unsinn!“ herrschte Mr. Trevor. „Lass mich derartige Worte von dir nicht nochmals hören, Philipp.“
„Sie sind aber doch die Wahrheit, Papa! Du kannst unmöglich beabsichtigen, den armen Lionel jetzt schutzlos in die Welt hinauszustossen.“
Ein höhnisches Lächeln kräuselte Mr. Trevors Lippen. „Schutzlos?“ wiederholte er. „Nein, mein guter Philipp, das wird nicht geschehen.“
Und dann ging er fort. Es gab zahllose Anordnungen zu treffen, man musste einen Boten zum Arzt schicken, einen anderen zum Friedensrichter, die Leiche wurde gewaschen und einstweilen bis auf weiteres im Salon aufgebahrt. Als der Leichenbeschauer kam, unterzog er sämtliche Mitglieder der Jagdgesellschaft einem vorläufigen Verhör, dann schloss man die Haustür, und alle Lichter erloschen. Hermann war nach schneller Uebereinkunft mit Lionel und Philipp in dem Wagen des Arztes zur Stadt zurückgefahren, er wollte aber in den nächsten Tagen wiederkommen und an dem Begräbnis des Gutsherrn teilnehmen.
Alles im Hause war todesstill, die Neger sassen in ihren Hütten und schluchzten, die Hausdiener kauerten stumm, voll Grauen in der Küche. Mr. Trevor hatte im oberen Stock sein Zimmer neben dem Schlafgemache des verstorbenen Gutsherrn, während dieses letztere wieder von einem kleinen, auf den Garten hinausgehenden Arbeitskabinett begrenzt wurde. Mit lautlosen Schritten gehend, erreichte der blasse, scheue Mann die beiden äusseren Türen, welche er verschloss, dann wurde mit der Matratze des Bettes das einzige Fenster im Kabinett sorgfältig verhüllt; Mr. Manfred überzeugte sich vom Schlafzimmer aus, dass kein Strahl der Lampe den Garten erreichen könne.
Ohne Stiefel auf den dichten Teppichen von Ort zu Ort schleichend, untersuchte Manfred Trevor alle Behälter in den Zimmern seines verstorbenen Vetters, um das versteckte Testament zu finden. Dieses Blatt musste er vernichten, ehe morgen die Behörde einschritt und vielleicht alles auf Lionels Aussagen hin unter Siegel legte.
Hier war der Schrank, in dem die Kleider hingen; Manfreds heisse Fingerspitzen tasteten überall umher. Kein Geheimfach? Kein doppelter Boden?
Nichts, gar nichts.
Jetzt kam das Arbeitszimmer an die Reihe. Sämtliche Schlüssel hatten sich in den Taschen des Toten befunden, er öffnete den Schreibtisch und sah hinein. Da lag Geld in einer kupfernen Schale: Gold — Tausende, ausserdem Banknoten in Stapeln, ein Buch, in welchem der Stand des Vermögens genau verzeichnet war.
Es griff wie mit Krallen in das Herz des verbrecherischen Mannes. Wenn er das Testament nicht auffand, so war alles verloren, alles; ein Fremder, ein Sohn der verachteten Rasse, erhielt das kolossale Erbteil.
Die fieberheisse Hand suchte und suchte. Auch hier kein geheimes Versteck?
Doch — ja! Der kleinste Schlüssel am Ring passte in ein Schloss, das nur der Blick des genauesten Beobachters entdecken konnte. Ein Fach sprang auf, ein versiegeltes, umfangreiches Paket fiel in die Hände des Suchenden. „Mein Testament“ stand auf der Vorderseite.
Manfred Trevor riss das Siegel ab, er sah heissen Blickes hinein in das eng beschriebene Dokument. Zuerst eine Namenliste von stattlicher Länge, — Jimmy und Billy und Lizabeth und Mary, wie die Schwarzen alle hiessen: von Ralhp, dem Vertrauten des Gebieters, bis zum letzten Stalljungen waren sie alle durch notarielle Akte in Freiheit gesetzt. — Ein satanisches Lächeln umspielte Mr. Trevors Lippen. Nie sollte irgendeines Menschen Auge diese Liste sehen.
Er steckte das Blatt zu sich. Gegen zweimalhunderttausend Dollar! Wer verschenkt sie wie den Cent, den der Bettler am Wege erhält? — — Wahrlich, er nicht!
Das Testament erklärte Lionel zum Erben von Seven-Oaks. Für Philipp war ein Kapital ausgeworfen, für ihn selbst, den Vetter und Schwager des Verstorbenen, nur der Genuss einer lebenslänglichen Rente, während das Vermögen, aus welchem diese bezogen wurde, nach seinem Tode dem Haupterben wieder zufiel.
Mr. Trevor schnitt eine Grimasse. „Wahrhaftig, eine fabelhafte Grossmut!“ zischte er. „Tausend Dollar jährlich, indes der Bursche, der Lionel, das zwanzigfache dieser Summe erhalten soll. Es ist nötig, ein wenig Vorsehung zu spielen.“
Er ordnete im Pulte jeden Gegenstand, liess Geld und Banknoten unberührt an ihrem Platze liegen und verschloss das Möbel, um dann die Schlüssel in eine Kassette zu werfen. Zuerst trug er die Lampe in sein eigenes Zimmer, darauf löste er die dichte Verhüllung des Fensters. Ein vorsichtiger Rundblick überzeugte ihn, dass der frühere Zustand in allen Punkten genau wiederhergestellt sei. Freier atmend, schloss er leise die Tür, verbarg die Papiere in seiner Brieftasche und sank schwer in den Sessel, der vor seinem Bette stand.
Als Lionel erwachte, stand die Sonne schon hoch am Himmel. Ein unbestimmtes Erschrecken war das erste, was er empfand, dann kam blitzschnell die Erinnerung an das geschehene Unglück und liess sein Herz schneller schlagen.
Von draussen öffnete eine Hand die Tür, Philipp kam an seiner Krücke in das Zimmer gehinkt. Er setzte sich auf den Bettrand, mit leiser, liebevoller Stimme tröstete er den Freund, das bleiche, durchgeistigte Gesicht mit den schönen, milden Augen trug einen Ausdruck lebendiger Freundschaft und Treue. „Mein armer Lionel,“ sagte er. „du musst aufstehen und hinabgehen in das Empfangszimmer. Man verlangt dein Zeugnis.“
Lionel sah auf. „Ueber welchen Punkt?“ fragte er.
„Mehrere von den Schwarzen haben behauptet, dass ihr Entlassungsschein ausgeschrieben sei und dass du von der Sache wissest, — so Ralph und die alte Cassy.“
Lionel nickte. „Es ist ein Testament vorhanden, Philipp, ich weiss es. Die Neger sind samt und sonders freie Leute, sie können über ihre Personen verfügen wie du und ich.“
Philipps Gesicht glänzte vor Freude. „O, der gute Onkel Charles! — Und wo ist das Testament, Lionel?“
„Jedenfalls im Schreibtisch des Verstorbenen. Ich werde gleich nachsuchen.“
Sie gingen zusammen in den Parlor, wo schon mehrere Amtspersonen den Knaben erwarteten. Auch Mr. Manfred Trevor war zugegen; sein Gesicht zeigte eine tödliche Blässe, sonst aber keinerlei Aufregung oder Unruhe.
Читать дальше