In der Kammer nebenan liegt der Krämer, hinter dem weichen warmen Weibe Magnhild und sperrt die Augen auf und lauscht auf alle die schlimmen Töne, die durch die Wände dringen. Der Krämer starrt in die brausende Finsternis der Herbstnächte und fürchtet sich. Und warum muß er an den Hornlöffelmeister denken, der draußen am Waldrand einsam in seiner Bretterbude wohnt? Und warum muß er denken, daß die Nächte jetzt schon kalt sind und daß der Hornlöffelmeister friert und allen Winden, die durch die Risse hereinstoßen, wehrlos ausgeliefert ist?
„Das kann er gar nicht aushalten“, murmelt der Krämer-Benjamin in die Dunkelheit hinaus. „Nein, das kann ein Mensch unmöglich aushalten.“
Mehr und mehr denkt der Krämer-Benjamin an diese elende Hütte. Das lenkt ihn von der eigenen Unruhe ab und besänftigt das pochende Herz. Es erfüllt ihn mit einer Art Dankbarkeit. Er beschließt, etwas zu tun.
Am Morgen macht er sich auf den Weg. Unter dem Arm trägt er eine dicke Rolle Teerpapp. Der Hornlöffelmeister liegt noch in seinen drei Margarinekisten und will sich nicht ohne weiteres wecken lassen.
„Ja, da liegt nun dieser Mensch und schläft“, seufzt der Krämer-Benjamin. „Und das Leben hat ihn wahrlich hart angefaßt ... Aber er liegt dennoch da, wie die pure Seligkeit ...“
Und der Krämer geht noch einen Schritt weiter in seiner Wohltätigkeit. Er klinkt die Tür zu und zündet auf dem Herd ein lustig Feuerchen an. Und als das Feuerchen seine blauen, goldbefranzten Zungen emporschnellt, starrt der Krämer hinein und denkt allerlei sonderbare Gedanken, nickt mit dem Kopf und lächelt in tiefer Trauer.
In dieser elenden Hütte steht ein reicher Mann, der es sich sogar leisten kann, einen Emissär im Hause zu halten und ihn mit den teuersten Importartikeln und Weizengrütze zu füttern. Benjamin Sagensen. Er hat sich der Witwe des Post-Nikolaj angenommen. Magnhild wurde rund und dick von seiner Liebe und Fürsorge ... Aber jetzt züchtigt ihn der Himmel mit diesen bangen Nächten und vielen unnützen Gedanken.
Schon zweimal hat der Distriktsarzt Kringlen am Krämer herumgeklopft, gedrückt und gehorcht. „Es ist nichts“, sagte der Arzt. „Ein wenig Nervosität. Es geht Ihnen viel zu gut, lieber Sagensen. Zuviel Glück kann mit der Zeit auch Beschwerden machen.“
Alle Leute sagen dasselbe. „Es geht Ihnen zu gut, Sagensen.“ Und sie lächeln und legen sich nachts in ihre Betten und schlafen. Und keiner weiß, welch schreckliche Augen die Nacht hat.
Hier in dieses Feuerchen starrt ein reicher Kaufmann und tut Buße und demütigt sich immer mehr. Er zündete das Feuerchen auf dem Herde des gezeichneten Mörders an. Und seht, jetzt mahlt er sogar Kaffee und geht vors Haus hinaus und spült die Tasse im Bach. Kann denn ein Christenmensch und reicher Krämer sich überhaupt noch mehr demütigen und hinopfern?
Bei alledem weiß der Krämer-Benjamin, daß der Hornlöffelmeister ihm mit keiner Silbe danken wird. Aber das kann ihn nicht hindern, dem Mörder noch die Hand auf die Schulter zu legen, um ihn wachzurütteln. Die Sonne scheint durchs Fenster und schaut dem allem zu. Es ist eine gute weiche Herbstsonne, die da hereinschaut.
„Am Morgen lag Eis auf dem Wasser“, sagt der Krämer-Benjamin. „Fast einen Finger dick war es.“
Dazu gähnt der Hornlöffelmeister wiehernd, indem er seine langen Arme ausstreckt. Wenn er sich so in seinem Elend ausdehnt, nimmt er die ganze Länge und Breite seines Hauses ein.
Wie in einem Sarge liegt er, denkt der Krämer mit kaltem Unbehagen. Und die dumpfe Traurigkeit, die ihn für eine Weile verlassen, kehrt abermals in seine Seele zurück.
„Bald kommt der Winter ... und du kannst es nicht aushalten“, sagt er.
Es scheint nun aber so, daß dieser gelbe Hornlöffelmeister sich gar keine Gedanken macht und weder den Sommer noch den Winter fürchtet. Das bemerkt der Krämer-Benjamin mit Staunen und denkt wieder bei sich selber: Dieser Mann ist vielleicht glücklicher als ich ... Er kennt keine Angst. Vielleicht friert er nicht einmal in seinem miserablen Bett ... Aber warum mag ihm wohl der Bart ausgegangen sein? Er ist ja so glatt und weich am Kinn wie ein Frauenzimmer ...
Der Hornlöffelmeister kriecht, völlig angekleidet, mit Kittel und dicken Strümpfen aus dem Bett, schlüpft in die Holzschuhe, und damit steht er fertig für den Tag gerüstet da. Er sagt: „Also der Winter kommt? — Laß ihn nur kommen ...“
Herrgott, wie kann dieser Mensch doch sorglos dahinleben! Ein Krämer aber muß sich stetsfort plagen mit Zahlen und Rechnen und beim Wiegen ein wenig mit dem Finger und kleinen Kunststößen nachhelfen und das Maß nicht ganz füllen, und auf so manches andere achten, um im Leben vorwärtszukommen. Ein reicher Krämer spült sogar zuweilen seinen Mund mit starkem Salzwasser, um diese kleinen heimtückischen Tierchen zu töten, die stets lauern und es auf das Leben wohlhabender Menschen besonders abgesehen haben. Der Hornlöffelmeister gurgelt nicht und läßt seine Zähne gelb und morsch werden. Er fürchtet weder das Leben noch den Tod.
Jetzt aber rafft sich der Krämer-Benjamin auf und kommt auf den Zweck seines Besuchs. „Das geht niemals an“, sagt er in bestimmtem Tone. „Du wirst in deiner Kiste erfrieren und verderben. Sieh, ich habe dir eine Rolle dicke Teerpappe mitgebracht und Stifte ... Trink jetzt zuerst deinen Kaffee, dann werde ich dir zeigen, wie das gemacht werden soll.“
Wie ihm befohlen, trinkt der Hornlöffelmeister den Kaffee und tritt dann mit dem Krämer vor die Tür. Die Menschen haben allen Widerstand in diesem Manne gebrochen und ihn gelb und gefügig gemacht. Er nagelt Teerpappe auf die Bretter. Er macht sich keine Gedanken und überläßt andern die Sorgen.
„Und jetzt müssen noch dicke Leisten her“, erklärt der Krämer-Benjamin. „Und auf die Leisten noch einmal Pappe. Und obendrauf Bretter.“
„Ja“, sagt der Hornlöffelmeister.
„Aber Bretter und Leisten, die hab’ ich nicht.“
„Nein.“
„Aber es muß sich auch dafür Rat finden.
„Ja.“
Der Hornlöffelmeister redet nicht viel und verschwendet keine Worte. Es bleibt aber rührend, mit welcher Geduld der Krämer sich dieser Hütte annimmt. Er betrachtet sie von allen Seiten. Dann geht er nach Hause und schreibt einen kleinen Brief.
„Da!“ sagt er zu Salomonsen, seinem Gehilfen. „Trag das nach Trollhaugen. Aber du sollst es dem König selber abgeben.“
Und der König läßt sich auch diesmal nicht lumpen. Der König darf niemals der Letzte sein, wenn es ein gutes Werk zu vollbringen gibt. Schon am andern Tage hält ein Karren vor der Hütte am Waldrand, und Leisten und Bretter werden abgeladen. Jetzt ist alles da. Und alles ist im Überflusse da.
Der Krämer-Benjamin erscheint abermals, wirft das Wams und die Weste mit den vielen blanken Knöpfen von sich, nimmt Maß und schwingt den Hammer. Frohgemut sagt er: „So wird es drüben gemacht! Einer soll dem andern helfen.“
Er fängt an zu schwitzen und vergißt im Eifer sich selber und den eigenen Kummer. Am Abend sind die Verkleidungsbretter festgenagelt. Und in dieser Nacht schläft der Krämer viele Stunden lang. Am Morgen erwacht er, gestärkt an Seele und Leib. Wie neugeboren fühlt er sich. So lohnt sich Milde und Guttätigkeit. Wenn die Reichen sie mehr übten, wäre ihnen selber wohler.
Aber der Emissär hat eine schlimme Nacht gehabt, mit blutigen Stierkämpfen und Märtyrerverbrennungen und Pechfackelrauch und solchen Sachen. Verdrossen und mürrisch sitzt er am Frühstückstisch, fletscht die Zähne nach dem Roquefortkäse und hat für die fürsorgliche Frau Magnhild nicht das übliche schöne Wort. Nein, der Emissär ist weder erquickt noch neugeboren. Es geht abwärts mit ihm.
Und wenn es immer so weitergeht, muß es bald mit ihm am düsteren Ende angelangt sein. Das aber wünscht der Emissär trotz aller Verdienste und der sicheren Aussicht auf jenseitige Belohnung durchaus nicht. Im Gegenteil bestrebt er sich, den Weg durch das irdische Jammerund Lastertal noch so viel, als in seiner Macht liegt, in die Länge zu dehnen.
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