Der Emissär läßt ein wenig im Kampf mit dem Teufel nach und ruft keuchend: „Sing einen neuen Choral!“
Und natürlich ist das die richtige Lösung. Eh noch der zweite Choral ganz zu Ende ist, ist des Emissärs Kampf auch zu Ende. Er kommt als Sieger aus der Kammer hervor. Hinter ihm kommt Karla Nesse hervor und braucht nun nicht mehr väterlich und tröstlich an der Schulter gestützt und geleitet zu werden.
Karla Nesse — dieses Schaf muß sich jetzt schon von selber und allein in die Herde zurückfinden. Wie müde und langsam sie doch geht. Ihre Glieder sind ausgelöst und locker. Ihr Gesicht aber glüht, und ihre Augen glänzen feucht. Sie scheint nicht übel ergriffen, jedoch kaum unzufrieden zu sein.
Sowie er die Kammertür öffnet, stimmt der Emissär auch schon in den Gesang ein, ohne Zögern, ohne Wanken. Seine Stimme bebt nicht im geringsten. Kräftig tönt seine Stimme, wie eine Orgel. Ein bißchen unrein vielleicht, aber unaufhaltsam.
Karla geht an ihren Platz zurück. Aber sie singt nicht mit. Vielleicht weiß sie nicht, wo man gerade steht. Vielleicht ist sie auch von andern Tönen erfüllt.
Nikoline, die auch ein junges, üppiges Mädchen und ihre Freundin ist, stößt Karla in die Seite und neigt sich zu ihr hinüber: „Hat er gesiegt?“ fragt Nikoline. „Hat er ihn überwunden?“
Karla Nesse ist nicht in der Lage, darauf zu antworten, und nickt bloß, ganz schwach, und blickt staunend in den leeren Raum hinaus. Ihre Augen schillern. Hinter Karla Nesse aber sitzt Peter Strand.
Peter Strand macht keine Märchenaugen, sondern kaut kräftig mit seinen gelben Zähnen. Die Muskeln an seinen braunen Wangen treten dick hervor. Es muß eine harte Nuß sein. Und er schaut dabei dem singenden Emissär gerade ins Gesicht, ohne die geringste Spur von Verehrung oder Ehrfurcht.
Was mag sich dieser junge Bursche nur denken? Denkt er vielleicht, daß ein Mann wie der Laienprediger Ole Mathiessen dort hinter dem Tische steht, um sich ins Gesicht starren zu lassen? Da irrt Peter Strand. Der Laienprediger ist kaum mit dem Singen fertig, als er sich schon festen Schrittes nähert und vor Peter stehenbleibt. Was jetzt folgt, wird für Karlas Liebhaber nichts als Niederlage und Unglück.
„Bruder Peter!“ ruft der Emissär. „Bruder Peter, bist du keusch?“
Peter Strands Gesicht war vordem bleich. Jetzt wird es dunkel. Aber die scharfen Blicke werden stumpf. Nichts anderes als ein schwacher Sünder steht da vor den Blicken der Versammlung. Was nützt ihm nun das Restchen Mannestrotz?
„Der Teufel mag wissen, was ich bin“, murmelt er grob. Und das ist wahrlich ein Mißgriff. Mit einer Handbewegung wird Peter Strand hinweggefegt.
„Hebe dich von hinnen!“ ruft der Meister.
Beifälliges Gemurmel unterstützt ihn. Und so geht Peter Strand. Es hat nicht viel zu bedeuten, daß er sich bei der Tür noch einmal umdreht und sagt: „Und, Karla, was dich anbetrifft, so bin ich mit dir fertig. Den Ring magst du meinetwegen behalten und die Silberkette ... Morgen fahre ich in die Stadt ...“
Immerhin ein flotter Bursch. Es dürfte Karla Nesse doch nicht nur einerlei und völlig egal sein, daß er fortreist. Sie beugt sich tief über ihren Schoß nieder. Der Emissär aber erklärt, daß es für dieses Mal genug sei. Er hebt die Hände und segnet die Gemeinde. „Geht in Frieden“, sagt er.
Damit beginnt für die Leute von Mjelvik eine neue Zeit.
Es bleibt trotz allem fast unbegreiflich und wunderbar, welche Gewalt der Laienprediger Ole Mathiessen im Laufe der nächsten Wochen über die verirrte Seelenherde Mjelviks gewann. Insbesondere über die Seelen weiblichen Geschlechts. Fünfmal in der Woche hält er seine Abendversammlungen ab und müht sich und arbeitet und kämpft mit dem Teufel. An diesen fünf Wochentagen müssen die Männer Mjelviks, soweit sie der Bruder- und Schwesterngemeinde nicht selber beigetreten sind, ihr Abendbrot kalt essen oder selber aufwärmen.
Jeden Abend legt der Emissär seinen tröstlichen Arm um die Schulter einer irrenden Frauenseele und geleitet sie voller Zuversicht in die dunkle Kammer. Und der Mithelfer Haakon kennt hinfort seine Pflicht und weiß, was zu tun ist, wenn nach dem ersten Choral das Ringen mit der Verstocktheit noch kein Ende fand. O nein, Haakon pocht jetzt nicht mehr in teuflischer Unwissenheit an die Kammertür. Alles ist schon so großartig in Schwung gekommen.
An Sonntagen hält der Emissär seine Versammlungen schon vormittags ab. Er schert sich dabei nicht um Hausfrauenpflichten und Mittagessen. Wenn es das Seelenheil angeht, ist er scharf und streng und unerbittlich wie das Messer des Schlächters. Wie ein Schlachtmesser trinkt er immerfort Blut und kann seinen Durst doch nicht stillen. Die Frauen aber gehorchen seinem Winke. Sie sind dem Schlachtmesser auf Gnade und Ungnade verfallen.
Die Frauen stellen, ehe sie ihr Haus verlassen, und schon im Sonntagsstaat, den Topf mit der Grütze aufs Feuer. Wird aber der Emissär in seinem Eifer gar zu gewaltig, oder bekommt er es mit einer besonders hartnäckigen Austreibung zu tun, so daß er Ort und Stunde vergißt, ja, dann brennt die Grütze, die auch in Mjelvik an starre Naturgesetze gebunden bleibt, gründlich an.
Wenn die Frauen schließlich doch wieder an ihre Töpfe denken und nach Hause eilen, sind sie wohl innerlich erhoben; aber sie haben kein gutes Gewissen. Und sie öffnen die Küchentür — oha! Da strömt ihnen Rauch und Dampf entgegen. Nicht nur die Grütze, sondern auch der Kochlöffel darin ist verbrannt und verkohlt.
Und dann werfen die Frauen ihren Sonntagsstaat und alle innerliche Erbauung eiligst von sich und rennen mit ihren schwarzen Kochgeschirren an den Bach hinunter.
Da stehn sie nun in langer Reihe. Aber jetzt hilft kein feiner Flußsand mehr. Hei, jetzt müssen sie die Schlacken mit groben Steinen aus ihren Töpfen klopfen.
Begreiflicherweise entsteht ob solcher Wirtschaft mancher eheliche Unfrieden, mit Zank, Fluchen und Schlagen. Trieb der Laienprediger mit vieler Mühe einen Teufel aus dem Hause, so schleicht sich auch schon ein anderer wieder ein. Diese Sache hat ebenfalls zwei Seiten.
Das muß sogar der Abgesandte des Himmels an seinem eigenen Leibe erfahren. Er hat nun im Hause des Krämers ein halbes Jahr lang in Ruhe und Frieden gewohnt und in dieser Zeit mehr als hundert Dosen Ölsardinen, zwei Roquefortkäse und einige Töpfe französischen Senf verzehrt. Er hat sich mit fetter Milch und feinster Weizenmehlgrütze ernährt und ungeheure Kräfte aufgespeichert. Nun auf einmal läßt ihn seine Eßgesundheit im Stiche. Schon am frühen Morgen fühlt er einen dumpfen Druck unter den Rippen. Der Druck ist bald links und bald rechts, bald stärker, bald schwächer; aber er ist immer da. Und will trotz Rizinusöl und Painexpeller und warmen Umschlägen nicht weichen. Das stört des Emissärs innere Ruhe, so daß er den Kampf mit dem Bösen, der so glorreich begonnen, hinfort nicht mehr mit allen Mitteln führen kann.
Benjamin Sagensen und sein Weib Magnhild denken nach und besinnen sich und können nicht begreifen, woher das Leiden ihres Gastes kommen möchte. Sie haben ihm das viele und teuere Essen gewiß aufrichtigen Herzens gegönnt. Ohne Seufzer und Hinterhältigkeit stellten sie es vor ihn auf den Tisch.
Die Tücken der Welt sind ungeheuer. Der Emissär hat an diesem Morgen ein Fläschchen feinstes Haaröl aus dem Laden geholt und auf einen Zug ausgetrunken. Aber davon wurde es nur noch schlimmer. Nun mußte er Schleim aufstoßen. Und nun sah es tatsächlich so aus, als sei sein ganzer Leib mit dieser fürchterlichen zähen Unheimlichkeit angefüllt. Auch sein Schlaf wurde schlecht. Er schreckt oft auf und stößt die schwersten Zischlaute aus und schlägt mit den Armen um sich und schwitzt. Und jede Nacht träumt er böse Träume und kämpft mit Stieren und Löwen.
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