»Das ist Cheryl Therkelsen«, erwiderte Bergliot Behrens müde.
Cato Isaksen fiel das warme Lächeln beider Frauen auf dem Bild auf. Aus Cheryls Augen strahlte ein humoristischer Glanz. Bergliot Behrens wirkte zufrieden und ruhig. Die Frauen lehnten sich aneinander an, wie in einer symbiotischen Zusammengehörigkeit.
»Sie sind gute Freundinnen?«
Die Frau nickte. »Sie war wirklich ein Lichtblick für mich. Wir haben oft im Hinterhof zusammen Kaffee getrunken, während ihre Kinder im Sandkasten spielten.«
»Sie sagen ›war‹?«
Bergliot Behrens traten die Tränen in die Augen. »Ja, jetzt wird das doch sicher alles viel schwieriger.«
»Was wird schwieriger?«
»Na, wenn sie ins Gefängnis kommt. Und was ist mit ihren Kindern, denkt überhaupt irgendwer an die? Sie müssen doch begreifen, daß er es nicht besser verdient hatte.« Der Gesichtsausdruck der alten Frau veränderte sich. »Er war ein Teufel. Nicht, daß Cheryl das offen gesagt hätte, aber Herrgott, ich bin doch nicht taub. Sie hätten mal hören sollen, wie er gewütet hat, getobt hat er und geschrien. Und wie er sie geschlagen hat! Mehrere Male hätte ich ihn fast angezeigt. Aber das war nicht so leicht«, fügte sie hinzu, vielleicht, um sich selber zu überzeugen. »Einmal ist sie mitten in der Nacht mit den Kindern hier angerannt gekommen. Er hatte ihr so viele Haare ausgerissen, daß sie blutete. Das ist einige Monate her.«
Cato Isaksen betrachtete das Bild. Er konnte sich nicht erinnern, es schon einmal gesehen zu haben. »Wo hat es gestanden?« fragte er. Die Frau zeigte auf das Bücherregal. »Neben den alten Zeitungen«, sagte sie.
»Aber warum wollten Sie verbergen, wie gut Sie Cheryl Therkelsen kennen?«
Bergliot Behrens Blick traf seinen. Ihrer war hilflos. »Ich fand es so unerträglich, was dieser Mann für ein Tyrann war«, sagte sie. »Aber daß Cheryl ihn wirklich umgebracht hat!« Sie schüttelte langsam den Kopf und starrte wie in Trance auf einen Punkt über Catos Kopf.
»Sie wollten verbergen, daß Sie Cheryl für die Mörderin halten, ist das so?«
Die Nachmittagssonne fiel als staubiger Kegel durch das Fenster und legte sich wie zufällig über die Schultern der alten Frau. »Doch, das ist wohl so«, murmelte sie traurig. »Und wenn es so ist, dann fühlte ich mich auch schuldig. Wenn ich doch nur etwas unternommen hätte, ehe es zu spät war! Vergessen Sie nicht, Herr Kommissar, daß Cheryl aus Amerika kommt. Sie hat keine Familie hier, die ihr helfen könnte. Ich weiß ja, daß sie Freundinnen hat, aber . . .«
»Und als Sie gesagt haben, auch sie, also Cheryl Therkelsen, hätte tot sein können, da wollten Sie eigentlich sagen, daß es wahrscheinlicher gewesen wäre, wenn er Cheryl bei einer ihrer vielen Auseinandersetzungen umgebracht hätte.«
»Das hätte mich wirklich nicht gewundert. Er war doch schließlich stärker. Aber wissen Sie überhaupt, was es für ein Gefühl ist, im Bett zu liegen und dabei immer wieder verzweifelte Schreie und Hilferufe von oben zu hören? Am Ende war es so schlimm, daß ich auch glaubte, Heulen und Lärm und Füßestampfen zu hören, wenn sie sich gar nicht stritten. Phantomgeräusche, wird das nicht so genannt? Als sie einmal verreist waren, glaubte ich auch, oben Geräusche zu hören. Verstehen Sie, ich hatte fast nie Ruhe. Das hat mich krank gemacht.«
Cato Isaksen nickte verständnisvoll.
»Wie oft haben sie sich gestritten?«
Bergliot Behrens zuckte traurig mit den Schultern. »Einmal im Monat vielleicht, manchmal häufiger, manchmal seltener, aber immer gleich laut.«
Er ließ sich auf dem Sofa zurücksinken. »Haben Sie an dem betreffenden Tag etwas gehört?« fragte er, »am 13. oder 14. April, am vergangenen Samstag oder Sonntag?«
Die Frau starrte den Boden an. »Ich habe lautes Dröhnen gehört«, sagte sie leise, »ich glaube, es war am Sonntag, weil die Fernsehnachrichten bis acht Uhr gedauert haben. Es war ein schreckliches Dröhnen, gerade, als die Ansagerin im Bild war. Aber es hat sich schnell wieder gelegt. Und deshalb dachte ich, ich hätte mich sicher verhört. Aber am Vortag, am Samstag also, da war es noch schlimmer. Da haben sie bis spätnachts weitergemacht. Ich glaube, ich bin erst so gegen drei eingeschlafen.«
»Haben Sie irgendeine Vorstellung, wo Cheryl Therkelsen stecken könnte?« fragte Cato Isaksen und fügte hinzu, »und ich warne Sie, diesmal wird es viel ernsthaftere Konsequenzen haben, wenn Sie der Polizei etwas verheimlichen.«
Die Frau blickte ihn aus ihren müden Augen an. Ihr Gesicht war womöglich noch runzliger als am Vortag.
»Nein«, sagte sie leise und schlang die dünnen Finger umeinander, wie zu einem Knoten. »Ich weiß nicht, wo Cheryl und die Kinder wohl stecken könnten.« Ihre Augen bewegten sich nicht. Sie hingen an einer beschnittenen Topfblume auf der Fensterbank fest.
In den Fernsehnachrichten wurdeberichtet, daß Lachse auf »humanere« Weise getötet werden müßten, wenn man die Qualität des Fisches verbessern wollte. Wenn Lachse zuerst stark abgekühlt und dann in ein Betäubungsbad geworfen werden, treten sie dem Tod sehr viel gelassener gegenüber. Wenn man also Angst und Streß vermeidet – denn auch Lachse können Angst empfinden, wie der interviewte Experte mitteilte dann kann man in Zukunft auch wesentlich besseres Fischfleisch anbieten.
Cato Isaksen ließ den Kopf in den Nacken sinken. Etwas pochte leise hinter seiner Stirn. Die unbeholfenen und fehlervollen Wege der Liebe. Kalte Fische, die den Tod nicht fürchten. Er war nervös. Es gab etwas, das er verstehen müßte. Einen kleinen Zusammenhang, den er nicht zu fassen bekam. Er legte die Hände auf die Armlehnen. Seine Gedanken waren zu trübe und konnten die Oberfläche nicht ganz erreichen. Der Tote hatte seine Frau mißhandelt. Eigentlich hätte er sofort Ingeborg Myklebust anrufen müssen, aber das brachte er einfach nicht über sich.
Gleich nach dem Wetterbericht schellte das Telefon. Es war Bente. Er war überwältigt vom Klang ihrer Stimme. Diese Stimme erinnerte ihn an Bewegung. Er zog die Tür hinter sich ins Schloß. Sigrid war im Badezimmer und machte Georg fertig.
Es war ein kurzes Gespräch. Bente sagte, sie habe nachgedacht. Sie halte es für vernünftiger, die Mittwochsbesuche aufzugeben. »Das bringt nur Streß«, sagte sie. »Mittwochs haben sie doch immer Fußball. Das alles macht sie müde, Cato. Und am Donnerstag müssen sie so früh aufstehen.«
Sie legte eine Pause ein. Er hörte ihr Schweigen in der Leitung, wußte, was dieser Anruf sie gekostet hatte.
Er seufzte. »Du hast recht«, sagte er.
Ermuntert durch diese positive Antwort fügte sie hinzu: »Außerdem«, dann verstummte sie wieder.
»Ja?«
»Kannst du nicht versuchen, allein mit den beiden etwas zu unternehmen, wenn sie am Wochenende zu dir kommen?«
»Wie meinst du das?«
Er wußte, daß es um Sigrid ging.
»Sie wollen mit dir zusammen sein«, sagte Bente und betonte dabei das »dir«.
»Wir unternehmen doch alles mögliche allein«, sagte er, mußte sich aber korrigieren. Wann hatte er zuletzt allein mit den Jungen etwas unternommen? Zu dritt? Ihm lief ein kurzer Schauer über den Nacken. Er ärgerte sich, weil sie recht hatte.
»Du bist mit ihnen in diesem Winter nicht ein einziges Mal am Slalomhang gewesen.«
»Georg hatte so oft Koliken.«
Er konnte durch die Leitung ihr wütendes Gesicht sehen.
»Kannst du nicht ab und zu mal mit ihnen losgehen, irgendwohin . . . ohne, daß Sigrid und dieser kleine Schreihals dabei sein müssen?«
»Schreihals?« Cato ballte die Faust um den Hörer. Sigrid würde entzückt sein, wenn er Bente per Telefon anpöbelte.
»Und eine große Wohnung habt ihr auch nicht«, sagte Bente. »Sie haben nicht einmal ein eigenes Zimmer.«
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