Hussain Khan schob die eine Hand in die Tasche, zog ein nicht ganz sauberes Taschentuch hervor und wischte sich damit die Stirn.
»Ich habe schon so oft mit der Polizei gesprochen«, sagte er. »Ich bin auch auf der Wache gewesen.«
»Das wissen wir«, sagte Cato Isaksen und musterte Khan ruhig.
»Ja«, sagte der Pakistani. »Kommen Sie mit. Wir können hier hinten weiter reden.« Er verschwand zwischen den Regalen und gab den beiden ein Zeichen, ihm zu folgen. Er rief kurz und wütend etwas in seiner eigenen Sprache. Eine kleine dünne Frau von Mitte Vierzig, die ihre schwarzen Haare hinten zu einem strengen Knoten hochgesteckt hatte, kam aus einem kleinen Arbeitszimmer. Sie warf einen ängstlichen Blick auf die Ermittler, ehe sie lautlos zwischen den Regalen verschwand und sich dabei die feuchten Hände an den Hüften abwischte.
Sie bückte sich und raschelte mit einigen großen Zwiebackpackungen.
Im kleinen hellgrünen Hinterzimmer saß ein Junge und rechnete mit einem Taschenrechner. Der Junge hatte kräftige Augenbrauen und machte ein ernstes Gesicht. Er schien Zuverlässigkeit auszustrahlen.
»Das ist Kim«, sagte Hussain Khan und gab dem Jungen ein Zeichen aufzustehen. »Bashirs Sohn«, fügte er traurig hinzu.
Kim Khan nickte kurz, stand auf und schob seinen Stuhl zu Cato Isaksen hinüber. Roger Høibakk stand in der Türöffnung, während Hussain Khan von dem unordentlichen Schreibtisch einen Stapel von Rechnungen entfernte. Er bewegte sich reichlich hektisch. Sein Hals hatte sich mit roten Flecken überzogen. Kim Khan ging leise in den Laden.
»Wir haben die Ermittlungen im Mordfall an Ihrem Bruder übernommen«, sagte Cato Isaksen und warf einen Blick auf die Pinnwand, an der zwischen Rechnungen, Reklame und in Urdu beschriebenen Zetteln mehrere kleine Farbfotos hingen.
Hussain Khan fingerte an einem zerbrochenen Kugelschreiber herum. Große Rohre, die von der Decke bis zum Boden führten, rauschten. Ein winziges schmutziges Fenster warf graues Licht über die eine Längswand.
»Was haben Sie herausgefunden?« fragte Hussain Khan und ließ nervös den Kugelschreiber auf die unordentliche Tischplatte fallen.
»Wir würden gern noch einmal über einige Dinge mit Ihnen sprechen, wenn Ihnen das nichts ausmacht. Unsere Ermittlungen haben bisher nicht die gewünschten Ergebnisse gebracht.«
»Ach.« Hussain Khan holte tief Luft und setzte sich auf die äußerste Schreibtischkante.
»Möglicherweise sind einige neue Aspekte aufgetaucht. Der Fall hat eine Wendung genommen, könnten wir sagen.«
»Ach. Wieso denn?«
»Darauf werde ich noch zurückkommen«, sagte Cato Isaksen.
»Wie läuft der Laden?« fragte Roger Høibakk von der Türöffnung her.
»Gut«, antwortete Hussain Khan schnell.
»Vorhin haben Sie geglaubt, wir wollten Ihren Fleischtresen inspizieren?«
»Nein, nein.« Der Mann bewegte die Arme, als wolle er alles weit von sich weisen.
»Wie lange sind Sie schon in Norwegen?«
»Fünfzehn Jahre«, kam es wie aus der Pistole geschossen.
»Und Ihr Bruder, wie lange hat der hier gelebt?«
»Schon länger, siebzehn Jahre. Er war der erste, dann bin ich mit seiner Familie hinterhergekommen. Mit seiner ältesten Tochter und seiner Frau, die damals mit Kim schwanger war. Das ist der da draußen an der Kasse.«
Cato Isaksen nickte, und Roger Høibakk machte sich auf einem kleinen Block Notizen. Er hätte gern darauf hingewiesen, daß es nicht »schon länger« hieß sondern »noch länger«, und nicht »schanger«, sondern »schwanger«.
»Können Sie mir erzählen, was am 2. Januar passiert ist?«
Hussain Khan legte sich einen Moment lang die Hand an die Stirn, wie eine Geste der Erschöpfung, dann ließ er sie wieder sinken, beugte sich vor und stützte die Handflächen auf die Oberschenkel. »Es war ein grauenhafter Tag. Es war Weihnachten, oder fast Weihnachten. Wir feiern ja nicht Weihnachten, aber die Kinder waren zu Hause, hatten Ferien. Es war übrigens fast Silvester. Der Tag danach, meine ich, oder vielleicht der Tag nach dem Tag danach, ich weiß es nicht mehr genau. Auf jeden Fall war es ein Sonntag.«
Cato Isaksen betrachtete den Mann, während der das alles sagte. Erwirkte außergewöhnlich nervös.
»Wir hatten Besuch von Ahmed, einem guten Freund«, fuhr Hussain Khan fort. »Auch ein Freund meines Bruders«, fügte er hinzu. »Sonya war da, meine Schwägerin, meine ich, und die Kinder.«
»Ach. Und ist das Ihre Schwägerin, die im Laden arbeitet?« Roger Høibakk nickte zu der dünnen Frau im roten Sari hinüber, die noch immer die Zwiebackpakkungen mit Preisschildchen versah.
»Nein, nein. Das ist meine Frau. Sonya ist nicht gesund. Fast nur krank, wissen Sie. Wirklich schlimm.«
Cato Isaksen nickte und wartete auf die Fortsetzung. Roger Høibakk gab Hussain ein Zeichen weiterzureden.
»Ahmed und ich haben ihn gefunden, wir wollten Bashir zum Fest dazuholen. Die Tür stand offen. Nicht weit, nur einen Spalt. Und dann haben wir ihn in der Wohnung gefunden. Auf dem Boden, und überall war Blut. Wir haben die Polizei angerufen, und die ist ziemlich schnell gekommen.«
Hussain Khan atmete beim Sprechen schwer. Es war offensichtlich, daß diese Erinnerung ihm noch immer arg zusetzte. Er richtete sich auf, faltete die Hände auf seinen Knien. »Vielleicht war es dieser Per Karlsen«, fügte er nach einer Weile hinzu.
»Der hat meinen Bruder gehaßt, seine ganze Familie, seine Kinder.« Hussain Khan war aufgesprungen. »Bei dem müssen Sie mal genauer nachsehen. Die Polizei muß diesen Fall aufklären. Mein Bruder ist jetzt in Pakistan, begraben. Unsere Eltern sind sehr trauerlich. Wir waren nur zwei Söhne, und jetzt bin ich allein.« Hussain Khan zeigte dramatisch auf sich selber.
»Warum war Bashir nicht von Anfang an bei diesem Fest dabei?«
Hussain Khan ignorierte diese Frage und klagte weiter: »Meine Eltern sind krank von allem, was passiert ist. Norwegen ist kein gutes Land für uns. Wir werden gehaßt, und dabei tun wir doch nichts Böses, wir leben hier nur. Wir helfen den Norwegern, verkaufen ihnen Lebensmittel. Viele mögen uns auch, viele sind nett, aber viele hassen.«
»Warum war Bashir nicht von Anfang an bei diesem Fest dabei?« fragte Cato Isaksen noch einmal.
»Das war kein Fest, nicht so.« Hussain Khan zuckte mit den Schultern. »Wir waren einfach nur zusammen. Es sind nicht immer alle gleichzeitig da. Wenn wir zusammen sind, dann ist das für uns ein Fest.«
»Aber er wollte später dazukommen, war das nicht so?«
»Er wollte kommen. Als er nicht kam, wollten wir ihn holen. Und den Rest wissen Sie.«
Roger Høibakk ging in den Laden.
»Dieser Per Karlsen, der wohnt unter Ihrem Bruder, nicht wahr?« fragte Cato Isaksen.
»Ja, genau darunter, er war es bestimmt. Er hat uns alle gehaßt. Die Kinder haben Angst, wenn sie an seiner Tür vorbei müssen. Er macht manchmal auf und spuckt hinter den Kindern her. Verstehen Sie? Die Kinder verstehen das nicht!« Er zuckte resigniert mit den Schultern. »Die Kinder tun ihm doch nichts.«
Roger Høibakk stand wieder in der Türöffnung.
»Unter dem Leichnam Ihres Bruders hat ein Zettel gelegen?«
Hussain Khan war einen Moment lang unsicher. Seine Augen irrten von einem Ermittler zum anderen. »Ich weiß nichts von einem Zettel«, sagte er langsam.
»Unter dem Leichnam Ihres Bruders lag ein Zettel, und darauf stand: Schlaf nur ruhig, mein Blümelein«, sagte Roger Høibakk.
Hussain Khan sah verwirrt aus.
»Sagt Ihnen das etwas?« fragte Cato Isaksen.
»Nein, vielleicht war das ein Zettel aus der Schule, ich weiß es nicht. Ich weiß nichts von diesem Zettel.« Hussain Khan warf einen genervten Blick in den Laden, als seine Frau ihn rief, sie brauchte Hilfe beim Bedienen der Kundschaft. »Sie spricht kein Norwegisch«, sagte er zur Entschuldigung, dann verließ er das Hinterzimmer.
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