Susann Teoman
Saga
Ausgerechnet Istanbul Coverbild / Illustration: Shutterstock Copyright © 2010, 2019 Susann Teoman und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726255911
1. Ebook-Auflage, 2019
Format: EPUB 2.0
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»Ich verstehe das einfach nicht. Warum? Hab ich irgendetwas falsch gemacht?« Fassungslos starrte ich meine Mutter an.
»Ich habe es dir doch schon erklärt: Wir wandern aus, weil dein Vater ein gutes Jobangebot von seiner Firma erhalten hat, und nicht, weil deine Leistungen in der Schule schlecht sind. Hier hätte er nicht dieselben Aufstiegschancen wie in der Türkei. Das ist eine einmalige Gelegenheit!«, versuchte Mama es erneut.
»Aber warum ausgerechnet die Türkei? Die USA, Kanada oder Australien, das wären echt coole Alternativen gewesen, aber ich will wirklich nicht in die Türkei ziehen, das ist doch ein Dritte-Welt-Land!«
Meine Mutter Susan seufzte resigniert. »Kaans zweite Muttersprache ist eben Türkisch und nicht Englisch. Die Firma will jemanden dort haben, der die Landessprache beherrscht. Und ich bin mir sicher, es wird dir gefallen, wenn du dich erst eingelebt hast.«
Mir wurde schwindelig, ich musste mich setzen. Stumm beobachtete ich, wie sich die Lippen meiner Mutter öffneten und schlossen, während sie sprach, aber das Summen in meinen Ohren war lauter.
»Lara, Liebling, du hast dort viel bessere Möglichkeiten als hier. Wir können uns dort eine Privatschule leisten, in der du perfekt Englisch oder Französisch lernen kannst. Oder du besuchst eine deutschsprachige Schule, darüber können wir ja später noch sprechen. Und ich habe mich auch schon nach einer guten Ballettschule für dich erkundigt. Genau genommen ist Istanbul ein kleines Land der unbegrenzten Möglichkeiten, dir stehen alle Türen offen, du kannst tun, was immer du willst, ist das nicht großartig?«
Ich lachte bitter. »Nein, das ist es nicht! Was ist mit meiner Ballettschule hier? Madame Rochelle wird es nicht so toll finden, wenn ihre Solistin sie kurz vor der Premiere von Schwanensee im Stich lässt.«
»Mit Madame Rochelle habe ich schon gesprochen und sie war es auch, die mir die neue Ballettschule in Istanbul empfohlen hat!«
Ich merkte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen. »Und was ist mit meinen Freundinnen? Weißt du eigentlich, wie schwer es ist, gute Freundinnen zu finden?« Nein, sie hatte sicher keinen Schimmer, sonst hätte sie diesen bescheuerten Umzug abgelehnt.
»Ich bin mir sicher, du findest im Handumdrehen neue Freundinnen in Istanbul, vielleicht sogar bessere, wer weiß?«
»Du hast gut reden! Du bist ja auch nicht diejenige, die sich ganz allein in einer fremden Klasse in einem völlig fremden Land zurechtfinden muss! Wer weiß, wie diese neue Schule ist, womöglich falle ich durch alle Prüfungen durch, nur weil ich die Sprache nicht richtig beherrsche!«
Mama lehnte sich zurück. »Also hier, wo die Schulsprache Deutsch ist, bist du auch keine besonders gute Schülerin, oder? Deine Versetzung ist wieder einmal gefährdet!«
»Na und? Ich mogle mich schon irgendwie durch, ist doch kein Thema! Wenn ich erst eine professionelle Tänzerin bin, kräht kein Hahn mehr danach, ob ich die Versetzung geschafft habe oder nicht!«
»Das mag ja sein. Aber bis es so weit ist, solltest du dein hübsches Gesicht weniger schminken und dich weniger sorgen, welche Schuhe zu welchem Outfit passen! Stattdessen solltest du dich auf den Hosenboden setzen und lernen! Und wenn wir erst in Istanbul sind ...«
»Ihr seid so gemein! Keiner hat mich gefragt, ob ich diesen Scheißumzug überhaupt will, ihr habt mich einfach vor vollendete Tatsachen gestellt und ich habe kein Recht, meine Meinung zu äußern!«
»Komm schon, jetzt übertreibst du!«
»Nein, tu ich nicht! Und ich sage dir gleich: Ich werde auf gar keinen Fall ein Kopftuch tragen, damit das klar ist!«
Wider Willen lachte meine Mutter auf.
»Was gibt’s denn da zu lachen?«, schrie ich aufgebracht.
»Nichts, nur die Vorstellung, dass meine eitle kleine Maus ihre prachtvolle Mähne unter einem Kopftuch verbirgt, fand ich irgendwie witzig.« Sie wurde wieder ernst. »Wir ziehen zwar in ein muslimisches Land, aber Istanbul ist ganz sicher ein Stück moderner als Bonn, jedenfalls was die Mode angeht. Du brauchst nichts zu tun, was dir missfällt, und auf gar keinen Fall musst du ein Kopftuch tragen oder so etwas. Das basst ja auch kaum su unsere Teint, non? « Mamas absichtlich schlecht imitierter französischer Dialekt brachte mich sonst immer zum Lachen. Nicht dieses Mal.
»Wie wäre es heute mit deinem Lieblingsessen: Kassler, Sauerkraut und Kartoffelpüree?«
»Noch etwas, das es dort nicht gibt«, murmelte ich verdrossen. »Dabei esse ich Schweinefleisch für mein Leben gern!«
In zwei Wochen sollte es so weit sein. Nur noch zwei Wochen lang würde ich in den Genuss von Schweinefleisch, Puddingteilchen und Malzbier kommen, dann würden diese Köstlichkeiten Mangelware sein. Nur noch sechs Mal würde ich in meinem heiß geliebten Ballettstudio trainieren, noch dreizehn Mal in meinem Bett schlafen. Ich versuchte krampfhaft, jede Sekunde voll auszukosten, vereinzelt unternahm ich auch den Versuch zu rebellieren, aber meine Eltern blieben blöderweise eisern, ganz gleich, wie sehr ich heulte, tobte oder in Hungerstreik trat. Auch wenn ich mir mit aller Macht den Tag des Umzugs weit, weit weg wünschte, rückte er doch unerbittlich näher. Ich weigerte mich standhaft, meine Sachen in die Kartons und Koffer zu packen, die Mama mir ins Zimmer gestellt hatte.
»Sollen sie doch allein ins Land der schwarzen Bettlakenfrauen ziehen, ich werde einfach hierbleiben!«, erklärte ich meinen Freundinnen trotzig.
»Das sind keine Betttücher, das nennt man Tschador«, korrigierte mich Ira.
»Schade, dass ihr bald fort seid.« Saskia, Leo, Aggie und Ira standen im Halbkreis um mich herum. So ging das oft in den vergangenen Tagen. Meistens sagte ich nichts und die anderen gaben sich Mühe, mir ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Ich blickte nur finster in die Ferne.
»Wie ist es denn so in Istanbul?«, wollte Saskia neugierig wissen.
»Keine Ahnung, war noch nie da.« Gleichgültig zuckte ich die Schultern. Istanbul war mir egal, hier, in Bonn, war ich zu Hause und nicht in irgendeiner türkischen Stadt, die ich nur dem Namen nach kannte.
»Wenn du noch nie da warst, wie willst du dann wissen, ob es dort tatsächlich so schrecklich ist?«, fragte Aggie interessiert.
»Ich war schon mal in der Heimatstadt meiner Großeltern, in Diyarbakir, und da haben fast alle Frauen Kopftücher getragen und die Männer hatten schwarze Bärte. So viel besser kann Istanbul nicht sein. Ist doch dasselbe Land.«
Alle nickten bedrückt. Ich spürte, dass auch ihnen der Abschied nicht leichtfiel, trotzdem versuchten sie, sich nichts anmerken zu lassen, damit es mir nicht noch schlechter ging.
»Aber in den Reisemagazinen liest man doch immer von der Gastfreundschaft und Freundlichkeit der Türken, da muss doch etwas Wahres dran sein, oder nicht?«
»Weiß ich nicht.« Ich scharrte grimmig mit meinen rosafarbenen Converse im Sand.
»Also, bei uns im Iran ...«, begann Ira, deren Eltern Nachkommen von Einwanderern aus dem Iran waren.
»Wieso sagst du eigentlich immer bei UNS im Iran?«, blaffte ich sie an. »Du kennst den Iran doch kaum besser als ich die Türkei!«
»Stimmt gar nicht!«, erwiderte Ira beleidigt. »Wir fahren jedes Jahr sechs Wochen in den Sommerferien hin. Und bei uns im Iran müssen ALLE Frauen Kopftücher tragen, auch Touristinnen, sobald sie das Flugzeug verlassen.« Wichtigtuerisch verschränkte sie die Arme vor der Brust. »Ich wette, in der Türkei ist das genauso.«
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