Susann Teoman
Türkischer Mokka mit Schuss
Saga
Türkischer Mokka mit Schuss Coverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 2008, 2019 Susann Teoman und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726255454
1. Ebook-Auflage, 2019
Format: EPUB 2.0
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Ich bereue nichts, überhaupt nichts, niemals!
Außer heute.
Ich stecke ganz schön in der Klemme. Und es ist kein Ausweg in Sicht.
Ich bin an einem Punkt angelangt, an dem ich mir wünsche, dass die gesamten vergangenen drei Monate wieder rückgängig gemacht werden könnten.
Ich wende meine zu stark geschminkten Augen flehend himmelwärts. Nichts passiert. Keine Fanfaren kündigen die Ankunft eines Engels an, und auch der Himmel, beziehungsweise die weißgetünchte Decke über mir, öffnet sich nicht.
Was kann der liebe Gott denn dafür, dass ich so bescheuert bin? Ich an seiner Stelle würde mir eine Tüte Popcorn greifen und amüsiert abwarten, was heute sonst noch alles geschieht.
Wie bin ich hier nur gelandet? Im Nebenzimmer eines Standesamtes und in einer unheimlichen Wolke aus weißem Tüll nebst passendem Brautstrauß aus goldenen Plastikrosen und einem Gesicht, das so stark angemalt ist, dass ich aussehe wie der Sänger von »The Cure«?
Ich bin eine Braut! Schlimmer noch, ich bin eine türkische Braut! HILFE!
Um meine Taille spannt sich eine zwei Meter lange leuchtendrote Schleife. Das ist bei uns Türken so Sitte, musste ich mich heute früh belehren lassen. Jede Jungfrau trägt so ein Monster um die Taille, das symbolisiert meine »Unschuld«. Was der Bräutigam wohl davon halten wird, wenn er bemerkt, dass ich nicht unschuldig bin? Dass ich sogar alles andere als unschuldig bin?
Ich stehe auf und wandere zum vergoldeten Spiegel. Meine Herrschaften, ich sehe wirklich enorm geschmacklos aus! Meine Haare sind mit einem Glanzpartikelspray so hoch toupiert, dass ich wie ein Popstar der Achtziger wirke. Auf diesem kunstvollen Turm aus Haar und Chemie befindet sich ein steifer Tüllschleier, den ich nach dieser Hochzeit problemlos als Gardine für ein sechs Meter breites Fenster verwenden könnte.
Das Kleid ist der Oberkracher, eine Kreation aus acht Lagen weißem Tüll, mit einem Reifrock darunter, der so breit ist, dass ich durch keine Tür passe. Die oberste Tülllage ist mit einer halben Tonne Strasssteinchen beklebt, und auf meinem Po prangt eine riesige weiße Tüllschleife, die zu den kleinen Schleifchen am unteren Rockrand passt. Ich sehe verdammt scheußlich aus! So scheußlich wie noch nie. Ich kann mich nicht beherrschen und fange an zu weinen.
Das hätte alles ganz anders laufen sollen! Ich hatte das alles so schön geplant.
Nicht diese Hochzeit, nein, ich meine doch meine echte Hochzeit.
Die, bei der ich Jan heiraten wollte. Meinen schönen, blonden Jan.
Heute hingegen werde ich Ali heiraten, einen türkischen Ingenieur. Und ich kann nicht einmal so etwas zu meiner Verteidigung vorbringen wie: »Man hat mich zu dieser Ehe gezwungen!«
Ich habe mir den Typen ja schließlich ausgesucht, obwohl ich doch Jan liebe.
Ich hätte mir zu meiner Hochzeit ein schlichtes, cremefarbenes Seidenkleid gewünscht und ein Sträußchen aus gelben Orchideen und weißen Röschen. Und vielleicht einen Hauch Rouge und etwas Lippenstift. Und natürlich Jan an meiner Seite, vorzugsweise mit Frack und Zylinder.
Und nun stehe ich hier und sehe aus wie mein eigener schlimmster Albtraum. Und heirate einen Typen, den ich ebenso wenig kenne wie er mich und den ich nicht die Spur liebe. Daran bin ich selber schuld, auch wenn ich doch noch auf ein Wunder hoffe.
Ich bin schuld oder, genauer gesagt, Pelins Voodoo-Zauber und meine geheime Identität.
Mein verruchtes Doppelleben ist so sehr ein Teil von mir selbst geworden, dass ich mir eine andere Art zu leben gar nicht mehr vorstellen kann. Ich weiß nicht mehr, wo und wann ich angefangen habe, zwei Leben zu führen.
Halt – doch, das ist, glaube ich, auf einer Klassenfahrt in die Bretagne passiert. Damals war ich noch die wohlerzogene Tochter oder gab mir zumindest alle Mühe, dem Idealbild meiner Eltern von einer perfekten türkischen Tochter aus gutem Hause zu entsprechen.
Mit achtzehn hatte ich mich unsterblich in Adonis Atanasius verknallt. Adonis oder Adi, wie ihn alle nannten, machte seinem Namen alle Ehre. Adi war ein griechischer Gott, wie er im Buche stand: groß, breitschultrig, mit schwarzen Locken und Glutaugen, einem kantigen Kinn, und das Tollste war: Er rasierte sich schon!! Gooott, war das vielleicht männlich!! Ich glaube, in Adi war die gesamte weibliche Jahrgangsstufe hoffnungslos verliebt. War ja auch kein Wunder, denn die meisten anderen Jungs steckten noch bis zum Hals in der Pubertät, Eiterpickel, Zahnspangen, schlaksige Körper und ständig kicksende Stimmen inklusive. Mal ehrlich, Jungs im Stimmbruch hören sich an wie eine Tonstörung, man hat unweigerlich das Bedürfnis, sich die nächste Fernbedienung zu schnappen und auf »lautlos« zu stellen. Adi dagegen hatte eine Stimme wie nachtschwarzer Samt. Man wollte sich in seine Stimme hineinfallen lassen und sich mit ihrem warmen Timbre zudecken. Ich war zwar bis über beide Ohren in Adi verschossen, hätte das aber im Leben nicht zugegeben. Was das angeht, bin ich doch sehr türkisch veranlagt. Ich bevorzuge es, wenn die Männer mir hinterherlaufen und nicht umgekehrt.
Nicht, dass das bis dahin je passiert wäre, denn ich war nie auffallend hübsch, meine Beine sind kurz und ein wenig stämmig. Ich denke, das hat Gott mit Absicht gemacht, denn hätte ich lange, schlanke Beine wie die deutschen Frauen, würde ich nur kurze Röcke tragen und einen Familienkrieg auslösen. Dafür habe ich eine schlanke Taille, die mein ganzer Stolz ist. Mein Busen ist bedauerlicherweise nicht weiter nennenswert, da kaum vorhanden. Gäbe es das, dann wäre meine Körbchengröße sicherlich fünfundsiebzig minus A anstelle von fünfundsiebzig A, und mit meinen langen nussbraunen Haaren, die ich damals gerne offen getragen habe, versuchte ich, meine mangelnde Oberweite zu kaschieren. Meine Arme waren für eine Frau schon immer viel zu muskulös. Leider steht kein Kerl auf eine Frau, die mehr Liegestützen machen kann als er. So dachte ich bis dahin jedenfalls.
Deshalb war ich total perplex, als Adi eines Tages in der Zehn-Uhr-Pause auf dem Schulhof zu mir kam und begann, sich mit mir zu unterhalten. Obwohl ich ja ansonsten nicht auf den Mund gefallen bin, war ich so baff, dass ich seine freundliche Frage, wie denn meine Mathearbeit gelaufen sei, mit einem heftigen Schluckauf beantwortete. Denn immer, wenn ich entsetzlich nervös bin, bekomme ich einen sehr lauten, lang anhaltenden Schluckauf.
Ich fragte mich, ob irgendjemand eine geschmacklose Wette mit ihm abgeschlossen haben könnte oder ob ich träumte. Zugleich wünschte ich mir sehnlichst, dass er hier bei mir blieb und immer weiter sprach, obwohl ich vor lauter Aufregung das Gefühl hatte, nichts verstehen zu können. Adi hatte mich eine Weile verblüfft gemustert, sicher hat er sich gefragt, ob ich noch alle Tassen im Schrank hatte, dann hatte er gelacht.
»Melda, ich finde, du bist erfrischend anders als die anderen Mädchen.«
Als wüsste er, was mir eben durch den Kopf gegangen war, fragte er mich: »Was hast du nach der Schule vor?« Seine schwarzen Augen glänzten, während sich sein pechschwarzer Blick auf meinen heftete. In diesem Moment wusste ich, dass Adi der Mann sein würde, mit dem ich das erste Mal Sex haben würde, türkische Tochter hin oder her.
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