Susann Teoman
Saga
Döner für zwei Coverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 2009, 2019 Susann Teoman und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726256024
1. Ebook-Auflage, 2019
Format: EPUB 2.0
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»Frollein! Sie da hinten, spreken Deutsch, hä?«
Ich sehe mich irritiert um. Wen meint der Typ? Aber außer ein paar weiteren Kunden und Raschid und Hasan, den beiden Kellnern, ist da kein »Frollein«.
»Frollein, he, ja, genau Sie da meine ich!« Er deutet mit seinem wurstartigen Zeigefinger auf mich. Zögernd trete ich auf seinen Tisch zu.
»Essen kalt. Brrrrr!« macht er und schüttelt sich. »Wein sein zu warm, bääääääh! Verstanden?«
Ich stelle mich abwartend vor seinen Tisch und verschränke die Arme vor der Brust. Raschid und Hasan gesellen sich neugierig zu mir.
»Neues Essen heeerbringe, heißßßßßßßßß, haste verstanden, Mädschen?«, blafft er unfreundlich.
Raschid und Hasan beobachten mich amüsiert.
Ich baue mich vor dem geschmacklos gekleideten Kerl auf, er trägt ein rot-weiß gemustertes Hawaiihemd und viel zu enge grellgrüne Shorts, die seine blassen, spärlich behaarten Beine hilflos umklammern. Glücklicherweise sitzt er, sodass ich größer wirke als er, während ich mein Kinn vorstrecke und zuckersüß lächele: »Ihr Kebap ist heiß, es wurde vor nicht einmal drei Minuten frisch vom Grill geholt, und Ihr Wein kam eben erst aus der Kühlzelle. Und wenn Ihr Deutsch wirklich so unter aller Sau ist, dann sollten Sie einen Besuch im Goethe-Institut in Erwägung ziehen. Wenn Sie denen genug zahlen, werden sie Ihnen bestimmt vernünftiges Deutsch beibringen. Guten Abend.« Ich wende mich ab und lasse meine kinnlangen Locken dabei hochnäsig herumwirbeln.
»Idiot«, denke ich wütend.
Die Kellner brechen in meckerndes Gelächter aus.
»ALEYNA!«, brüllt Baba quer durch das Restaurant.
Mist.
Er hat mich gehört. Würde sagen, ich stecke in Schwierigkeiten.
Er bedeutet mir mit einem Nicken in Richtung Küche, dass ich ihm dorthin folgen soll. Ich stöhne, tue aber wie geheißen.
»Aleyna, hemen buraya gel! «,brüllt er erneut, was so viel heißt wie: »Komm her, aber plötzlich!«
Baba war schon dreißig, als er auf der Suche nach einem großen Abenteuer nach Deutschland einreiste. Er stammt aus Istanbul, wo seine Familie größtenteils aus Handwerkern besteht. Er hatte sich angesehen, wie seine Verwandten lebten, und da Handwerker in der Türkei leider mehr schlecht als recht bezahlt werden, hatte er sich entschlossen gegen eine Fortsetzung der Familientradition gewehrt. Baba wollte Geld verdienen. Und man hatte ihm erzählt, dass die Straßen in Deutschland förmlich mit Geld gepflastert seien. Man müsse sich lediglich bücken und es aufheben.
Er hatte also ein paar Monate lang am Fließband einer Fabrik gestanden und dabei festgestellt, dass das Geld hier genauso schwer zu verdienen war wie zu Hause. Aber aufgeben kommt für uns Mevlanas auf gar keinen Fall infrage, also hat er sich nach einer Marktlücke umgesehen. In einem Land, in dem es für den türkischen Geschmack nur eine unzureichende Vielfalt an Lebensmitteln gab (es waren immerhin die Siebzigerjahre und so exotisches Gemüse und Obst wie Auberginen, Okrafrüchte, Wassermelonen, grüne Pflaumen und dergleichen gab es kaum), erkannte er schnell, dass seine Landsleute sich nach heimatlichem Essen sehnten, nach deftigen Kebaps und süßem Baklava.
Mit einem festen Ziel vor Augen hatte er in wenigen Jahren ein kleines Vermögen zusammengespart. Mit einem zusätzlichen Kredit, mit dem er sein neu erworbenes Restaurant umbaute, gründete er das »Mevlana Kebap«, ein florierendes Unternehmen, ganz im Sinne der türkischen Gaumenfreuden. Was er an Deutschkenntnissen benötigte, hat er irgendwo immer mal ein wenig aufgeschnappt und da er hier ja eigentlich fast immer nur Türkisch spricht, ist sein Deutsch grammatikalisch nicht immer perfekt, vor allem dann nicht, wenn er wütend ist. Für einen Kursbesuch reichte seine Zeit nie wirklich aus, ständig arbeitete er und gönnte sich selbst kaum einmal eine Pause. Auf meine sprachliche Erziehung hingegen hat er schon immer sehr viel Wert gelegt. Deshalb spricht er mit mir deutsch, na ja, sagen wir, er versucht es zumindest und meist klappt es auch, es sei denn, er ist gerade wütend oder müde oder ihm ist das entsprechende Wort auf Deutsch nicht geläufig.
Das »Mevlana Kebap« ist sein ganzer Stolz, sein kleines Imperium, sein Schloss, das er eigens für sein einziges Kind, mich, errichtet hat. Ob ich es nun will oder nicht: Eines Tages soll ich das Restaurant einmal übernehmen.
»Du wissen genau, dass der Kunde König ist, warum du meckerst ihn an?« Baba spricht nur selten, aber wenn er dann doch einmal den Mund aufmacht, dann tut er dies meistens mit der Dezibelzahl eines Presslufthammers.
»Aber Baba, der Kerl motzt schon, seit er hierhergekommen ist, und ...«
»Wie alt bist?«, fragt Baba unvermittelt.
»Achtzehn«, antworte ich verblüfft.
»Ah, also du sein erwachsen, nicht wahr?«
»Ja, schon ...«
»Erwachsene, INTELLIGENTE Menschen nix anbrüllen fette Kunden mit viel Appetit, verstanden?!« Baba hatte immer schon seine eigene Logik. Aber gut, irgendwo hat er ja auch recht. Der Kunde ist König.
»Meine Schicht ist jetzt sowieso vorbei. Ich gehe dann mal. Tanja wartet schon auf mich.«
»Ah, braves Mädchen! Du lernen mit Tanja für Abitur, das sein gut! Hier, nimmst du Irmik Helvasi mit, heute ist Kandil. Sevaptir, kizim.« Sevaptir, das ist eine der türkischen Redensarten, die man nur schwer übersetzen kann, aber es bedeutet, dass man Gutes tun soll, man teilt sein Essen und auch seine Getränke und, wenn es nötig ist, sogar sein Geld mit anderen Menschen, Menschen, die einem entweder nahestehen oder es nötig haben oder beides.
Die Familie meiner Freundin Tanja, die alle Ärzte sind, hat eine Mahlzeit sicher nicht nötig, aber Tanja liebt Helva und meine Eltern wissen das natürlich. Immerhin sind wir schon seit der fünften Klasse beste Freundinnen. Ich nehme den in Butter gewendeten und mit Zuckerwasser und Zimt abgelöschten Gries, auf dem geröstete Pinienkerne verstreut sind, entgegen. Er ist noch warm und duftet verheißungsvoll, sodass mir unwillkürlich das Wasser im Mund zusammenläuft.
Heute ist Miharc Kandili. Man sagt, wenn man sich heute etwas wünscht, dann geht es auch in Erfüllung. Ich habe nur einen einzigen Wunsch: Anwältin zu werden. So ein scheinbar einfacher Wunsch, der aber so schwer zu erfüllen ist.
Ich seufze, während ich meine blütenweiße Schürze abstreife und meinen bordeauxroten Rock und die weiße Bluse gegen Jeans, T-Shirt und lila Flipflops austausche. Das ist mein Leben.
Während die meisten Mädchen daheim mit ihren hübschen Barbiepuppen spielten und ihre Eltern sie zum Ballett- oder Klavierunterricht fuhren, habe ich Bowling mit leeren Rakiflaschen und Zwiebeln gespielt und mithilfe von fünfhundert Gramm Curry und Pfeffer und einem Ventilator einen fantasievollen Sandsturm in der riesigen Küche unseres Restaurants verursacht.
Wenn der Koch Adnan Kelle, einen im Ofen gebratenen Schafskopf, für einige wichtige türkische Kunden zubereitet und zum Abkühlen auf den Tresen gestellt hatte, schlich ich mich in die Küche und setzte dem armen Schafskopf Babas Brille auf. Adnan hat mich deshalb mehr als einmal mit einer riesigen Suppenkelle aus der Küche verjagt. Nicht, dass er mir tatsächlich etwas hätte antun wollen, dazu hatte er mich immer schon viel zu gerne. Aber so ein freches Eindringen in sein Hoheitsgebiet musste ja irgendwie bestraft werden.
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