Corona & Amore
Liebe in Zeiten des Lockdowns
14 Tage - im März 2020 eine magische Zeitspanne! Die ganze Republik lebt im Zweiwochentakt der Quarantäneverordnungen und Regierungserlasse. Doch die Stille des Lockdowns bietet auch Raum und Zeit für unerwartete Begegnungen: Anna verliebt sich beim Ausliefern einer Pizza ausgerechnet in einen Coronakranken, während Marit mit ihrer neuen Liebe wahlweise die enge Zweisamkeit genießt oder vagabundenhaft die leeren Straßen der Stadt durchstreift.
Von Zeit kann Chiara dagegen nur träumen. Sie kämpft im Klinikum gegen die Seuche und ungeliebte Kollegen und hofft, dass auch für sie am Ende ein wenig vom Glück übrigbleibt.
Für Melanie
Alle Personen des Romans sind fiktiv und alle Handlungen frei erfunden, könnten sich aber so oder ähnlich in jeder deutschen Stadt im März 2020 zugetragen haben, weshalb der Ort, an dem die Handlung spielt, der Phantasie des Lesers überlassen bleibt.
1. Ausgabe Januar 2021
Texte: © Copyright by Susanne Tammena
Verlag:
Susanne Tammena
Dorenborg 3
26810 Westoverledingen
susanne.tammena@gmx.de
Umschlaggestaltung und Satz
© Copyright by Monique Meyer, www.mm-grafikdesign.com
Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Das Haus mit der Nummer 19 gehörte zu dem Abschnitt der Konrad-Adenauer-Allee, auf dem sich der Straßenfluss aus der einige Hundert Meter währenden Enge zwischen vielstöckigen Mehrfamilienhäusern in eine großzügige Weite zu ergießen schien, einem Tal gleich, das Licht und Luft zum Atmen bot, und dem Strom des Verkehrs endlich den nötigen Raum zugestand, sich ausbreiten zu können. Tatsächlich versickerte jedoch auf diesen letzten Metern vor den Sportanlagen des Schulzentrums sowohl der Verkehr als auch der Menschenstrom, als handele es sich um die dürre Einöde eines Hochplateaus, einen Ort ohne Wiederkehr für gestrandete Existenzen. Der Zugang zu den Sportplätzen lag auf der anderen Seite der Anlage am Hölderlinpark, und tatsächlich war die Konrad-Adenauer-Allee trotz ihres großartigen Namens eine Sackgasse und endete vor einem grünen Gitterzaun.
Die wenigen Einfamilienhäuser, die hier standen, hatten großzügige Grundstücke mit breiten Auffahrten. In den achtziger Jahren war das Gelände Teil des Gewerbegebietes Hölderlinplatz Nord gewesen, das auch heute noch jenseits des Schulzentrums existierte, und die hier am Ende der Allee stehenden Häuser verdankten ihre Existenz nur dem fehlenden Bedarf an Gewerbegrundstücken in der mittelgroßen Stadt, die zu einer Umwidmung im Raumnutzungsplan geführt hatte. Trotz der vierzig Jahre, die seitdem vergangen waren, wirkte das Gelände noch immer nicht wie eine echte Wohngegend, sondern wie eine zufällig bewohnte Brache, die Häuser von großen Rasenflächen und niedrigen Zäunen umgeben, doch kaum Hecken, Bäume oder Sträucher schufen eine Illusion von Gartenkultur.
Das Haus mit der Nummer 19 war rundherum hell erleuchtet, und aus einem kleinen, offenstehenden Fenster, das vermutlich zu einer Gästetoilette gehörte, da es sich direkt neben der Eingangstür befand und mit undurchsichtigem Glas versehen war, drang laute Musik, deren starke Bässe Anna auch durch die Tür hindurch bis in ihre Fußspitzen spüren konnte. Sie hatte den kleinen Transporter mit der Aufschrift ‚Ristorante Napoli‘, den sie neuerdings zum Ausliefern der Pizza benutzte, an der Bordsteinkante geparkt. Seit einer Woche war der Restaurantbetrieb so weit eingeschränkt, dass ein Besuch des Lokals niemandem mehr wirklich Freude bereitete, doch seitdem waren die Außer-Haus-Bestellungen sprunghaft angestiegen. Glücklicherweise, betonte ihr Vater Angelo täglich, denn so hatten sie zumindest ein wenig an Umsatz zu verbuchen. Dass Anna jetzt den Lieferwagen fuhr, statt im Restaurant an den Tischen zu bedienen, gefiel ihr allerdings überhaupt nicht. Das war Martins Job gewesen, doch den hatte ihr Vater in der vorigen Woche nach Hause geschickt. Mit ihr als Tochter konnte er das natürlich nicht machen, andererseits konnte er auch viel freier über sie verfügen, als Martin es sich hätte gefallen lassen, ein Dilemma, das sie manchmal ihre dunklen Locken schütteln ließ, aber nur manchmal, meistens fühlte sie sich ganz wohl in ihrer Position, die so passgenau zugeschnitten war auf ihr Bedürfnis nach menschlicher Nähe und Sozialkontakten, ohne ihr dabei allzu viel Eigenverantwortung abzuverlangen.
Anna drückte auf den Klingelknopf und wartete. Den Geräuschen im Haus und der Bestellung nach zu urteilen, feierten die da drin eine Party mit mindestens fünfzehn Leuten. War das überhaupt erlaubt? Die Lautstärke lag sicherlich weit über dem, was man Nachbarn eigentlich zumuten durfte, doch die Nachbarschaft lag in geradezu bedrückender Stille da. Kein Licht in den Fenstern, kein Geräusch kläffender Hunde, nicht einmal das blaue Licht eingeschalteter Fernsehgeräte war zu entdecken. Nur die Nummer 19 pulsierte stetig und ungebremst wie ein gut funktionierender Herzmuskel den Techno-Beat auf die Straße und leuchtete dabei wie ein Weihnachtsbaum.
Anna klingelte noch einmal. Es war die letzte Adresse, die sie heute beliefern musste, ein Blick auf ihr Handy zeigte ihr, dass es schon nach 22 Uhr war. Sie wollte endlich nach Hause. Die Kälte der beginnenden Märznacht war inzwischen durch die Sohlen ihrer Turnschuhe gedrungen, und die Pizza in den fünf Pappkartons, die sie auf ihrer rechten Hand balancierte, war sicherlich auch schon bedenklich abgekühlt. Vielleicht war auch nur die Klingel kaputt, überlegte Anna und lauschte angespannt, als sie ein weiteres Mal den Finger auf den Knopf legte und ihn gedrückt hielt. Als die Musik für einen kurzen Moment aussetzte, weil das Stück vorbei war, hörte sie tief im Innern des Gebäudes einen schrillen Ton, der ihr selbst aus der Entfernung durch Mark und Bein ging, doch gleich darauf setzte der stampfende Bass erneut ein und es war nichts anderes mehr wahrzunehmen.
Sie fühlte Zorn in sich aufsteigen und hielt die Klingel trotz der vermutlichen Vergeblichkeit weiter gedrückt, bis die Haustür mit Schwung aufgerissen wurde und ein Mann um die dreißig in Trainingsanzug vor ihr Stand.
„Na endlich!“, hatte er die Frechheit zu sagen, nahm ihr aber glücklicherweise den Stapel Pizzakartons aus der Hand und stellte sie neben sich im Hausflur ab.
„Und der Rest?“, fragte er wenig hilfreich, obwohl Anna sich schon halb zum Gehweg umgedreht hatte, um die restlichen zehn Kartons aus dem Kofferraum des Autos zu holen. Sie sparte sich die Mühe einer Antwort, stieß ihm den Kartonstapel etwas unsanft in die Arme und fragte ihrerseits unwirsch:
„Sollten größere Menschenansammlungen nicht eigentlich vermieden werden? Wegen der Ansteckungsgefahr?“
Sie schaute ihn böse an. Oberlehrerinnenhaftes Benehmen war sonst nicht ihre Art, aber sie ließ sich auch nicht gerne herumscheuchen. Er hätte seine Hilfe zumindest anbieten können. Zu ihrer Überraschung lachte er jetzt jedoch, wodurch sein etwas ungepflegtes Gesicht mit den hellen Bartstoppeln ein sympathisches Aussehen bekam.
„Schon zu spät! Wir sind alle in Quarantäne. Da können wir die letzten Tage der Menschheit auch in vollen Zügen genießen.“
Anna wurde blass und trat instinktiv einen Schritt zurück.
„Sollten Sie dann nicht zumindest einen Mundschutz tragen, wenn sie die Tür öffnen?“, fragte sie entrüstet, und tatsächlich wurde ihr Gegenüber ernst und schaute etwas betroffen drein.
„Sorry, da haben Sie wohl recht, wir sind erst seit heute da und noch nicht so gut organisiert.“
Er wendete sich von der offenen Tür ab und kramte auf einem Tischchen hinter dem großen Stapel Pizzakartons herum. Anna konnte einen ganzen Karton mit Gesichtsmasken erkennen, aus dem er einen Mundschutz nahm und die Gummis hinter die Ohrmuscheln zog. Als die Maske korrekt saß, fragte er versöhnlich:
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