– hieß der Kerl Hanussen, zweitens ist Professor Applebaum kein Scharlatan, sondern der größte Orthopäde Europas, drittens säble ich niemanden auf, sondern operiere, und viertens lese ich diesen Artikel eben deshalb, damit ich morgen vielleicht nicht operieren muß!
– Was ereiferst du dich? Wenn du deinem Sohn etwas einimpfen willst, dann lern erst mal diskutieren. Wenn man will, kann man sich auch überzeugen lassen. Ich zum Beispiel habe mich überzeugen lassen. Noch bevor ich dich kennengelernt habe, da gab’s bei uns in der Nähe eine sehr bekannte Wahrsagerin, eine gewisse ... Nun, der Name tut nichts zur Sache, und die hat mir prophezeit, ich heirate einen Arzt und bekomme einen Jungen. Wie erklärst du dir das?
– Ihre Fehlprognosen hast du wahrscheinlich mittlerweile vergessen.
– Ich habe zufällig ein sehr gutes Gedächtnis!
– Besonders für Namen!
– Du merkst dir vielleicht ein paar Namen, aber dafür bist du nicht imstande, deinem Sohn die einfachsten Fragen zu beantworten!
– Ich habe ihm geantwortet!
– Du hast gesagt, er soll zum Zirkus gehen!
– Ich habe nicht gesagt ... Ich habe gesagt ...
Doktor Tikal stellte fest, daß er sich ums Verrecken nicht erinnern konnte, was er gesagt hatte, und ging in die Luft.
– Herrgott, und hat dir die Hexe auch gesagt, wer dich nach mir heiratet?
In heiligem Zorn, vom Bewußtsein der bislang unbefleckten Unschuld gesteigert, ergriff er die Zeitschrift, knallte die Tür zu, riß sich einen Knopf vom Schlafanzug ab und warf den Wecker herunter. Er atmete auf, als er endlich wohlbehalten im Bett lag, und schlug die Zeitschrift wieder auf. Als er den ersten Absatz zum sechstenmal las, stellte er fest, daß er vor Wut sein Englisch vergessen hatte.
Tikal junior, der bis dahin schweigend dem Wortgefecht der Eltern zugeschaut hatte, mit dem Kopf pendelnd wie beim Tennis, murmelte, er habe noch zu lernen, und begab sich in seine Bude. Nach dem Verarzten einiger Schrammen, die er mittags beim siegreichen Zweikampf mit dem Häuptling der 8 b hinter der Schule abbekommen hatte, widmete er sich der Literatur. Es handelte sich jedoch nicht um den für Mutters Auge angefangenen »Letzten Mohikaner«, sondern um die »Vollkommene Ehe«, während des Abendessens aus der verschlossenen Abteilung des väterlichen Bücherschranks entwendet. Einige der abgebildeten Organe erregten ihn zunächst. Dann erfaßte ihn Beklommenheit und schließlich Widerwillen. Er löschte das Licht aus und versuchte, sich im Dunkeln die Mandelaugen der Klára Zimová zu vergegenwärtigen.
Frau Tikalová weinte noch eine Zeitlang im Eßzimmer. Doktor Tikals rechtschaffene Empörung hatte sie in Zwiespalt versetzt. Sie weinte beim Gedanken, ihn diesmal zu Unrecht der Untreue verdächtigt zu haben, und zugleich beim Gedanken, er sei ihr diesmal auf raffiniertere Weise untreu als je zuvor. Schließlich beschloß sie, sich direkt bei ihm Trost zu holen. Sie demolierte die Pyramide auf ihrem Kopf und barg den Gatten unterm Zelt ihres unvergleichlichen Haars, wie nur sie es hatte und wie er es am liebsten hatte. Doktor Tikal schlief schon, und ihre Liebkosungen drangen mitten in einem Traum von der bildhübschen Schwester Dušková zu ihm durch.
Auf welch verschlungenen Pfaden das Glück doch die Menschen erreicht!
Am selben Abend, etwas später, nach dem psychologischen Film heimgekehrt, zu dessen Anfang sie noch zurechtgekommen waren, dessen Ende jedoch beide nicht befriedigt hatte – Herrn Plavec nicht, weil dem älteren, seriösen Mann die junge Ehefrau abspenstig gemacht wurde; Frau Plavcová nicht, weil der Liebhaber keine seriösen Absichten hatte –, berichtete der Direktor bei der gewohnten Partie Canasta von den Ereignissen in der 8 a. Die Partie zur Guten Nacht hatte im dritten Ehejahr Frau Plavcová eingeführt. Weniges war ihr so unerträglich wie Canasta, aber seit dem vorvorigen Jahr zog sie das Spiel Plavecens Annäherungsversuchen vor. Jetzt überlegte sie, ob sie eine Partie vorschlagen sollte, damit er endlich müde wurde, oder gleich Migräne vorschützen. Sie dachte auch voll Unbehagen an den Film und voll Argwohn an Richard.
– Und das muß ausgerechnet bei der Wachablösung geschehen,
seufzte der Direktor sorgenschwer,
– stell dir vor, heute hat mir der Vorsitzende Karas unter dem Siegel der Verschwiegenheit verraten, daß man das im Bezirkssekretariat ausgekocht hat!
Frau Plavcová dachte gerade daran, wie Richard ihre neue Tönung gefallen würde; sie reagierte geistesabwesend.
– Wen hat man ausgekocht?
Er wußte, daß Schule und Politik sie unsäglich langweilten, und war hoch erfreut, daß sie ihn jetzt überhaupt wahrnahm. Er begann ihr die geplante Rotation der Kader zu schildern, in deren erfolgreichem Verlauf ihn die Zentrifugalkraft zum Kreisschulinspektor emporheben könnte.
Während er einen Rosenkranz von Namen und Titeln herunterbetete, legte sie mechanisch Karten ab und stellte sich die Frage, die sie sich seit dem Moment stellte, als ihre Freudin ihr den letzten Brief überbracht hatte: ob Richard sie tatsächlich binnen einer Woche verführen würde. Schon hatte sie einen Besuch bei ihrer Mutter angekündigt, sich ein Alibi besorgt und eine Tönung machen lassen, mit der sie sich noch begehrenswerter dünkte. Es brauchte nur noch die dumme Scheu überwunden zu werden, die all ihren herbeigesehnten Verehrern Einhalt geboten und sie selbst schließlich gezwungen hatte, mit dem schmachtenden Plavec vorliebzunehmen.
– ... und infolge alles dessen, jetzt halte dich fest,
steigerte der Direktor seine Mitteilung und legte dramatisch eine Pause ein, als wollte er ihr den Mörder bekanntgeben,
– bekommen wir einen neuen Stadtsekretär, unser Lebeda hat sich den Weg direkt ins Bezirksbüro geebnet, und an seinen Platz kommt der Fuchs vom Kreisbüro, den kennst du doch, hab ich recht?
Frau Plavcová vernahm von der ganzen Mitteilung nur diesen Namen. Sie hatte keine Ahnung, in welchem Zusammenhang er eben gefallen war. Sie entsann sich augenblicklich, wie ihr Mann letztes Jahr im Frühling den Brief Eduard Hakls gerade an dem Tag im Wäscheschrank entdeckte, als sie endlich dessen ehrbaren Absichten geglaubt und sich entschlossen hatte, seine Geliebte zu werden, wozu ihr dann der Mut vergangen war. Sie überlegte in höchster Panik, ob sie in Ohnmacht fallen oder ein Geständnis ablegen sollte. Sie stammelte mit letzter Kraft:
– Was für ein Fuchs?
– Na, der von der Partei! Wir haben ihn doch letztes Jahr in Bulgarien kennengelernt!
– Ich habe keine Ah-...
– Aber ja! Wo er hinter jeder Schürze her war und zum Schluß sogar auf dich gesponnen hat!
Frau Plavcová war es, als durchbohrte er sie mit den Augen. Fieberhaft überlegte sie, ob er mit übersinnlichen Kräften begabt war oder mit Hilfe staatlicher Kräfte fremde Briefkästen kontrollierte. Der weibliche Instinkt drängte sie zum Risiko.
– Ah!
machte sie gedehnt und offensichtlich angeekelt,
– dieser widerliche Seladon?
– Ich würde das nicht so streng auffassen ...
– Letztes Jahr hast du’s streng genug aufgefaßt.
Der Direktor breitete die Arme aus.
– Letztes Jahr, letztes Jahr! Mir ist es darum gegangen, daß er das Dekorum wahrt, aber daß du ihm gefallen hast ... Mich freut es doch, wenn du wem gefällst, Puppilein!
Er setzte sich zu ihr, um sie zu umarmen. Sie legte die Karten weg.
– Ich hab auf einmal scheußliches Kopfweh.
– Schon wieder?
sagte Plavec enttäuscht, hielt sich jedoch zurück, denn er hatte noch etwas auf dem Herzen. Vorsichtig fing er an:
– Ich weiß, es wird dir wenig Freude machen, aber wir müssen den Fuchs so bald wie möglich zum Abendessen einladen ...
Diese Vorstellung erfüllte sie mit echtem Schauder.
– Um Himmels willen!
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