Der Befehlshaber steigt als Erster vom Pferd. Er schlägt die Hacken zusammen und verbeugt sich steif vor Frau Knesebeck.
»Gnädige Frau!«
»Mit wem habe ich die Ehre?«, fragt sie und streckt förmlich die Hand aus.
Jetzt, auf gleicher Höhe mit ihm, findet sie seine Gestalt weniger beeindruckend als im Sattel. Untersetzter, fleischiger und mit etwas zu kurzen Beinen für den schweren Oberkörper, und außerdem schwitzt er ausgiebig. Nichtsdestotrotz lässt ihn die Khakiuniform mit ihren vielen Litzen und Blechanhängern als ein strahlendes Exemplar imperialer Männlichkeit erscheinen.
»Oberst von Blixen«, sagt er und drückt seine von der Sonne aufgesprungenen Lippen auf ihren Knöchel.
Seine Kompanie befinde sich auf dem Rückweg vom Namaland, erklärt er ihr. Er sei glücklich, behaupten zu können, dass er befriedetes Territorium zurücklasse. Von daher sollte nichts mehr zu befürchten sein. Aber seine Männer seien erschöpft. Ein wenig Erfrischung würde ihnen gut tun. Er wirft einen Blick hinauf zu den von weiblichen Körpern fast gesprengten Fenstern. Ein wenig Gesellschaft auch. Wenn denn das, was sie über dieses bewundernswerte Haus gehört hätten, stimme.
»Das ist hier ein ordentlicher deutscher Haushalt«, sagt Frau Knesebeck schmallippig. Aber dem genauen und vielleicht sogar hoffnungsvollen Beobachter mag der Anflug eines Zwinkerns bei diesen Worten nicht entgangen sein.
»Wir werden uns in jedem Punkt wie Ehrenmänner verhalten«, versichert er ihr. Sein Zwinkern ist weniger zweideutig.
»Wir führen hier ein bescheidenes Leben«, informiert sie ihn. »Wir verfügen nicht über Lebensmittel im Übermaß.« Da sie bemerkt, wie seine Augen schmal werden, beeilt sie sich hinzuzufügen: »Aber was wir haben, steht Euer Exzellenz natürlich zur Verfügung.«
»Sobald wir zurück in Windhuk sind«, entgegnet er mit großartiger Geste, »werden wir dafür sorgen, dass all das, was meine Männer heute verzehren, erstattet wird. Zehnfach.«
Frau Knesebeck überschlägt rasch mehrere Dinge, bevor sie sich mit Anordnungen an ihre Mitarbeiterinnen wendet. Sechs Hammel sollen geschlachtet werden und so viele Hühner wie nötig. Aus dem Garten soll reichlich Gemüse hereingeholt werden.
Ein unbekanntes fiebriges Gefühl der Erwartung breitet sich durch alle Korridore und in alle Ecken des Gebäudes aus, während die Frauen mit den Vorbereitungen für das Fest beginnen. Die Männer draußen machen sich daran, das Fleisch auf großen Lagerfeuern zu braten, zu denen sie die Holzvorräte bei der Küche geplündert haben. Aus einiger Entfernung starren die Gefangenen, bedeckt von ockerfarbenem Staub, der nur Augen und Mund frei lässt, in willenloser Apathie herüber. Zwei Wachen mit Sjamboks bewegen sich langsam durch ihre Reihen, um mit jedermann kurzen Prozess zu machen, der vorhaben könnte, vor Müdigkeit, Hunger oder Schmerz zu Boden zu sinken. Bevor der Nachmittag vorüber ist, werden zwei Körper ein Stück vom Haus weg fortgeschleppt und den Tieren überlassen werden, die ihnen schon seit Tagen in respektvollem Abstand gefolgt sind.
Die Soldaten essen draußen. Die Offiziere werden an dem langen Refektoriumstisch bedient, der mitten in einem der selten benutzten Empfangsräume im ersten Stock des Hauses steht. Da durch die hohen, schmalen Fenster wenig Licht eindringt – das ganze Gebäude wirkt so, als sei es konstruiert worden, um möglichst wenig Außenwelt einzulassen –, stehen Leuchter auf dem Tisch, und an den nackten Wänden sind Fackeln angebracht, die wirre Schatten werfen und den Raum in eine unwirkliche, mittelalterliche Atmosphäre tauchen. Frau Knesebeck sitzt an einem Kopfende der Tafel, Oberst von Blixen am anderen. An die Wände gedrängt, offensichtlich zwischen Faszination und Furcht hin- und hergerissen, stehen die dreißig oder vierzig Bewohnerinnen des Hauses, die die Vorsteherin in entschiedenem Ton herbeizitiert hat, und begaffen die zechenden Männer. Die Bandbreite geht von scheinbar zahnlosen alten Weiblein (obwohl hier eigentlich niemand älter als fünfzig sein kann) bis zu der noch kaum mannbaren Katja. Das Mädchen wird eingerahmt von Hanna X und einer schielenden jüngeren Frau, Gerda Kaiser, die noch nicht sehr lange hier ist und deren Gesicht Pockennarben verunstalten. Auf der breiten Steintreppe (die hinunter Hanna sehr viel später ihr Opfer schleifen wird, bong, bong, bong) herrscht ein ständiges Kommen und Gehen, da die Bediensteten das abgetragene Geschirr hinunter zur Küche bringen und mit neuen, gefüllten Platten wieder heraufkommen. Frau Knesebeck hat Cognac aus dem Keller kommen lassen. Kaum einer der Insassinnen des Frauensteins war es überhaupt bewusst, dass dort unten Vorräte von dieser Art lagern. Die müssen noch aus der halbvergessenen Frühzeit des Hauses stammen und auf einem der Wagen von Windhuk oder vielleicht auch Lüderitz hertransportiert worden sein, die immer noch ein paar Mal im Jahr mit Dingen beladen die Wüste durchqueren, die der Frauenstein nicht selbst produzieren kann: mit Salz und Zucker, Öl und Essig, Kaffee, Paraffin und Kerzen, mit kleinen Mengen Kautabak, Medikamenten, Schuhen und Kleidung, Nadeln, Wolle und Baumwollballen, mit Besteck und Geschirr, ab und zu auch mit Papier und Tinte für die Register und Hauptbücher, die theoretisch geführt werden müssten, obwohl das in der Praxis kaum geschieht, mit Leintüchern und mit einigen grundlegenden Geräten zur Feldarbeit. (Ab und zu kommt es zu einem Irrtum der Versender, der sich dann im Eintreffen großer Mengen unerwarteter und unnötiger Gegenstände äußert, die auf den Hof gekippt werden: Einmal war es eine ganze Wagenladung von Nachttöpfen aus Porzellan, einmal ein Stapel Uniformen, ein andermal ein Berg linker Schuhe oder eine Sammlung von Schafscheren, dann wieder eine Lieferung von Stielen für Spitzhacken, die ursprünglich für ein Bergwerk in Otavi oder Otjiwarongo gedacht gewesen waren. Und vermutlich war auf diese Weise auch irgendwann der Cognac hier eingetroffen.)
Im Laufe der Mahlzeit werden die Männer, während die Spirituosen in immer größeren Mengen konsumiert werden, immer ausfälliger. Einige fangen an, mit den Händen zu essen und die Zähne direkt ins Fleisch zu schlagen, um es vom Knochen abzunagen. Gläser und Teller gehen zu Bruch, der Cognac wird direkt aus den Flaschen gesoffen, die noch immer unaufhörlich aus den Tiefen des Gebäudes heraufgebracht werden. Und ihrem immer unverantwortlicheren Benehmen nach zu urteilen, müssen auch einige der Serviererinnen sich am alkoholischen Feuer gewärmt haben, denn in immer unvorhersehbareren Schlangenlinien legen sie den Weg zwischen Keller und Speisesaal zurück. Und im selben Maße wie Oberst von Blixens Gesten, die seine Prahlereien über Erfolge auf dem und abseits des Schlachtfelds begleiten, immer ausladender und unkontrollierter werden, erinnert der Mund Frau von Knesebecks mehr und mehr an das zusammengekniffene Hinterteil eines Huhns.
Hier und da den langen Tisch entlang bricht aus den Zechern lärmender Gesang, und zwischen den rivalisierenden Sängergruppen gibt es die ersten Handgreiflichkeiten. Noch mehr Geschirr geht zu Bruch, diesmal nicht mehr aus Überschwang, sondern aus Zorn. Oberst von Blixen hievt sich hoch, stützt sich auf seinen langen Armen ab und donnert einen langen Befehl, der in einer Reihe von Verben gipfelt. Von vier höheren Offizieren geleitet, werden die Anstifter der Keilerei des Saals verwiesen. Ihrer Rangabzeichen ledig, werden sie, wenn der Marsch weitergeht, draußen die Reihen der Fußsoldaten verstärken. Eine kurze Weile lang werden die an dem langen Tisch verbliebenen Männer unter dem drohenden Blick ihres Kommandeurs still und versuchen mit unterschiedlichem Erfolg, die nächste Runde Cognac in ihre leeren Gläser zu gießen. Die Ordonnanzoffiziere kommen wieder die Treppe herauf, zwei davon auf allen vieren.
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