1 ...6 7 8 10 11 12 ...19 »Es ist Zeit, einen Toast auszubringen«, erklärt der Oberst, der offenbar vergessen hat, dass das längst geschehen ist.
Die Offiziere erheben sich mit gedrillter Würde. Drei Toasts werden ausgebracht und dreimal die Gläser geleert. Auf ihre liebenswürdige Gastgeberin. Auf das Oberkommando in Windhuk. Auf Seine kaiserliche Majestät, Wilhelm den Zweiten in Berlin.
»Und nun wollen wir uns den anderen Delikatessen zuwenden, die man uns so großzügig zur Verfügung gestellt hat«, kündigt Oberst von Blixen an.
Er rückt den Stuhl zurück, braucht, die Hände auf dem Rücken gefaltet, eine Zeit lang, um gerade zu stehen, und bewegt sich dann gemessenen Schritts auf den nächststehenden an die Wand gedrückten Haufen von Frauen zu. Er hält kurz inne und trocknet sich die schweißnasse Stirn mit einem großen Taschentuch, das er nicht ohne Mühe aus der Tasche gefischt hat. Mit all dem strahlenden guten Willen des siegreichen Eroberers hebt er das Kinn der ersten Frau an, studiert kurz ihre Züge und bewegt sich dann zur nächsten weiter.
»Herr Oberst«, sagt Frau Knesebeck und macht am anderen Ende des Tisches Anstalten aufzustehen.
Er kümmert sich nicht darum. Als er die fünfte oder sechste Frau erreicht hat, wird sein Benehmen immer dreister. Er begnügt sich nicht mehr damit, ein Kinn oder eine Hand anzuheben oder ein Ohrläppchen zu kneifen, jetzt drückt er Brüste, kneift in Brustwarzen oder zwingt die Knöchel in den Mund der Frau vor ihm. Und je weiter er kommt, desto brutaler kneift er. Eine der Frauen stöhnt leise vor Schmerz auf. Da hebt er auch die zweite Hand und kneift in beide Brustwarzen. Diesmal gibt sie kein Geräusch von sich, aber ihr Gesicht wird sehr weiß. Als er die zwölfte Frau erreicht, befiehlt er ihr, sich umzudrehen, und fummelt an ihrem Hinterteil herum, gibt dann ein Grunzen von sich und geht weiter. Bei der folgenden packt er mit beiden Händen den Kragen ihres Kleids und reißt es auf, sodass ihre Brüste zum Vorschein kommen. In einer Reflexbewegung versucht die Frau sie mit den Händen zu bedecken. Von Blixen schlägt sie sehr hart ins Gesicht.
»Herr Oberst«, sagt Frau Knesebeck.
Die Frau lässt die Hände sinken und blickt zu Boden.
Immer weiter schreitet der Befehlshaber. Recht bald macht er sich nicht mehr die Mühe, die Hemden oder Kleider vor ihm aufzureißen, sondern bellt kurze Kommandos und die Frauen tun es selbst. Langsam wird ihm langweilig. Er kehrt zum Tisch zurück, füllt sich sein leeres Glas wieder auf, leert es mit einem einzigen Schluck, wischt sich den Mund mit dem Handrücken ab und kehrt dann zu seiner Abnahme zurück. Der neue Befehl lautet, dass sie ihre Röcke hochraffen und ihre Unterwäsche ausziehen müssen, einige mit dem Rücken zu ihm, andere mit dem Gesicht. Er wirft Blicke auf die Unterleiber, zieht hier und da an einem Schamhaar, steckt einen Finger in eine Vulva und zieht ihn angeekelt wieder heraus, sobald er feststellt, dass die Frau menstruiert. Genauso wie die nächste. Und die übernächste.
»Herr Oberst«, sagt Frau Knesebeck in flehendem Ton.
»Gottverdammt!«, knurrt von Blixen. Er kehrt an den Tisch zurück und gibt seinen Offizieren den Befehl, die Inspektion an seiner Stelle weiterzuführen. Sie stoßen jedes Mal auf Blut. Der Oberst begnügt sich damit, seine Runde in einigem Abstand zu den Insassinnen fortzusetzen, die an die Wand gereiht dastehen, und vertieft den Blick nur hier und da in irgendein Gesicht, das ihn kurz zu interessieren scheint. Dann bedeutet er dem nächststehenden Offizier, sie genauer in Augenschein zu nehmen. Auch hier Blut.
Erst als er zu Katja kommt, hält der Oberst inne.
»Du da«, sagt er. »Komm her.«
Katja versucht, sich hinter Hanna X zu verstecken.
»Herkommen!«, schreit er so laut, dass einige der Frauen einen Schreckenslaut ausstoßen.
Das zitternde Mädchen macht ein, zwei Schritte vorwärts. Er winkt es mit dem Finger zu sich. Dann steht es vor ihm.
»Na komm, Mädchen«, sagt er. »Brauchst keine Angst haben.« Mit überraschender Zärtlichkeit, beinahe väterlich, nimmt er ihr Gesicht in die Hände und beugt sich vor, um sie auf die Stirn zu küssen. »War das jetzt so schlimm?«, fragt er.
»Nein.« Es gelingt ihr, ein wenig zu lächeln.
»Und das hier?« Von Blixen nimmt sie bei den Schultern – was für magere Schultern, die Schulterblätter stehen hervor wie kleine Flügelstümpfe. Er drückt ihren Körper zart gegen seinen, immer noch mit Gesten zärtlicher Behutsamkeit.
Kurzzeitig scheint sie ihre Furcht zu überwinden und lehnt sogar den Kopf an seine Schulter.
»Zeig mir deine Titten«, sagt er.
»Ich hab’ keine«, flüstert sie. Ist der Ton scheu, spitzbübisch, beschämt, verängstigt? Schwer zu sagen.
»Herr Oberst«, sagt Frau Knesebeck.
»Ich nehm’ die hier«, sagt er und fasst das Mädchen bei der Hand.
Hanna X bringt einen tiefen Laut des Protests aus ihrer Kehle hervor.
In die Gruppe der Frauen, der Insassinnen wie der Bediensteten, kommt eine gewisse Bewegung.
»Ruhe!«, brüllt der Oberst. Sein Gesicht glänzt jetzt wieder vor Schweiß. Sogar auf den Härchen auf seinen Fingern schimmert es feucht. Noch immer hält er Katjas kleine Hand mit seiner freien Hand umklammert. Einen Moment lang blitzt er die dastehenden Frauen noch an, dann wendet er sich der nächsten Tür zu und zieht das Mädchen hinter sich her.
»Es tut mir leid, Herr Oberst«, sagt Frau Knesebeck. Mit plötzlicher Entschlossenheit verlässt sie den Tisch und eilt an dem Oberst vorbei, um ihm den Weg zur Tür zu versperren. »Dieses Mädchen können Sie nicht mitnehmen. Es steht unter unserer besonderen Obhut.«
»Beiseite!«, bellt er.
Die kleine Frau zögert einen Moment, dann schüttelt sie den Kopf. »Ich muss Ihnen mitteilen, dass sie hier unter besonderem Schutz steht.«
»Wessen?«, fragt er. »Und was für einen Unterschied soll das machen?«
Die Vorsteherin bleibt fest. »Wir haben Anordnung vom Oberkommandierenden der deutschen Kolonialarmee persönlich, Herrn General Dame«, teilt sie ihm, ohne mit der Wimper zu zucken, mit.
Er starrt sie wortlos an, dann blickt er auf das Mädchen hinunter: »Stimmt das?« In plötzlicher Wut schüttelt er sie, wie ein Hund ein Kaninchen schüttelt.
Katja bringt nur ein Wimmern zustande.
Wieder gehen von Blixens Augen zu seiner Gastgeberin. »Ich glaube nicht, was Sie da sagen«, sagt er, aber seine Stimme hat ein wenig von ihrer Selbstsicherheit verloren.
»Ich habe Anordnung, direkt an Gouverneur von Lindequist zu berichten«, sagt Frau Knesebeck ruhig. »Wenn diesem Mädchen, das die Nichte von Oberbefehlshaber Dame ist, irgendetwas zustößt, werden Sie sich vor ihm zu verantworten haben.«
Eine volle Minute lang dem Augenschein nach starrt Oberst von Blixen seine kleine Gastgeberin durchdringend an, dann dreht er sich auf dem Absatz um, geht auf die nächststehende Frau zu, fasst sie am Ellbogen und knurrt: »Komm!« Auf dem Weg nach draußen greift er sich mit der freien Hand noch eine volle Flasche Cognac vom Tisch.
Katja stolpert zurück zu Hanna X, die die Arme um das zitternde Mädchen legt und es an sich drückt. Die anderen Offiziere weichen vor ihnen zurück und strömen an ihnen vorüber wie ein Wildwasser an einem Fels. Ein jeder schnappt sich eine Frau – Beute oder Trophäe? – und schleppt sie durch den nächstbesten Ausgang irgendwo in die Tiefen des Hauses. Ohne einen weiteren Blick auf das Mädchen zu werfen, wendet sich Frau Knesebeck ihren Helferinnen zu, die sich im Durchgang zum Treppenhaus drängen. »Worauf wartet ihr?«, fragt sie. »Die ganze Schweinerei hier muss aufgeräumt werden!«
Die ganzen endlosen Nachmittagsstunden hindurch hallt und erbebt das Gebäude von den Geräuschen des kollektiven Amoklaufs der Männer. Die Wände wackeln vor Flüchen und Gebrüll und den Schreien der Frauen, dem Bersten von Möbeln und zerschlagenen Dingen – Betten und Stühle, Kannen und Krüge, Nachttöpfe, Spiegel und Fensterscheiben, Türen, Knochen. In ihrem kaum möblierten Zimmer sitzt Hanna auf ihrem schmalen Bett, schweigsam und mit geradem Rücken, und streichelt die mageren Schultern des Mädchens, das neben ihr liegt und im Halbschlaf manchmal leise wimmert wie ein träumender Welpe. Von Zeit zu Zeit scheint der Lärm abzuflauen, dann aber braust er wieder auf, kommt einmal aus diesem, dann aus einem anderen Teil des Gebäudes, dröhnt die Treppen auf und ab, dringt durch die Türen oder Fenster und taucht dann anderswo wieder auf. Irgendwann aber scheint sich die schlimmste Raserei gelegt zu haben. Vom Hof her sind die Geräusche erster aufgesattelter Pferde zu hören und Vorbereitungen, die Reise wieder aufzunehmen.
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