Etliche Zeit später trudelten wir erschöpft, aber glücklich zu Hause ein. Zwei der Bediensteten eilten herbei, um uns beim Tragen der Tüten zu helfen. Alinas Wangen röteten sich leicht, immerhin war sie selbst bis vor Kurzem eine der Angestellten gewesen, ich jedoch bedankte mich artig bei ihnen. Neben dem einzigartigen Kleid hatten es noch einige weitere Stücke in meine Tüten geschafft. Wobei ich auffällig oft zu Schwarz gegriffen hatte.
Duncans Ausbeute konnte ich nicht einmal mehr zählen, und auch Alina hatte ich dazu gebracht, sich wenigstens zwei der hübschen Kleider aus edlem Leinen auszusuchen.
Glückselig sortierte ich meine neuen Sachen in meinen Kleiderschrank, wobei ich aus einer Eingebung heraus das schwarze Kleid unter einem meiner zahlreichen Mäntel verbarg.
Als wir am Abend beim Essen zusammensaßen, war die Stimmung ausgelassen und entspannt. Duncan plauderte mit Alex und King, während Alina Nick und Olli von unserem Ausflug berichtete. Malik fehlte an diesem Abend. Mein General schien mir meinen kleinen Ausflug nach Vesteria noch immer nicht verziehen zu haben. Dennoch hatte ich die zusätzlichen Wachen, die uns heute in gebührendem Abstand gefolgt waren, durchaus bemerkt.
Lucan und ich saßen uns gegenüber und ich warf dem Assassinen einen schnellen Blick zu. Er jedoch konzentrierte sich voll und ganz darauf, was Duncan Alex und King zu erzählen hatte. Ob er ebenfalls bemerkt hatte, dass Duncan den anderen gegenüber offener wirkte? Weniger zurückhaltend und mehr wie er selbst? Lucan wandte sich ab und unsere Blicke begegneten sich über den Tisch hinweg.
Hast du auch etwas gekauft?
Die Frage, so simpel sie auch war, überraschte mich so sehr, dass ich einen Moment brauchte, um sie zu verarbeiten.
Ja.
Etwas, das mir gefallen würde?
Ich dachte an die sexy, schwarze Unterwäsche, die ich gekauft hatte, und an das skandalöse Kleid und schenkte Lucan ein, geheimnisvolles Lächeln.
Vielleicht.
Seine Mundwinkel zuckten verräterisch und er wandte sich ab, um eine Frage zu beantworten, die Alex ihm soeben gestellt hatte. Ich konnte kaum glauben, wie entspannt ich mich trotz meines gestrigen Abenteuers fühlte, als sich die Tür zur Küche schwungvoll öffnete. Malik stand im Türrahmen. Sein grimmiger Blick suchte meinen.
»Wir haben eine Einladung aus Crinaee erhalten.« Kein Hallo. Kein Eure Hoheit .
Oh ja, mein General war in der Tat noch wütend. Dabei hatten wir morgen eine Verabredung, um über die Ernennung meines eregroi zu sprechen. Meines irdischen Wächters. Jetzt aber gab es Wichtigeres zu klären, denn offensichtlich war Drake schnell gewesen.
»Aus Crinaee?«, fragte ich möglichst unschuldig und spürte, wie alle Augenpaare auf mir ruhten.
»Narcos wünscht, dich zu sprechen … Hoheit.«
»Tut er das?«
»Lilly.« Nick seufzte neben mir. »Was hast du angestellt?« Entrüstet sah ich ihn an. »Nichts!« Und das war nicht einmal gelogen. Fast nichts.
Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie Duncan und Alina einen wissenden Blick miteinander tauschten. Es würde nicht lange dauern, bis alle hier Eins und Eins zusammengezählt hatten.
»Aber wenn er uns schon einlädt, dann sollten wir so höflich sein und die Einladung annehmen.«
»Narcos kann nur einen Grund haben, dich sehen zu wollen. Der sirovine Handel«, Malik blickte grimmig drein. »Das Auflösen der Verträge …«
Auch ein guter Grund. Aber es war nicht der einzige Grund. Nicht ganz. Drake hatte mich zwar nicht in seinen Plan eingeweiht, aber ich konnte mir vorstellen, was der Prinz getan hatte, um Narcos zum sofortigen Handeln zu zwingen. Zum Beispiel alle Handelsverträge mit Crinaee gekündigt, auf Geheiß ihrer Königlichen Hoheit Prinzessin Lillianna Callahan. Das war dann wohl ich.
»Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden«, wandte ich mich an Malik. »Hat er gesagt wann?«
Er nickte, einen finsteren Ausdruck auf dem Gesicht. »Sofort.« Ah, Drake. Gut gemacht.
»Mir gefällt das nicht«, murmelte Nick.
»Ausnahmsweise stimme ich dir zu.« Nachdenklich musterte Lucan mich. »Warum Crinaee?«
»Warum was? Ich habe die Einladung nicht ausgesprochen, das war Narcos. Ich finde nur, wir sollten die Chance nutzen und uns vor Ort mal ein wenig umsehen.«
Umsehen, hm?
Meinen Gesichtsausdruck und meinen Herzschlag kontrollierend nickte ich.
Warum nicht?
»Seit Jahrzehnten ist es Außenstehenden nicht erlaubt, nach Crinaee zu reisen. Narcos ist ein paranoider Mistkerl.« King zuckte mit den massiven Schultern. »Ich finde die Idee nicht schlecht.«
»Wir gehen vollbewaffnet«, mischte Malik sich ein und warf mir einen eindeutigen Blick zu. »Ich bestimme die Anzahl der Männer, die uns begleiten, sowie das Wann und Wo.«
Anscheinend war es an der Zeit, meinen guten Willen zu zeigen, also erklärte ich mich einverstanden.
»Duncan, King und ich werden euch ebenfalls begleiten.«
»Nimm mich mit, Herr.«
Lucans Blick wanderte zu Alex. Alex, der immer häufiger an unseren Essen oder dem Training teilnahm.
»Sorg dafür, dass die anderen hier sind. Alle!«, fügte Lucan scharf hinzu. Sein Tonfall schien nicht nur mich zu überraschen. Auch Nick und Malik warfen Lucan einen irritierten Blick zu. Gab es etwa Ärger im Assassinen-Paradies?
»Ich begleite euch«, warf Alina plötzlich ein und alle Augen richteten sich nun auf meine Freundin. Wie eine zarte Blume saß sie neben Nick und faltete artig ihre Hände im Schoß. Aber ihr sanftmütiges Äußeres täuschte. In der Brust meiner Freundin schlug das Herz einer Kämpferin und neuerdings auch das einer angehenden Heilerin. Dennoch war Alina nicht nur untrainiert, sie war auch zu wertvoll.
»Auf keinen Fall«, brauste Nick neben ihr auf und ersparte mir so eine Antwort.
»Das hast nicht du zu entscheiden, Nickolas.«
Oh, oh. Wenn Alina meinen Bruder mit vollem Namen ansprach, dann gab es Ärger. Duncan warf mir einen wissenden Blick zu und zog eine Augenbraue hoch. Der Assassine war verdächtig still geworden, seit Malik den Raum betreten hatte. Während Alina und Nick inbrünstig miteinander diskutierten, konzentrierte ich mich auf Malik.
»Wann gehen wir?«
»In zwei Tagen«, antwortete er und ließ seinen Blick über die Runde schweifen. Er stockte kurz, als er Duncan erblickte. In seinem nagelneuen, rosa Hemd sah Duncan nicht nur ungewohnt, sondern auch wirklich gut aus.
»Wir, äh«, Malik räusperte sich, »in zwei Tagen«, wiederholte er und verabschiedete sich mit einem steifen Nicken. Zwei Tage. Innerlich jubelnd schaute ich zu Olli. Mein Freund nickte kaum merklich. Er würde Magister Scio benachrichtigen und ich, ich würde mich auf meine ganz eigene, geheime Mission vorbereiten.
KAPITEL 8
Bis an die Zähne bewaffnet, trat ein Krieger nach dem anderen durch das Portal in Crinaee. Wir hatten uns vorab darauf geeinigt, dass es unklug war, direkt vor den Toren von Thalos zu erscheinen, auch wenn Narcos für diesen Tag seine Schutzzauber gelockert hatte. Keiner von uns wusste, was Narcos für unsere Ankunft geplant hatte, daher konnte es nicht schaden, extra vorsichtig zu sein. Am Ende waren wir zu vierzehnt.
Dreizehn Männer und ich. Dieser Umstand erinnerte mich erneut daran, dass sich in Arcadia einiges ändern musste. Auch in Bezug auf die königliche Garde. Es wurde definitiv Zeit, für ein wenig Frauenpower in der eingeschworenen Männerriege.
Ich hätte nichts dagegen, auf zukünftigen Missionen nicht nur von Kriegern, sondern auch von Kriegerinnen begleitet zu werden. Die Harpyien zum Beispiel wären eine enorme Bereicherung. Solange sich Odile und Aello jedoch noch in Alterra verschanzten und mich freundschaftlich beobachteten, war davon auszugehen, dass sie nicht sonderlich begeistert darüber wären, unsere Krieger und Kriegerinnen bunt durchzumischen. Noch nicht. Mit Sicherheit gab es auch in Alliandoan viele weibliche Engel, die eine Karriere bei der königlichen Garde in Betracht ziehen würden … Ich speicherte diesen Gedankengang für später und konzentrierte mich auf das Hier und Jetzt. Und auf die Krieger neben mir, um mich herum und hinter mir.
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