Leonhard Lehmann - Vom Beten zur Kontemplation

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Von Kontemplation wird heute viel gesprochen – innerhalb und außerhalb der Kirchen. Als Erfahrung des Einsseins mit der göttlichen Wesenheit spricht sie Menschen unterschiedlicher Weltanschauungen und spiritueller Ausrichtungen an. Aber was ist Kontemplation? Und vor allem: Wie wird sie praktiziert?
Verwundern mag, dass Franz von Assisi zu den großen Meistern des kontemplativen Betens gehört – war er doch ein weltzugewandter und kommunikativer Mensch. Aber gerade bei ihm wird deutlich, dass Kontemplation eben nicht Rückzug aus der Welt bedeutet. Er selbst sprach nie von Kontemplation, sondern einfach vom Beten; aber das gelang ihm überall.
Der Autor zeigt, wie vielfältig Franziskus Beten umschreibt und wie alles darauf hinausläuft, das Wort Gottes im Herzen und das Herz bei Gott zu haben – ob in der Stille einer Kirche oder im Lärm der Welt.

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Leonhard Lehmann

Vom Beten zur Kontemplation

Hinführung zur franziskanischen Praxis des Verweilens vor Gott

Franziskanische Akzente

herausgegeben von Mirjam Schambeck sf

und Helmut Schlegel ofm

Band 18

LEONHARD LEHMANN

Vom Beten zur Kontemplation

HINFÜHRUNG ZUR FRANZISKANISCHEN PRAXIS DES VERWEILENS VOR GOTT

echter

Herzlicher Dank geht an Eva Kasper für die Zuarbeit bei den Korrekturen sowie an die Deutsche Kapuzinerprovinz für die finanzielle Unterstützung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹ http://dnb.d-nb.de› abrufbar.

1. Auflage 2018

© 2018 Echter Verlag GmbH, Würzburg

www.echter.de

Umschlag: wunderlichundweigand.de(Foto: shutterstock)

Satz: Crossmediabureau – http://xmediabureau.de

E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim – www.brocom.de

ISBN

978-3-429-05323-9

978-3-429-05000-9 (PDF)

978-3-429-06410-5 (ePub)

Inhalt

Vorwort

1. Beten – ein universelles Phänomen

Beten ist menschlich

Beten ist christlich

Das gesprochene Gebet

Das leibhafte Gebet

Gebet der Stille

Beten ist franziskanisch

2. In der Schule des Meisters

Der Hang zur Verborgenheit

Mit Leib und Seele beten

Mehr loben als bitten

Mehr danken als klagen

Alles Gute Gott zurückerstatten

3. Kontemplation – das Herz bei Gott haben

Gehört Franziskus zum Stand der Kontemplativen?

Mit geistigen Augen schauen

Dem Herrn Wohnung und Bleibe bereiten

Danach verlangen, den Geist des Herrn zu haben und sein heiliges Wirken

Das Wort Gottes im Herzen – das Herz bei Gott

4. Lehrerinnen und Lehrer der Kontemplation im Lauf der franziskanischen Geschichte

Klara

Ägidius von Assisi

Bonaventura

Thomas von Olera, der „heilige Bruder von Tirol“

Bruder Konrad von Parzham

5. Verweilen vor Gott

„Ruht ein wenig aus!“

„Ich bin da“ – ein bedeutungsvolles Wort

Einfach da sein – wie Gott

6. Anmerkungen

7. Zum Weiterlesen

8. Abkürzungsverzeichnis

Vorwort

Vor hundert Jahren hat Friedrich Heiler (1892–1967) das religionsgeschichtliche Grundlagenwerk Das Gebet verfasst (München 1918). Darin wird deutlich, dass in allen Religionen Beten als sinnvoll angenommen und vorausgesetzt wird. In der Kirche ist es ein Grundvollzug, der zu ihrem Dasein gehört als Ausdruck ihres inhaltlichen Glaubens (Lex orandi – lex credendi) wie auch ihrer Beziehung zu Gott. Beten äußert sich in der Körperhaltung, im Schweigen, Sprechen, Singen, Tanzen, dann auch in Texten, vor allem für die Liturgie und in der Liturgie.

Franziskanisches Beten bezieht sich weithin auf die Gründergestalten dieser Bewegung. Franz von Assisi (1182–1226) betete frei, aber auch mit Hilfe der Psalmen und gelernter Gebete. Bei ihm und seiner treuen Gefährtin Klara von Assisi (1194–1253) treten Etappen des Weges Jesu, die seine Erniedrigung ausdrücken, in die Mitte der Meditation: Geburt, Handarbeit, Leiden und Kreuz, Fußwaschung und Eucharistie. Die Tradition nach ihnen kennt zwar die im 11. Jahrhundert ausgebildeten Gebetsstufen Lectio – meditatio – oratio – contemplatio, legt aber bei vielen Vertretern den Akzent auf die Kontemplation. Mehr als der Intellekt wird das Herz bemüht. Das affektive Gebet strebt danach, liebend bei Gott zu verweilen, bei ihm zur Ruhe zu kommen, ihn schon jetzt zu genießen.

Die Tatsache, dass viele Brüder als Laien dem seraphischen Vater (so bezeichnen die Franziskaner ihren Ordensgründer) zu folgen suchten, brachte es mit sich, dass gerade bei ihnen und bei Schwestern die Gebetsweise des einfachen Daseins vor Gott ihr Leben und Handeln prägte. Kein Geringerer als der spätere Papst Pius XII. (1939– 1958), der als Nuntius Eugen Pacelli in München (1917– 1924) viel zur Heiligsprechung des Altöttinger Klosterpförtners beigetragen hat, sagte über Bruder Konrad von Parzham (1818–1894): „Wer könnte die Scharen zählen, die an die Pforte der hilfsbereiten Kapuziner klopften und den heiligen Pförtner um ein gutes Wort, einen kleinen Dienst, ein Stück Brot, einen erfrischenden Trunk, ein liebes Andenken und um Trost in ihren Anliegen baten! Selbst Zudringlichkeit, Grobheit und Bosheit brachten es nicht fertig, sein geduldiges Schweigen und seine lächelnde Ruhe zu stören. Das Gebet dieses Dieners Gottes war nicht getragen von den hohen Gedanken eines Augustinus, Bernhard, Heinrich Seuse, Thomas von Kempen, Johannes vom Kreuz oder seines heiligen Vaters Franziskus; sein Alverna lag viel tiefer, lag in der Ebene der einfachen Leute, wo sich unser tägliches Leben abspielt und wo das Feuer der Liebe, das zu Gott emporsteigt und die dichten Nebel der niedrigen Welt bezwingt, alle unsere Handlungen heiligt und in Ewigkeitswerte verwandelt. So wird in der Ausübung der Pflicht die mühsame Arbeit zum Gebet, das Gebet zur brennenden Liebe, die brennende Liebe zu Standhaftigkeit und dauerndem Wachstum im Guten“ (Lektionar zum Stundenbuch II/3, S. 249).

Rom, am 21. April 2018, Fest des hl. Bruder Konrad (200 Jahre nach seiner Geburt)

1. Beten – ein universelles Phänomen

Zu allen Zeiten haben Menschen gebetet. Beten gehört zur religiösen Praxis der schrift- und geschichtslosen Völker ebenso wie zu den Hochreligionen. Solange wir den Menschen in seinem religiösen Verhalten beobachten können, betet er zu der ihm bekannt gewordenen Gottheit. Wo das Gebet gänzlich verstummt, da ist es um die Religion geschehen. Das persönliche wie das gemeinsame Gebet ist also das Herz jeder Religion. Es kann sich als Dank, Lobpreis, Sündenbekenntnis äußern, ist aber im Grunde immer ein Bitten des bedürftigen Menschen vor dem gebenden Gott.

Beten ist menschlich

Jede und jeder hat sicher schon Menschen beten gesehen, zumindest im Fernsehen. Meistens sind es Muslime, die beim Freitagsgebet in der Moschee gezeigt werden. Christen sind zurückhaltender geworden, wenn es um das Beten in der Öffentlichkeit geht. Zwar läuten morgens, mittags und abends die Glocken, und die eine oder der andere weiß noch, dass sie zum „Angelus“, zum „Engel des Herrn“, einladen; der eine oder die andere wird daheim, im Krankenhaus oder Altersheim der Einladung auch folgen und den Engel des Herrn beten, wie sie und er es von Kind auf gelernt haben. Doch ein öffentliches Gebet, bei dem früher die Arbeit unterbrochen wurde und die Männer den Hut abnahmen, ist es nicht mehr. In der Öffentlichkeit zu beten ist unüblich, ja unschicklich geworden, für manche gar verpönt; es gehört sich nicht. Als ich zur Schule ging, begann der Lehrer den Unterricht mit einem Gebet, in den höheren Klassen ließ er uns Schüler selbst vorbeten, wobei jeder einen Text wählen oder frei formulieren durfte. Am humanistischen Gymnasium in den 1960er Jahren erlebte ich dann, wie der Latein-Lehrer das Vaterunser auf Latein, der Griechisch-Lehrer dasselbe Gebet auf Griechisch mit uns betete, je nachdem, ob Latein oder Griechisch in die ersten zwei Stunden des Tages fiel; später, als wir auch Englisch dazubekamen, lernte ich vom evangelischen Lehrer das Vaterunser auch auf Englisch. Rituale wie das Morgengebet, das Entzünden der Kerzen am Adventskranz, das Basteln von Strohsternen, das Sternsingen, die Osterkerze, das Lernen von Liedern im Lauf des Kirchenjahres und vieles andere mehr gehörte zum Schulprogramm. Heute bin ich dankbar dafür; auch meine Schulkameraden sind es, oder wenn sie sich nicht lobend äußern, so sagen sie doch: „Es hat uns nicht geschadet.“

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