Peter Becker
Vom Stromkartell zur Energiewende
Aufstieg und Krise der
deutschen Stromkonzerne
3., aktualisierte und erweiterte Auflage 2021
Fachmedien Recht und Wirtschaft | dfv Mediengruppe | Frankfurt am Main
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ISBN: 978-3-8005-1758-9
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Im Jahre 1984 erschien ein Buch, dessen Titel „Der Stromstaat“ nicht auf Anhieb erkennen ließ, worum es ging. Autor war der Journalist Günter Karweina, der zum Gründungsteam des SPIEGEL gehörte und dann Bonner Korrespondent des Norddeutschen Rundfunks wurde. Er war ein großer Spezialist für die Energiewirtschaft und muss einen riesigen Zettelkasten gehabt haben (das Internet gab es noch nicht), aus dem sein Buch eine unglaubliche Farbigkeit zog.1 Sein Buch erzählt sehr detailreich die Wunderwerke des genialen Erfinders Thomas Alva Edison, dessen Firma zur Mutter des US-Konzerns General Electric wurde. Emil Rathenau, Gründer der AEG, war auf ihn aufmerksam geworden und kaufte bei ihm Patente für die Glühlampe und alles, was drum herum gebraucht wurde. Die Dynamos bekam Rathenau von einem anderen genialen Erfinder und Unternehmensgründer, Werner Siemens (geadelt wurde er erst später). Die beiden verstanden sich ausgezeichnet, aber während es Siemens’ Unternehmen heute noch gibt – es ist mit 81 Mrd. Euro eines der wertvollsten Unternehmen im DAX (7/2015) – musste die AEG wegen zahlreicher unternehmerischer Fehlleistungen 1982 Vergleich anmelden und wurde in Teilen verkauft. Ein anderer genialer Unternehmer aus der Zeit der Jahrhundertwende 1900 war Hugo Stinnes, der frühzeitig die Vorteile kostengünstiger Stromerzeugung in Großkraftwerken erkannte und damit das RWE zu einem auch heute noch großen Unternehmen machte – es steckt jetzt allerdings in der Krise. Stinnes hatte die geniale Idee, viele nordrhein-westfälische Kommunen zu Aktionären des RWE zu machen. Im Gegenzug erhielt er über 50 Jahre laufende Konzessionsverträge und riesige gesicherte Absatzgebiete. Während der Inflation hatte er sein Geld im Ausland angelegt und kaufte damit eine Vielzahl entwerteter Unternehmen auf, was ihn zum größten Unternehmer Deutschlands machte. Aber seine Kinder verspielten das Erbe.
Ein Geschäftsmerkmal der Stromwirtschaft war das Kartell. Unter Anführung der Amerikaner wurden riesige Kartelle gestrickt, beispielsweise das weltweite Glühlampenkartell Phoebus. Aber eine wirksame Kartellaufsicht konnte in Deutschland, anders als in den USA, nicht durchgesetzt werden. Im Gegenteil: Die Nazis fanden die kartellierte Stromwirtschaft gut und bewahrten sie mit dem Energiewirtschaftsgesetz 1935 vor den „ schädlichen Folgen des Wettbewerbs “, wie es in der Präambel hieß.
Warum Karweina sein Buch „Der Stromstaat“ genannt hatte, erschließt sich bei Beleuchtung der Frage, wem die Stromwirtschaft eigentlich gehörte. Das waren einmal die Kommunen, deren Eigenbetriebe, quasi Ämter der Verwaltung, etwa die Hälfte der deutschen Stromwirtschaft ausmachten. Außerdem entstanden neben dem RWE, an dem Kommunen die Stimmenmehrheit hielten, in der Inflationszeit die Landeselektrizitätsgesellschaften wie PreussenElektra, Badenwerk, später die Energieversorgung Schwaben etc., über die die Länder unmittelbaren Einfluss auf die Stromwirtschaft erhielten. Bis lange nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte damit die Stromwirtschaft fast völlig dem Staat, wenn man von den privaten Stromversorgern und der industriellen Eigenerzeugung absieht. So erklärt sich, warum es bis in unsere Tage keine wirksame Aufsicht über die Stromwirtschaft gab: Der Staat wollte sich eben nicht selbst Fesseln anlegen.
Diese Erkenntnis gab den Anstoß für dieses Buch. Sein Autor, Anwalt, in verschiedenen Bereichen des Verwaltungsrechts erfahren, wurde mit einem spektakulären Prozess vor dem Bundesverfassungsgericht Quereinsteiger ins Energiewirtschaftsrecht. Es gelang, den westdeutschen Energiekonzernen die kommunalen Stromversorgungen, die sie der Regierung der DDR abgekauft hatten, wieder wegzunehmen. Das war eine Folge des geschärften Blicks für die Triebkräfte hinter unscheinbaren rechtlichen Regeln. Sie lösten den Wunsch aus, mit diesem geschärften Blick auch die weitere Entwicklung der Stromwirtschaft zu betrachten, allerdings auch unter rechtlichen Aspekten. Denn – anders als bis zum Zweiten Weltkrieg – bemächtigte sich der Staat danach auch des Energiewirtschaftsrechts (jetzt des Energierechts; warum, werden wir sehen).
Günter Karweina sollte und musste mit seinem tollen Buch ein Denkmal gesetzt werden. Deswegen bedient sich der Autor vieler wörtlicher Formulierungen, die in ihrer Aussagekraft nicht zu übertreffen sind. Aber Karweinas 170 Seiten bis zum Zweiten Weltkrieg wurden ganz stark gekürzt, auf 43 Seiten. Außerdem wird der Blick konzentriert auf die rechtlich relevanten Bereiche, die Karweina als Journalist nicht mit demselben Gewicht herausarbeitete.
Es waren die Amerikaner, die in Deutschland ein Kartellgesetz erzwangen. Aber der Staat und seine Unternehmen verhinderten den Zugriff der Kartellaufsicht auf die Energiewirtschaft, sie blieb „Ausnahmebereich“. Dieser Rechtszustand änderte sich erst 1998, nachdem die EU die Mitgliedstaaten zur Liberalisierung auch der Energiemärkte gezwungen hatte. Diese Entwicklungen – die Entstehung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, der Stromstreit vor dem Bundesverfassungsgericht in 1991/92, die Liberalisierung – werden in den ersten Kapiteln dargestellt. Dabei war sehr hilfreich, dass der Autor jedenfalls seit dem Stromstreit intensiv auf die Liberalisierung Einfluss nehmen konnte, etwa mit den Musterprozessen gegen die langfristigen Strom- und Gaslieferverträge der Konzerne. Aus diesen Aktivitäten ist übrigens eine Anwaltskanzlei entstanden, die die wohl führende europäische Energieanwaltsfirma darstellt, was auch damit zusammenhängt, dass Deutschland eine wegen der zahlreichen Stadtwerke pluralistische Energiewirtschaft hat, die viel Beratungsbedarf erzeugt.
Es folgen die Darstellungen der aktuellen Entwicklungen und Auseinandersetzungen: Die Zulassung der Fusionen RWE/VEW durch das Bundeskartellamt und von VEBA/VIAG mit ihren Töchtern PreussenElektra und Bayernwerk zu E.ON durch die Europäische Kommission. Statt das Entstehen von marktbeherrschenden Giganten zu verhindern, haben die Kartellaufsichten sie gefördert – mit fragwürdigen Rechtfertigungen. Als große Fehlleistung erwies sich auch die Zulassung der Fusion E.ON/Ruhrgas mit Hilfe einer Ministererlaubnis; eine Fehlleistung allerdings nur des Staates, während E.ON damit ein glänzender Coup gelungen ist, der das Unternehmen zu einem der größten Energiekonzerne der Welt machte. Minister Müller musste sich auf Druck der Öffentlichkeit aus dem Verfahren zurückziehen. Sein Staatssekretär Tacke übernahm die Erteilung der Ministererlaubnis – und beide wurden belohnt: Minister Müller wechselte vom Kabinett zum Vorstandsvorsitzenden der RAG, Tacke wurde Chef der STEAG; gut für die beiden, aber für den Rechtsstaat ein Trauerspiel.
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