Der Durchbruch kam am 16.9.1882 auf der Internationalen Elektrizitätsausstellung in München. Es war überhaupt die erste Ausstellung, die nach Einbruch der Dunkelheit eröffnet werden konnte, weil die Hallen und Zufahrtsstraßen von zahlreichen Edison-Lampen beleuchtet wurden. Die Fachleute erkannten, dass Rathenau der Bogenlicht-Partei die Schau gestohlen hatte. Von nun an kam nur noch die Glühbirne in Frage. Die eigentliche Sensation war die Bühne im Theatersaal des Glaspalastes. Während der Auftritte des Königlich-Bayerischen Balletts konnte ein Techniker nach Wunsch die Lichtstärke verändern und erstaunliche Effekte erzeugen. „Diese Theaterbeleuchtung ist ein durchschlagender Erfolg des elektrischen Lichts!“, meldete die Elektrotechnische Zeitschrift. Die Münchner Zeitungen feierten Rathenau. Berliner Bankiers fragten bei den Kollegen an der Isar ungläubig nach. Die telegrafierten zurück: „Zeitungsdepeschen sind nicht übertrieben.“ Die Privatbankiers waren gewonnen und erklärten sich bereit, die Gründung der Deutschen Edison-Gesellschaft mit 5 Mio. Mark zu finanzieren. Voraussetzung war allerdings, dass sich Rathenau vorher mit der Firma Siemens & Halske und ihrem Chef arrangierte.
Auch Werner Siemens (der Adelstitel wurde ihm erst 1888 vom „Hundert-Tage-Kaiser Friedrich“ verliehen), damals schon 66 Jahre alt, im Unterschied zu dem gerade 45 Jahre alt gewordenen Rathenau, war auf der Pariser Elektrizitätsausstellung gewesen; allerdings als Anhänger der Bogenlampen. Er war zu der Zeit schon weltberühmt, denn er hatte im Jahr 1866 den Dynamo erfunden. Aus einer kleinen Werkstatt mit 10 Arbeitern hatte er – Partner Halske war längst ausgeschieden – in 35 Jahren einen der ersten multinationalen Weltkonzerne mit Tochtergesellschaften in Großbritannien, Russland, Österreich-Ungarn, Frankreich und den USA gemacht. Das war allerdings die Karriere eines Schwachstromers: Siemens war nämlich der Pionier der Telegrafenleitungen, die bis nach Indien, New York und Afrika reichten. Von seiner „genialen technischen Begabung“ (Firmengeschichte) zeugten zahlreiche Erfindungen und Entdeckungen. Die Akademie der Wissenschaften ernannte ihn zum Mitglied, obwohl er nicht einmal Akademiker war und den Unterricht in seinen Lieblingsfächern Mathematik und Naturwissenschaft in der Ausbildung zum Berufsoffizier erhalten hatte. Anders als andere Erfinder war Siemens im Laufe der Jahre zum mehrfachen Millionär geworden. Denn er war ein außerordentlich geschickter – und oft auch gerissener – Geschäftsmann, dessen „meisterhafte Ausnutzung aller nationalen und internationalen Kaufmannschancen“ die Zeitgenossen bewunderten; ein Bild, das Siemens allerdings nicht sehr lieb war. Aber sein unternehmerisches Gespür zeigte sich z.B. darin, dass er das von dem Amerikaner Alexander G. Bell entwickelte Telefon einfach nachbaute, da es in Deutschland nicht patentiert war. Der Verkauf verlief „mit großem Erfolg und einer Gewinnspanne von 50 %“.
Die Aufnahme der Verhandlungen zwischen den beiden Männern wurde durch den Umstand erleichtert, dass sie sich seit Jahren kannten. Rathenau war als Maschinenfabrikant Mitglied im Verein der Berliner Metallindustrie gewesen; einer Arbeitgeberorganisation, die Siemens gegründet hatte, um gegen die organisierten, streiklustigen Arbeiter eine geschlossene Aussperrungsfront aufbauen zu können. Das war aber eher in den jüngeren Jahren. Als älterer Unternehmer nahm er den Sozialdemokraten den Wind aus den Segeln, indem er die Sonntagsarbeit abschaffte und werktags nur noch von 7 Uhr früh bis 6 Uhr abends arbeiten ließ, bei drei Pausen und einem Spitzenlohn von 25 Mark die Woche. Zusätzlich wurde eine Alters- und Invalidenpensionskasse für die Siemens-Belegschaft gegründet. Die Beiträge zahlte die Firma. Auch das imponierte Rathenau, weil damit fähige Arbeiter an die Firma gebunden und gleichzeitig der „Betriebsfrieden“ gesichert werden konnte.
Beide Kontrahenten konnten bei dieser Verhandlungslage nur gewinnen: Siemens brauchte Rathenau und die Edison-Patente, Rathenau brauchte Siemens, weil nur Siemens genügend Erfahrung hatte, um die Massenproduktion elektrischer Aggregate aufzunehmen. Der Kompromiss: Siemens und Rathenau teilten das große Edison-Monopol in zwei kleinere Monopole auf: Rathenau sollte den Bau von Kraftwerken und den Stromverkauf übernehmen. Dafür verpflichtete er sich, alle Dynamos, Motoren, Kabel etc. bei Siemens zu kaufen. Beide Partner durften eigene Glühlampenfabriken bauen, sahen aber bereits die Gründung eines Glühlampenkartells mit strikter Preisbindung vor. Als der auf zehn Jahre befristete Kooperationsvertrag unterschrieben war, hatten Siemens und Rathenau den Elektrizitätsmarkt in Deutschland schon aufgeteilt, bevor es ihn überhaupt gab.
Nachdem Rathenau und seine Bankiers im April 1883 die Deutsche Edison-Gesellschaft mit einem Aktienkapital von 5 Mio. Mark gegründet hatten, ging er zielstrebig an den Ausbau der Elektrizität in Berlin. Dafür holte er sich einen begeisterungsfähigen jungen Mann, Oskar von Miller, der bei ihm Technischer Direktor wurde. Von Miller hatte es bis dahin nur zum königlich-bayerischen Staatsbau-Praktikanten und einem Monatsgehalt von 120 Mark gebracht. Aber er hatte aus eigener Initiative die große Elektrizitätsausstellung in München organisiert. Rathenau bot ihm daraufhin ein sensationelles Jahressalär von 20.000 Goldmark plus Gewinnbeteiligung. Mit seinem kleinen Stab, der auch einen Patentanwalt umfasste, überzog Rathenau Berlin mit einem System von „Blockstationen“, die Häuserblocks mit Strom versorgen sollten. Die erste Blockstation entstand an einer der belebtesten Kreuzungen der Reichshauptstadt, Friedrichstraße/Ecke unter den Linden. Sie konnte mit ihren sieben Dynamos 1.800 Glühlampen in den Gaststätten und Geschäften mit Strom speisen. Aber Rathenau dachte damals schon anstelle der kleinen Dynamos in den Kellern an „Riesenhallen mit vieltausendpferdigen Maschinen, die automatisch und geräuschlos ganze Millionenstädte mit Licht und Kraft beliefern“. Aber klar war, dass Rathenau solche Pläne nicht ohne und schon gar nicht gegen den Willen der Stadt verwirklichen konnte, in der sich das alles abspielte: Berlin.
2. Kapitel
Der erste Konzessionsvertrag zwischen der Stadt Berlin und der „Actiengesellschaft Städtische Elektricitätswerke“
Erster Schritt war die Gründung einer „Actiengesellschaft Städtische Elektricitätswerke“ als Tochtergesellschaft von Rathenaus Deutscher Edison, wiederum mit seinen Bankiers im Rücken. Sie sollte nach ihrer Satzung „der gewerbsmäßigen Ausnutzung des elektrischen Stroms im jetzigen und künftigen Weichbild der Stadt“ dienen. Damit war sie von der Konzeption her das erste öffentliche deutsche Elektrizitätsversorgungsunternehmen (EVU).
Die Verhandlungen mit der Stadt erwiesen sich als äußerst schwierig, obwohl der Magistrat unter seinem linksliberalen Oberbürgermeister Rathenaus Plänen ausgesprochen positiv gegenüberstand. Aber viele Abgeordnete im Stadtparlament und ihre Fraktionen diskutierten Monate über die Frage, ob man die Stromversorgung überhaupt einem privaten Unternehmen überlassen oder besser in die eigenen Hände nehmen sollte, so wie bei Gas und Wasser. Der Magistrat setzte sich durch mit dem Argument, dass Privatunternehmen für den Ausbau der Stromwirtschaft besser geeignet seien, weil sie über das erforderliche Wissen verfügten, aber auch das technische und wirtschaftliche Risiko tragen mussten.
Damit verlief die Entwicklung in Berlin anders als in Hamburg, wo der Senat mehrere Anträge auf Wegerechte ablehnte, weil die Hansestadt monatlich fast 200.000 Mark Gaseinnahmen hatte. Der Aufbau der Stromversorgung hätte also in direkter Konkurrenz zur kommunalen Gasversorgung gestanden. Daran war der Senat nicht interessiert. Rathenau machte die Berliner Stadtväter demgegenüber darauf aufmerksam, dass sie ihre Gaseinnahmen erheblich steigern könnten, wenn sie das Stadtgas nicht zur Beleuchtung, sondern für die Gasheizung propagieren würde: „ Sind Gasöfen, die in wenigen Augenblicken funktionieren und das Einbringen unsauberer Brennmaterialien in unsere Wohnungen beseitigen, nicht unvergleichlich angenehmer als Kohlenfeuerungen? “ Und er versicherte: „ Gas gewinnt mit der Heizung ein konkurrenzloses Feld “: Eine äußerst weitsichtige Argumentation.
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