117 c) Die persönlichen Mordmerkmale der 3. Gruppe (Ermöglichungs- und Verdeckungsabsicht)sind wie die Merkmale der 1. Gruppe subjektive Tatbestandsmerkmale (nach a. A. spezielle Schuldmerkmale). Sie kennzeichnen den besonders verwerflichen Zweck der Tötung und beruhen auf dem Gedanken, dass Unrecht durch den Täter mit weiterem Unrecht verknüpft wird 354. Die Absicht ist im Sinne eines zielgerichteten Wollens hinsichtlich der Ermöglichung bzw. der Verdeckung einer anderen Straftat zu verstehen 355. Die Ermöglichungs- oder Verdeckungsabsicht kann dabei neben andere Motive des Täters treten (sog. Motivbündel), muss aber auch hier Haupttriebfeder sein 356.
118 aa)Die Ermöglichungsabsicht(„um eine andere Straftat zu ermöglichen“) liegt dann vor, wenn die Tötung als Mittel zur Begehung oder Erleichterung von Straftaten eingesetzt wird. Der Täter geht in diesen Fällen also „notfalls über Leichen“ 357, um seine kriminelle Energie in die Tat umzusetzen. Prinzipiell ist auch bei dolus eventualis hinsichtlich des Todes die Ermöglichungsabsicht nicht ausgeschlossen 358, jedoch muss hierbei der Tod das Mittel zur Ermöglichung der weiteren Tat sein 359. Nicht erforderlich ist, dass sich die weitere Straftat nach Vorstellung des Täters nur durch die zum Tode führende Handlung oder gar den Todeserfolg und nicht auch auf andere Weise erreichen lässt 360. Vielmehr genügt es, dass deren Begehung durch die Tötungshandlung erleichtert werden soll 361.
Bsp.: 362T überfällt O und betäubt ihn mit Chloroform, um ihn auszurauben. Nach ca. 30 Minuten erholt sich O. T entschließt sich nunmehr, auf andere Weise dafür zu sorgen, dass er die Suche nach Wertgegenständen ungestört fortsetzen kann. Er würgt sein Opfer massiv am Hals und erkennt dabei und billigt es auch, dass sein Handeln zum Tode führen kann. O stirbt kurz darauf. – T macht sich nach §§ 211, 212 strafbar, da seine Absicht darauf gerichtet war, einen Raub zu ermöglichen. Es ist weder erforderlich, dass das Würgen, das zum Tode führte, für die Begehung des Raubes ein notwendiges Mittel war, noch dass der Raub nur durch den Tod des Opfers begangen werden konnte. Auch dass T hinsichtlich des Todes nur mit dolus eventualis handelte, ist unschädlich.
119Soll auf die Leiche nach der Tötung weiter eingewirkt werden und sollen diese Tathandlungen gar auf Videoband aufgezeichnet und verbreitet werden, so kommen als Straftaten, die der Täter durch die Tötung seines Opfers ermöglichen wollte, auch Störung der Totenruhe (§ 168), verharmlosende oder verherrlichende Darstellung von Gewalt (§ 131) oder Verbreitung von gewaltpornographischen Schriften (§ 184a) in Betracht 363.
120 bb)Mit Verdeckungsabsicht(„um eine andere Straftat zu verdecken“) handelt der Täter, wenn er die eigene Bestrafung oder die Bestrafung eines Dritten – es muss sich also um keine eigene Straftat des Täters handeln 364– vereiteln will. Es stellt sich zunächst die Frage, ob die Strafschärfung in solchen Fällen überhaupt sachgerecht ist. Denn in den zugrunde liegenden Konstellationen ist häufig eine Konfliktlage gegeben, in der der Täter sich selbst (bzw. einen Dritten) hinsichtlich der vorangegangenen Tat einer Bestrafung entziehen möchte. Bei solchen Begünstigungen handelt es sich aber um Motivationen, die das Strafgesetzbuch in §§ 257, 258 sogar als strafausschließend wertet. Der entscheidende Unterschied liegt allerdings darin, dass der Täter bei §§ 257, 258 lediglich die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes bzw. die Bestrafung durch staatliche Organe hindert, ohne dabei jedoch weitergehenden Schaden anzurichten. Hingegen wird in den Fällen der Verdeckungsabsicht das Unrecht der Vortat mit neuem, zusätzlichem Unrecht verknüpft 365.
121 (1) Entscheidend ist allein die Tätersicht und nicht die objektive Lage 366. Es kommt also darauf an, ob aus Sicht des Täters eine Straftat verdeckt werden soll. Die Absicht des Täters muss sich dabei auf eine Straftatund nicht nur auf eine Ordnungswidrigkeit 367beziehen 368. Da es allein auf die Tätervorstellung ankommt, ist es aber nicht erforderlich, dass die Handlung überhaupt objektiv eine Straftat darstellt, so dass auch eine wahndeliktische Vorstellung erfasst wird 369.
Bsp.:T wird von O mit einem Messer angegriffen. T wehrt den Angriff mit einem Schuss aus einer Pistole ab. Er geht anschließend irrig davon aus, dass dieses Verhalten strafbar war und tötet den O mit einem weiteren Schuss, um eine Anzeige zu verhindern. – Der erste Schuss des T begründet keine Strafbarkeit wegen Körperverletzung, soweit dieser von § 32 gedeckt ist. Die abweichende Annahme des T stellt lediglich ein (strafloses) Wahndelikt dar. Der weitere Schuss führt dann aber zu einer Strafbarkeit wegen vollendeten Mordes, da die Absicht zur Verdeckung einer nicht vorliegenden Straftat nach h. M. ausreicht.
122 (2)Verdeckungsabsicht ist zu bejahen, wenn die Handlung dazu dient, eine vorangegangene Straftat oder auch Spuren zu verdecken, die bei einer näheren Untersuchung Aufschluss über bedeutsame Tatumstände geben könnten 370. Klassischer Fall der Verdeckungsabsicht ist damit die Tötung eines Polizisten, Verfolgers oder Zeugen, der dem Täter auf der Spur ist. Auch wenn aus Tätersicht nur die Tat, nicht jedoch seine Tatbeteiligungbekannt ist, ist Verdeckungsabsicht noch möglich 371. Entsprechendes gilt, wenn die genaue Kenntnis über den strafrechtlich bedeutsamen Sachverhalt allein bei Täter und Opfer liegen, so dass die Tatumstände deshalb noch nicht in einem die Strafverfolgung sicherstellenden Umfang aufgedeckt sind 372. Da auch insoweit die Tätersicht maßgebend ist, kommt es darauf an, dass aus dessen Sicht die Tat noch nicht aufgedeckt ist, mag dies auch objektiv der Fall sein 373. Keine Verdeckungsabsichtist allerdings gegeben, wenn der Täter davon ausgeht, dass bereits Tat und Täter aufgedeckt sind und er durch die Tötung nur noch seine Überführung erschweren, die Festnahme verhindern bzw. die Flucht ermöglichen möchte 374. Letzterenfalls kann jedoch ein niedriger Beweggrund in Betracht kommen 375. Hingegen scheidet die Annahme eines niedrigen Beweggrundes aus, wenn Verdeckungsabsicht bejaht wird und keine weiteren Umstände hinzukommen 376.
Bsp.:T flieht nach einem Raub und rast mit Absicht auf eine aufgrund dieser Tat eingerichtete Polizeisperre des Polizisten P zu, der T mit Handzeichen anhalten möchte. P kommt dabei zu Tode. – T ging es bei seinem Verhalten allein darum, seine Beteiligung am Raub zu verdecken. T macht sich gem. §§ 211, 212 strafbar, da zwar die Tat, jedoch noch nicht seine Tatbeteiligung aufgedeckt war. In Tateinheit (§ 52 Abs. 1 Var. 1) hierzu steht § 113 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2. § 240 ist gegenüber dieser Privilegierung für Vollstreckungshandlungen subsidiär. Ebenfalls in Tateinheit steht § 315b Abs. 1 Nr. 3, da T mit Schädigungsvorsatz handelte und daher ein verkehrsfremder Eingriff in den Straßenverkehr vorliegt 377. Über § 315b Abs. 3 wird die Tat nach § 315 Abs. 3 Nr. 1a und b, Nr. 2 qualifiziert (Verbrechen). Hingegen scheidet eine Strafbarkeit nach § 315c aus, da T keine der genannten Fehlverhaltensweisen im Straßenverkehr verwirklicht.
123 (3)Nach h. M. soll Verdeckungsabsicht auch möglich sein, wenn der Täter die Tat nicht vor der Polizei verdecken möchte, sondern außerstrafrechtliche Folgen, etwa Racheaktionen Dritter, verhindern will. Für diese Lösung spricht, dass dem Wortlaut des § 211 nicht zu entnehmen ist, dass es dem Täter darum gehen muss, sein vorangegangenes strafbares Tun gegenüber Strafverfolgungsbehörden zu verheimlichen. Auch schützt § 211 nicht die Belange der Rechtspflege 378.
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