Bsp.:T versteckt sich hinter einer Hecke und erschießt den ahnungslosen O hinterrücks. – Weil T keinen verwerflichen Vertrauensbruch begangen hat, müsste die genannte Ansicht das Mordmerkmal der Heimtücke verneinen, obwohl hier der klassische Fall einer heimtückischen Tötung („Meuchelmord“) gegeben ist 331.
108Die Rechtsprechung lehnt hingegen weitere Einschränkungen auf Tatbestandsebene ab und verweist auf die sog. Rechtsfolgenlösung, wonach in besonders gelagerten Ausnahmefällen die lebenslange Freiheitsstrafe entsprechend § 49 Abs. 1 Nr. 1 zu mildern sein soll 332.
109 bb)Das Mordmerkmal grausamist verwirklicht, wenn der Täter seinem Opfer in gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung Schmerzen oder Qualen körperlicher oder seelischer Art zufügt, die nach Stärke oder Dauer über das für die Tötung erforderliche Maß hinausgehen 333. Eine äußerlich brutale Vorgehensweise des Täters genügt für sich genommen also nicht 334. Das grausame Verhalten muss dabei vor Abschluss der den tödlichen Erfolg herbeiführenden Handlung auftreten und vom Tötungsvorsatz umfasst sein 335. Einbezogen werden damit nur Handlungen, die vom unmittelbaren Ansetzen bis zum Erfolgseintritt reichen.
Bsp.:T fügt O mit Tötungsvorsatz über einen Zeitraum von zwei Stunden zahlreiche Messerschnitte zu, bis O – wie von T gewollt – schließlich qualvoll verblutet.
Gegenbsp.:T fügt O auf grausame Weise Körperverletzungen zu. Dann erschießt er den schwer verletzten O. – Es liegt hier lediglich ein Totschlag, jedoch kein Mord vor. Lediglich die Körperverletzungen wurden grausam begangen, nicht jedoch die Tötung.
110Zu beachten ist, dass das Merkmal grausam bei einer Tötung mit einer Waffe oder einem gefährlichen Werkzeugnicht ohne weiteres verwirklicht ist.
Bsp.:T tötet O mit einem Messerstich. Obwohl O bereits tot ist, sticht T noch eine Weile auf O ein. – Das Merkmal grausam ist hier nicht verwirklicht, weil O bereits nach dem ersten Messerstich tot war.
Klausurhinweis:In Klausuren wird das Merkmal grausam oft vorschnell und ohne hinreichende Subsumtion bejaht, da die Tötung eines Menschen an sich als „grausam“ angesehen wird. Dabei wird übersehen, dass der Normalfall der Tötung jedoch von § 212 erfasst wird und die lebenslange Freiheitsstrafe des § 211 demgegenüber einen erhöhten Unrechts- und Schuldgehalt der Tat verlangt.
111 cc)Die Qualifikation des gemeingefährlichen Mittelsfindet ihren Grund in der besonderen Rücksichtslosigkeit des Täters, der sein Ziel durch die Schaffung unberechenbarer Gefahren für andere durchzusetzen sucht 336. Ein gemeingefährliches Mittel liegt vor, wenn das Tatwerkzeug in der konkreten Tatsituation geeignet ist, eine Mehrzahl von Menschen (als Repräsentanten der Allgemeinheit) an Leib 337oder Leben zu gefährden, weil der Täter seine Wirkungsweise und damit die Ausdehnung der Gefahr nicht beherrschen kann 338. Überwiegend wird eine Mehrzahl ab drei Personen angenommen 339. Nicht ausreichend ist einerseits eine nur abstrakte Gefährlichkeit 340, andererseits ist aber auch nicht erforderlich, dass tatsächlich eine konkrete Lebensgefahr eintritt 341. Auch ein Mittel – z. B. ein KFZ –, das bei abstrakter Betrachtung grundsätzlich nicht gemeingefährlich ist, kann in der konkreten Tatsituation gemeingefährlich eingesetzt werden 342. Insoweit ist aber darauf zu achten, dass die Gemeingefährlichkeit auch vom zumindest bedingten Vorsatz erfasst ist 343.
Bspe.:T möchte O töten und zündet eine Bombe in einer Menschenmenge; – T setzt ein Haus in Brand, in dem eine große Anzahl von Menschen wohnt; – T nimmt an einem illegalen Autorennen teil und nimmt den Tod anderer in Kauf 344.
112 (1)Nicht erfasst werden jedoch Fälle einer „schlichten“ Mehrfachtötung, bei denen der Tätervorsatz gegen eine bestimmte Anzahl von ihm individualisierter Opfer gerichtet ist, er etwa drei konkret individualisierte Menschen mittels Brandsatz töten möchte 345. Anderes gilt jedoch zumindest dann, wenn darüber hinaus auch weitere Personen durch das Mittel in Gefahr geraten können 346. Zudem entfällt die Gemeingefährlichkeit des Mittels richtigerweise nicht deshalb, weil sich der Vorsatz des Täters darauf erstreckt, alle Repräsentanten der Allgemeinheit, die nicht weiter individualisiert sind, zu töten.
Bspe.:T tötet den O mittels einer Bombe und nimmt dabei den Tod der anderen Anwesenden billigend in Kauf. T sprengt ein Flugzeug, wobei alle Passagiere zu Tode kommen.
113Teilweise wird die Gemeingefährlichkeit des Mittels in solchen Fällen verneint, weil über den vom Vorsatz erfassten Opferkreis hinaus keine weiteren Personen gefährdet werden und daher Dritte nicht aufgrund der Unbeherrschbarkeit des Mittels betroffen sind 347. Vom Wortlaut ist jedoch eine Verknüpfung der Gemeingefährlichkeit mit dem Tötungsvorsatz – wie auch bei den anderen Mordmerkmalen – nicht geboten. Und in der Sache selbst besteht kein Grund, den mit Tötungsvorsatz hinsichtlich einer Mehrzahl von Personen handelnden Täter zu begünstigen, zumal bei solchen Attentaten kaum noch von einer Auswahl individueller Opfer gesprochen werden kann 348.
114 (2)Ist das Mittel nicht geeignet, eine Mehrzahl von Personen zu gefährden, so liegt kein gemeingefährliches Mittel vor 349.
Bsp.:T legt sich im Gebüsch auf die Lauer und tötet O mit mehreren Schüssen aus einer Pistole.
115Dies gilt selbst dann, wenn zwar eine Mehrzahl von Personen in den Gefahrenbereich geraten kann, tatsächlich aber – wie bei einem Schuss aus einer Pistole – die Wirkungen begrenztsind. Das Tötungsmittel wird also nicht allein dadurch zum gemeingefährlichen Mittel, dass der Täter die Waffe nicht ausreichend beherrscht, sein Ziel verfehlt und eine andere als die anvisierte Person trifft.
Bsp.: 350T zielt mit einer Pistole in einer Menschenmenge auf seinen Feind F, verfehlt diesen und trifft den O, was T billigend in Kauf nahm. – Da T Eventualvorsatz auch hinsichtlich des Todes des O besaß, liegt kein klassischer Fall einer aberratio ictus (mit der Folge eines versuchten Totschlags an F und fahrlässiger Tötung an O) vor. Vielmehr verwirklicht T den Tatbestand des § 212 an O. Mord scheidet hingegen aus, da es sich bei der Waffe nicht um ein gemeingefährliches Mittel handelte, da dieses in seinen Wirkungen begrenzt war – es konnte von vornherein nur eine Person getroffen werden. Hinzu treten §§ 212, 22, 23 bzgl. F.
116 (3)Ein gemeingefährliches Mittel ist nach h. M. ferner nicht gegeben, wenn der Täter nur eine bereits vorhandene gemeingefährliche Situationzur Tat ausnutzt, so dass bloßes Unterlassen grundsätzlich nicht erfasst wird 351. Dabei soll es keinen Unterschied machen, ob die Gefahr zufällig (etwa durch ein Naturereignis), von einer an der Tötung unbeteiligten Person oder sogar vom Täter selbst zuvor ohne Tötungsvorsatz verursacht worden ist. Gegen einen generellen Ausschluss des Unterlassens lässt sich aber anführen, dass die Frage einer Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln durch Unterlassen letztlich eine Frage der Entsprechensklausel nach § 13 I a. E. ist; dabei ist zu berücksichtigen, dass auch beim Ausnutzen einer gemeingefährlichen Situation sowohl das Handlungs- als auch das Erfolgsunrecht erhöht sein können 352.
Bsp.: 353T setzt mit seiner Zigarette aufgrund einer Unachtsamkeit ein Haus in Brand. Obwohl er erkennt, dass mehrere Bewohner zu Tode kommen können, unternimmt er nichts und nimmt ihren Tod billigend in Kauf. O kommt bei dem Brand zu Tode. – Was Tötungsdelikte anbelangt, so hat sich T zunächst nach § 222 strafbar gemacht. Durch das pflichtwidrige Vorverhalten ist er zudem Garant kraft Ingerenz und macht sich daher auch gem. §§ 212, 13 strafbar. Als T den Tötungsvorsatz fasste, war die gemeingefährliche Situation des Brandes jedoch bereits entstanden, so dass nach h. M. § 211 ausscheidet. § 222 ist gegenüber §§ 212, 13 mitbestrafte Vortat, da die Sorgfaltspflichtverletzung als pflichtwidriges Vorverhalten erst die Garantenstellung begründet.
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