»Ist der denn lange weg, oder kommt der heute wieder?«, fragte er den Praktikanten.
Wieder diese unmerkliche Bewegung und ein Murmeln: »Mblmbldochnich. Keineahnung.«
»Ja, aber du kannst doch hier nicht ganz allein den Laden schmeißen.«
»Mblmbltanktsowiesokeiner.«
So langsam fange ich an, mich an seine Art zu gewöhnen. Er läuft anscheinend nur auf drei Pötten, um mal im Bild zu bleiben. Vielleicht muss er mal ein oder zwei Stündchen an eine Autobatterie angeschlossen werden . Julius stolzierte um den Mercedes herum und summte leise vor sich hin.
»Ach, hat doch alles keinen Zweck.« Herbie zückte sein Handy. »Köbes kann uns vielleicht helfen.«
Ah, Köbes, der Zottel aus Zingsheim! Dein verrückter Autoschrauber-Freund wird dem Ding den Rest geben!
»Die Waschanlage ist mir piepegal. Ich will das Auto da raushaben.«
Das schafft er. Nur nicht in der alten Form .
»Von Zingsheim aus ist er in ein paar Minuten hier.« Herbie wählte. »Er kann gleich seinen Schweißbrenner mitbringen.«
Cedric-Maurice blickte irritiert auf und schaute suchend um sich, um zu sehen, mit wem Herbie sprach. Dann erschien ihm aber doch sein Handy wichtiger, und er versank wieder in der Abenddämmerung seiner Gedankenwelt.
»Hallo Herbie!«, quakte Köbes fröhlich aus dem Gerät.
»Tach Köbes, du musst mir helfen.«
»Klar, wie immer, aber hör mal, ich …«
»Oh, die Verbindung ist mies. Es geht um das Auto meiner Tante, Köbes.«
»Mblmblscheißnetz hier«, murmelte der Praktikant.
»Nee, sorry, Herbie, ich …«
»Keine Sorge, du musst es nicht reparieren. Es ist nur … eingeklemmt.«
Die Verbindung war wirklich ausgesprochen schlecht, sogar für Eifeler Verhältnisse. Zuerst war am anderen Ende nur noch einen Knacken zu hören, dann wieder die verzerrte Stimme von Köbes: »Die Leitung ist echt dürftig. Ich habe ›eingeklemmt‹ verstanden.«
»Ja, stimmt, eingeklemmt. Hat keinen Zweck, dass ich versuche, es dir am Telefon zu erklären. Komm doch mal schnell rüber.«
»Geht nicht.«
»Wieso?«
»Bin in Island.«
»Oh. Island, echt? Also das Island?«
»Nein, Island.«
»Sag ich ja.«
Jetzt kam nur noch ein Knastern.
»Köbes?«
Das Gespräch löste sich irgendwo zwischen Island und der Eifel in nichts auf, und Herbie starrte ratlos auf das Display.
Du siehst gerade ein bisschen so aus wie Cedric-Maurice .
»Verdammt, und jetzt? Hast du ein Branchenbuch da drinnen?«, fragte Herbie in Richtung des Praktikanten und deutete in Richtung des Verkaufsraums. Cedric-Maurice begriff nur sehr langsam, dass er gemeint war, und der Blick, mit dem er diese Frage beantwortete, glich der allumfassenden Leere eines schwarzen Lochs im Weltall.
»Gelbe Seiten?«, fragte Herbie eindringlich.
Du könntest ihn genauso gut um einen Brockhaus oder die Tora bitten .
»Okay, dann eben Internet. Habt ihr einen Computer? Mit dem Handy komme ich bei dem miesen Empfang hier nicht weiter.«
Als Cedric-Maurice immer noch nicht reagierte, steuerte Herbie entschlossen den Verkaufsraum an. Als er die Glastür öffnete, kam ihm die junge Frau mit dem Pferdeschwanz entgegen. Was war nur an ihrem Lachen, das es so unglaubwürdig machte? Die Augen waren es. Die Augen lächelten nicht mit. Der Einkaufsbeutel war jetzt gefüllt. Etwas klirrte leise darin.
»Geld liegt da. Hab’s abgezählt!«
Herbie blickte sich nach dem Praktikanten um, der es offenbar noch nicht aus der Waschhalle herausgeschafft hatte. »Okay«, sagte er. »Ich sage Bescheid.«
Sie hob jetzt den Beutel hoch, presste ihn gegen die Brust und ging mit zielstrebigen Schritten los.
Ein nervöses, kleines Pummelchen .
»Da waren Flaschen drin. Scheint sie öfter hier zu kaufen.«
Die junge Frau verließ den Vorplatz über einen kleinen Schotterweg, der hinter dem großen Überseecontainer zwischen dem hüfthohen Gestrüpp verschwand.
Herbie öffnete jetzt die Tür am rechten Rand der schmutzigen Glasfront des Gebäudes. Als er eintrat, reiste er im selben Augenblick zurück in die Vergangenheit.
Rechts stand ein Zeitschriftenregal. Zumindest war es einmal eins gewesen. Ein paar aktuelle Exemplare der Bild-Zeitung und des Kicker waren dort einsortiert, aber auch einige alte Illustrierte, auf deren Titelseiten noch Lady Diana lächelte und Dieter Bohlen und Thomas Anders zusammen posierten. Im unteren Regal wurden ein paar in Folie eingeschweißte Pornomagazine neben Bussi Bär, Fix und Foxi und anderen alten Kinderheften angeboten.
Über die gesamte Länge der hinteren Wand verlief ein Metallregal mit fünf Etagen, in dem ein paar einsame ölverschmierte Autoersatzteile, Dosen mit Bremsflüssigkeit und Motoröl, Reservekanister, Frostschutzmittel, Schachteln mit Luftfiltern, Wischblättern, Bremsbelägen und Zündkerzen und eine beachtliche Menge von Duftbäumchen in verschiedenen Aromarichtungen verteilt lagen. Eine Ecke war ein paar alten Konserven, Keksschachteln und Weinflaschen vorbehalten.
Links thronte die große Kassentheke, verkleidet mit einer weißlichen Kunststoffplatte, die an den äußeren Rändern honigfarben angelaufen war. Sie wurde rechter Hand flankiert von einer offen stehenden, leeren Eistruhe, einem hochmodernen, leuchtenden Kühlschrank, randvoll mit Bierdosen, und zur Linken von einem kleinen, fast leeren Regal mit ebenso fast leeren Pappkartons mit ein paar Schokoriegeln.
Julius beugte sich naserümpfend über die Süßigkeiten. Ach, guck mal. Heißt das nicht inzwischen Twix?
Hinter der Kasse standen ein abgewetzter Lederdrehsessel, ein Radio mit einem zur Antenne gebogenen Drahtkleiderbügel und ein klobiger Computerbildschirm samt Tastatur voller Zigarettenasche. An der Wand dahinter platzte ein großes Tabakwarenregal regelrecht aus allen Nähten.
An den Wänden hingen zwischen den Regalen Werbeplakate und Kalender längst vergangener Zeiten. Fast ausnahmslos textilarme, junge Frauen schmiegten sich an Allwetterreifen oder räkelten sich auf Mofatanks und Autokühlerhauben. Ein fleckiges, großes Pappdisplay über der leeren Eistruhe zeigte Flutschfinger, Brauner Bär und Düsenjäger . Die bunten Farben der abgebildeten Eissorten waren verblasst, aber Herbie hatte den künstlichen Geschmack von damals sofort wieder auf der Zunge.
Dies war eine Tankstelle aus seiner Jugendzeit. Es sah aus wie damals, es roch wie damals, und selbst die kleinen, metallenen Schellen, die von der Tür in Schwingung versetzt worden waren, verbreiteten den scheppernden Klang von damals.
Was war geschehen? Wo war die Zeitmaschine?
Mach den Mund zu .
»Julius, das ist … ich bin … All diese Dinge kenne ich. Es ist so … Wie kann es sein, dass diese Tankstelle überlebt hat?«
Julius sah sich seufzend um. Nun, du weißt doch: Schönes bleibt .
»Guck mal hier, Julius! Das Yps-Heft mit der Fliegenschreck-Pistole!«
Du siehst mich schlichtweg überwältigt .
»Ich hatte damals die Urzeit-Krebse. Die sind mir eingegangen.«
Ja, wem nicht . Julius räusperte sich vernehmlich. Sosehr dich auch die Nostalgie gefangen genommen zu haben scheint, darf ich daran erinnern, dass deine Tante ungeduldig auf ihren Benz wartet? Sicherlich findest du hier irgendwo ein Branchen-Telefonbuch, aber ich fürchte, dass die Fachleute, die du darin zu finden hoffst, inzwischen alle längst das Zeitliche gesegnet haben .
» Dolomiti «, hauchte Herbie und strich mit der Hand ehrfürchtig über die Eis-Papptafel.
Du brauchst einen Plan, Herbert Feldmann!
Die Türglocke schepperte, und Herbie drehte sich um. Er zeigte immer noch das sehnsuchtsvolle Lächeln, das ihm die Erinnerung auf die Lippen gezaubert hatte.
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