Herbie bedachte ihn nur mit einem kurzen, schnellen Seitenblick. »Eine der Bürsten steht schief«, konstatierte er. »Wie ist das passiert?«
»Weiß der Himmel. Schlösser ist um das Gebäude herumgefahren und von hinten in die Waschhalle rein, so wie immer.«
»So wie immer? Heißt das, ihr wart schon öfter hier?«
»Das tut nichts zur Sache. Jedenfalls hat das Ding angefangen zu schrubben und zu schäumen, und mit einem Mal gab es einen schrecklichen Krach. Es hat gescheppert und gerumst, und dann roch es irgendwie verschmort.«
Bärbelchen hatte jetzt einen Zipfel von Herbies Hosenbeinen zu packen gekriegt und zerrte daran.
»Hör auf, mit dem Hund zu spielen, und tu was!«, herrschte ihn seine Tante an. »Ich will nach Hause, es wird Zeit für meine Tabletten, und wenn Schlösser da drin kollabiert, kann ich mich schon wieder nach einem neuen Fahrer umsehen.«
Sie ist ein gütiger Engel .
»Wo ist der Tankwart?«
»Im Krankenhaus.«
»Aber wer … wenn er … was …?«
»Sprich deine Sätze zu Ende!«, keifte seine Tante. »Der Tankwart nützt uns jetzt nichts! Da drinnen hinter der Kasse sitzt ein pickliger Praktikant, der zu nichts nütze ist und dem ich verboten habe, irgendetwas zu tun. Nachher macht er noch Kratzer oder Beulen in mein Auto!«
»Aber ich bin doch kein Mechaniker, Tantchen. Wie soll ich denn den Wagen da rauskriegen? Was ist denn, wenn Schlösser einfach wieder zurücksetzt?«
»Ja, glaubst du vielleicht, wir sind völlig meschugge? Natürlich haben wir alles probiert!« Sie stieß wütend den Stock auf den Boden. »Ich habe Schlösser die Kommandos gegeben, und er hat alles versucht! Hinten hängt eine weitere Bürste quer, die da eigentlich nicht sein sollte. Der Wagen ist verkeilt! Eingeklemmt! Verbarrikadiert! Tu jetzt was!« Verärgert kratzte sie mit der Stockspitze in den Rillen des Pflasterplatzes herum.
Die Ungeduld der alten Nebelkrähe wächst. Wird Zeit, dass du langsam ein bisschen Engagement zeigst .
Herbie kratzte sich am Kopf und zwang sich, etwas zu tun, ganz gleich, wie nutzlos es sein würde. Er ruckelte an den senkrechten Metallstreben und versuchte, an den nassen Fransen der Reinigungselemente zu zerren. In der Höhe waren die Bürsten in einer querlaufenden Führungsschiene verankert. Eigentlich sollten sie beide symmetrisch auf die Mitte zugerollt sein, doch die eine, so war aus der Nähe jetzt deutlich erkennbar, stand etwa eine Handbreit zur Seite versetzt. Herbie kriegte die glitschigen Lappen einfach nicht zu fassen, und schon bald war er selbst klatschnass.
Möchtest du vielleicht auch noch ein bisschen Aktivschaum, eine Unterbodenreinigung und eine feine Glanzwachsbehandlung?
»Es nützt nichts, Tante Hettie«, rief Herbie nach draußen. »Alles total verklemmt. Ich versuche es mal hinten!«
Doch auch da wurden seine Bemühungen nicht von Erfolg gekrönt. Die quer in der Luft hängende Bürste ließ sich keinen Millimeter nach oben oder unten bewegen. Wieso war die überhaupt da, wenn die senkrechten Bürsten in Aktion gewesen waren? Hier schien einiges in Unordnung geraten zu sein. Auch im Inneren der Anlage drehten die grünen Vögel unter der fleckigen Betondecke ihre Runden.
»So, ich steige jetzt ins Auto!«, gab er durch.
Klingt wie »Alles klar zum Entern« .
»Versau mir bloß nicht die Sitze, hörst du!«
Immerhin konnte man die hinteren Türen öffnen. Ein junger, wendiger Mensch hätte sich auch mehr oder weniger mühelos auf diesem Weg befreien können, aber der greise Schlösser hätte es niemals in einem Stück nach hinten geschafft.
»Die Zeiten sind vorbei, dass ich auf dem Rücksitz rumturne. Egal, aus welchem Grund«, röchelte der Alte. »Ich muss hier raus, Jungchen, und zwar dringend.« Sein Keuchen klang alarmierend.
»Das Schiebedach!«
»Das Schiebedach?«
»Ja, nach oben kommen Sie vielleicht raus.«
Der kahle Kopf wurde in den Nacken gelegt. »Hm, ja, könnte klappen.«
Wenige Augenblicke später schob sich fast geräuschlos ein Teil des Wagendachs nach hinten.
Huch, höre ich da was? Geht die Waschanlage etwa wieder an?
Herbie schrak zusammen, aber es handelte sich nur um die grellen Rufe der Vögel. »Blödsinn«, zischte Herbie. »Da bewegt sich nichts mehr.«
»Aber ich tue doch, was ich kann!« Fritz Schlösser schaffte es jetzt tatsächlich, sich aus dem Sitz hochzustemmen, sodass sein Oberkörper schon bald aus der Öffnung ragte. Herbie griff ihm dabei nach Kräften unter die Achseln, um die Oberschenkel und überall sonst noch hin, wo es helfen konnte, dass er ins Freie gelangte. Bald schwang der Alte das erste Bein hinaus auf die Windschutzscheibe.
»Die Schuhe!«, keifte Tante Hettie. »Die Schuhe aus, bevor ihr auch nur einen Fuß auf die Kühlerhaube setzt!«
Sie taten, wie ihnen geheißen, und in den folgenden, endlos erscheinenden Minuten schafften sie es, in einem ganz und gar unwürdigen Balanceakt über die Front des Mercedes, zwischen den Bürsten hindurch auf den zwar nassen, aber immerhin festen Betonboden zu gelangen.
Julius klatschte begeistert Beifall. Der chinesische Nationalzirkus nimmt euch mit Kusshand, Jungs!
Henriette Hellbrecht hatte jedoch kein Lob für ihre Darbietung übrig. »Wurde aber auch Zeit. Los, deinen Schlüssel.«
»Meinen?«, fragte Herbie ungläubig. »Wieso meinen Schlüssel?«
»Wir werden das Risiko auf uns nehmen und mit deinem Schrottgefährt nach Hause fahren. Und sobald du den Mercedes wieder flott hast, bringst du ihn nach Bad Münstereifel, haben wir uns verstanden? Also her mit dem Schlüssel!«
»Aber Tante Hettie, das geht doch nicht.«
Sie zielte mit der Stockspitze auf seine Nase. »Und wie das geht. Lass dir was einfallen! Und wenn ich einen einzigen Kratzer an meinem Auto finde, dann …«
Dann was?
Herbie ließ die Schultern sinken. Ja, womit konnte sie ihm überhaupt drohen? Sie hatte ihn ohnehin in der Hand und brauchte nur zuzudrücken, um ihn endgültig zu zerquetschen.
Der alte Schlösser zog sich derweil jammernd die Schuhe über seine nassen Socken. Herbie suchte die seinen und stellte entsetzt fest, dass Bärbelchen bereits mit Hingabe an dem linken herumkaute.
Wenig später sah er seinem roten Auto hinterher, das mit einem ungesunden Geräusch davonrollte, eine große, bläuliche Abgaswolke hinter sich herziehend.
Kraftlos trottete er mit den Schuhen in der Hand zurück zur Waschhalle. Einer der Vögel saß auf dem Autodach und interessierte sich für das Wageninnere. Herbie machte eine schwache Bewegung mit dem angekauten Schuh, um ihn zu verscheuchen.
»Sie hat einen Praktikanten erwähnt«, sagte er.
Das ist diese Spezies, die nichts kann und immer nur im Weg herumsteht, nicht wahr?
»Irgendwo muss der ja sein.« Herbie steuerte den Shop an.
Als er den klebrigen Metallgriff packte und die Glastür aufschob, quietschte es entsetzlich, und bevor Herbie eintreten konnte, kam ihm jemand mit hängender Hose und schlurfenden Schritten entgegen. Der Knabe mochte dreizehn oder vierzehn Jahre alt sein und würdigte Herbie keines Blickes. Dazu war er viel zu sehr mit der Betrachtung seines Handy-Displays beschäftigt. Er hatte strähniges, braunes Haar und unreine Haut. Auf der Oberlippe spross ein kaum wahrnehmbarer Flaum.
»Guten Tag, sind Sie der … also, bist du der Praktikant, ich meine …?«
Der Junge nuschelte unglaublich müde etwas unglaublich Unverständliches, das in einem fast erkennbaren Wort endete, das sich wie »Halsband-Sittiche« anhörte.
»Wie? Ach so, die grünen Vögel. Toll. Aber ich wollte eigentlich etwas wegen der Waschanlage fragen.«
Wieder wuchs ein gerade noch verstehbares Satzende aus einem Mundvoll undeutlichen Gemurmels heraus: »Mblmbldochgesagt, Halsband-Sittiche sin das.«
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