Afanassi schleifte ihn in den Fluss. Und ich erklärte Rapolas:
»Du, Rapolas, immer nur von Marinka, Zeit zum Heiraten. Hatte noch nicht die Zeit.«
»Zeit zum Heiraten, Wassili.« Er sprach es wie einen ehrlichen Wunsch aus.
»Du bist ein guter Mensch«, rühmte ich ihn.
Ich blickte zum Fluss, wo Afanassi den Banditenanführer an den Füßen festhielt und hin- und herschwenkte. Ich dachte, er würde ihn noch ertränken.
»Es reicht, Afanassi«, rief ich. »Zieh ihn raus, sonst erkältet er sich noch.«
Afanassi schleifte ihn zu uns. Ich sah ihn erneut an. »Ein ganz gewöhnlicher Mensch, wir haben beide in Paris studiert und einmal zusammen Cognac getrunken.« Ich versuchte die Worte anzuordnen, zu vertauschen, doch keine Kombination passte zu dem, der nass vor uns am Boden lag und die Nüstern bewegte.
»Auf geht’s«, befahl ich.
Aus Afanassi Duschanskis Verhör
Wassili Sinizyn und ich sind Jahrgänger. Nur wurde ich diesseits und er jenseits des Urals geboren. So verläuft seither unser Leben: Wir begegnen einander und trennen uns dann an irgendeinem Fluss wieder. Wir trafen einander vor neun Jahren, in einem Infanterieregiment der Division 11. In Budapest wurde er verletzt. Er blieb auf dieser Seite der Donau, ich setzte ans rechte Ufer über. Später überquerte ich die Oder. Nach dem Krieg begegneten wir uns in Orsk. Er bewachte am rechten Ufer des Ural Kriegsgefangene, ich am linken – ein politisches Detail. Der Ural, das ist nicht die Donau. Einfache ein Fluss. Von unseren Wachtürmen aus winkten wir einander manchmal zu.
Er fand eine Möglichkeit zu entkommen. Und nahm auch mich mit.
In Moskau traf er Lebedew. Kehrte munterer von ihm zurück.
Hier angekommen, trafen wir noch Rapolas, Fjodor und Marja Petrowna. Einige Leichen und eine, wie ich sie nennen würde, »Halbleiche«. Über diese »Halbleiche« freute man sich besonders. Und unterwegs betrank man sich auch noch vor lauter Freude.
Unsere Männer sind schnell im Sich-Besaufen. Und hier kam noch etwas hinzu – der Sieg. Ich trank nicht an jenem Morgen, Gelegenheit hin oder her, dafür ist der Abend da. Der Sieg berauschte mich nicht besonders, denn der Krieg machte keinen ernsten Eindruck, und der, der an dieser Schweinerei schuld war, schien mir zu leicht, als wir ihn zum Fluss schleiften. Nicht einmal ins Schnaufen kam ich, während ich ihn schleifte, und während wir den Erdbunker einnahmen, lag ich im Gras. Ich hätte eine Papirossa rauchen können oder eine Zeitung lesen, oder ins Dorf gehen, nichts hätte sich geändert. Sieg. Und überhaupt, während Genosse Komandir im Krankenhaus nach Spiritus verlangte, trank ich in Berlin Anisschnaps und kritzelte überall meinen Namen auf die Ruinen. Also kenne ich das.
Als alle im Fuhrwerk eingeschlafen waren, versuchte Genosse Komandir mit mir ins Gespräch zu kommen, doch da ich schon mehr als einmal gehört hatte, wie man im Krankenhaus seine Oberschenkel durchgeknetet hatte, war ich nicht sehr gesprächig. Und da fing er an, sich mit der Halbleiche zu unterhalten, und kam so in Fahrt, entdeckte alle möglichen Themen, dass auch ich mich einschalten wollte, doch jetzt war es dazu zu spät.
Genosse Komandir sprach wie ein Freund mit ihm, freute sich, dass er ihn gefangen genommen hatte, achtete ihn und versprach ihm ein schnelles Ende. Aus den Worten des Genossen Komandir verstand ich, dass Halbleiche und Lebedew in Paris noch beide einen Platz an der Sonne gefunden hatten, dass aber für Halbleiche und Genosse Komandir und Marinka zu dritt dort dieser Platz nicht ausreichen würde. Er fragte, ob er Marinka gesehen habe, doch wenn er Paris gesehen habe, dann würde er sich auch sie leicht ausmalen können. Der Genosse hieß ihn nur, Paris mit vier zu multiplizieren und sich davon zu überzeugen, dass dies nicht mehr Paris war, sondern sie, Marja Petrowna.
»Gute Marinka,« – Wassili nickte zustimmend – »ich werde mit ihr an einen See fahren. Dort gibt es solche Seen«, sagte er, »ich werde mich an dich erinnern. Wie du Schweinehund gegen solch eine Frau Krieg führtest. Vor ihr muss man auf Knien gehen.«
Man hätte meinen können, die zwei Männer hinter mir hätten mitten auf dem Wagen einen Tisch aufgestellt und umarmten sich. Ich wandte mich um, um nachzusehen, wie es wirklich war. Doch ein Tisch war zu dieser Zeit noch keiner da, Genosse Komandir hielt ein Glas über den, der an dieser Schweinerei schuld war, und tröpfelte ihm Wasser aufs Gesicht.
Dann befahl er ihm plötzlich zu pfeifen. Er sollte wie ein lebend Gefangener pfeifen. Vielleicht würden ja die Seinen angelaufen kommen. Und als Halbleiche nicht nur das Pfeifen verweigerte, sondern überhaupt nicht recht verstand, wer und warum mit ihm sprach, malte Wassili ihm das Finale des Scheinkampfes aus. Wie er mir einen Befehl erteilt und, verdammt nochmal, all ihre Dörfer, Wälder brennen, ihre ganze Sturheit sich in Rauch auflöst. Es brennen Vilnius und Klaipėda, und auch die Stadt in der Mitte, denn ich, das musst du wissen, schieße so heftig. Dann sein Kommando: »Es reicht, Afanassi«. Und es ist mucksmäuschenstill. Die Erde verbrannt, aber nicht mehr böse. Und Marinka wandelt auf ihr. Das müsstest du sehen, wie sie über die leere Erde geht. Nackt geht die Frau, denn wozu sollte sie sich unter einem Soldatenmantel verbergen, wenn Afanassi alles hatte in Rauch aufgehen lassen.
Zu lange waren Wassili und ich in diesen Wachtürmen zu beiden Seiten des Urals. An mein Ufer blies der Wind von den Bergen her, sein Lager aber stand im Schutz der Stadt. Nichts Besonderes, die Stadt, doch den Wind hielt sie auf. Und ich steuerte den Wagen ins Ziel, während Wassili alles von sich gab, was er auf seinem Wachturm hatte heranreifen lassen.
»Du bist kein Mensch, Zemaitis«, sagte er zur Halbleiche. »Wenn Lebedew mich fragt, dann antworte ich ihm: ›Herr Oberst, der Cognac war echt, bei Paris bin ich mir nicht sicher, dieser Mensch aber – nein.‹ Und das gilt für das ganze Land. Flüsse, Erde, Wald. Du trinkst Cognac – wieder echt, doch dass du im Wald trinkst oder am Fluss – das kommt dir nur so vor. Was konnte man hier Echtes tun – nur Cognac trinken oder eine russische Frau lieben. Und auch die Möbel sollten aus Russland sein. Und Afanassi vor der Tür Wache schieben«, fügte er mit erhobenem Kopf auf mich deutend an. »Auch der Boden sollte von dir verlegt werden. Und die Erde überprüft. Denn alles andere hier, Herr Oberst, ist eine böse Laune. Und es wird noch viel Zeit vergehen, bis wir dieser Laune Leben einhauchen.«
Hier nickte auch ich aus meinem Wachturm. Stimmt. Ungewöhnliches Land: Schlachten – halb, Leichen – halb. Plötzlich kam Wassili wieder in den Sinn, dass auch er einst halb gewesen war. Kein Mensch, sondern eine Kriegskanone. Name, Vorname – echt. »Wassiliok«, hatte seine Mutter ihn gerufen. Die Kindheit war echt. Doch das Folgende – nur eine Kanone. »Den nackten Oberschenkel darfst du berühren, wenn du willst, Spiritus habe ich keinen«. Was sollte auch die Kanone mit Spiritus, und das Bein auf sie zu legen war dasselbe, wie ein Brückengeländer mit dem Beinen zu umklammern. Keine Sünde, kühl, angenehm.
Dieses Halbsein von allem war mir unangenehm. Denn wenn Afanassi ganz war, die ganze Umgebung aber halb … Doch hier rülpste Genosse Komandir und verkündete, dass er von jetzt an ebenfalls ganz war. Dass er anfangen würde zu leben. Spiritus trinken, den man Kanone nicht gegeben hatte. Eine Frau lieben wolle. Mit ihr an den See zu fahren.
»Gestern noch hätte ich sie gefragt«, sagte er, »lässt du mich deinen bloßen Oberschenkel berühren, Marinka? Mir als Kanone würde sie es erlauben. Heute Abend wird sie es auch erlauben. Wird aber auch erschaudern. Wenn der Mann sie berührt, schaudert die Frau. Seltsam, Zemaitis, dass zwei so Geschütze wie wir zusammenstoßen mussten, damit darauf von der Berührung des einen eine Frau erschaudert.«
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