Eine besondere Beziehung gehen dabei Kinder und Haustiere ein. Im Rahmen von Jane Goodalls Roots & Shoots Programm [25] (Wurzeln & Keime) arbeite ich mit Kindern. Ziel des Programmes ist es, Kinder dazu anzuregen, Respekt gegenüber Tieren, Menschen und der Umwelt zu entwickeln. Das ist nicht schwierig; Kinder sind neugierige Naturforscher, die schnell mit allen möglichen Lebewesen Bindungen eingehen. Kinder gehören außerdem zu den besten Beispielen für den starken Einfluss tierischer Emotionen und Empathie auf das Leben von Menschen. Mehr als 75% der Kinder in den Vereinigten Staaten leben mit Haustieren und es ist wahrscheinlicher, dass Kinder mit einem Haustier aufwachsen als mit beiden Elternteilen. Amerikanische Jungs werden wahrscheinlich eher für ein Haustier als für ältere Verwandte oder jüngere Geschwister sorgen. Eine große Mehrheit von Kindern bezeichnet ihre Haustiere als „Familie“ oder „besondere Freunde“ und „Vertraute“. Und mehr als 80% bezeichnen sich selbst als Mütter oder Väter ihrer Haustiere. Sollten sie auf einer einsamen Insel stranden, würden mehr als die Hälfte der Kinder die Gesellschaft ihrer Haustiere der ihrer Familienmitglieder vorziehen und Kinder sorgen sich auch um heimatlose Haustiere.
Eine Studie, an der 194 amerikanische Universitätsstudenten teilnahmen, zeigt, dass diejenigen, die als Kind mit Hunden oder Katzen gelebt hatten, selbstbewusster sind als diejenigen, die keine Haustiere hatten. Bei einer Studie, die in Kroatien durchgeführt wurde, erwiesen sich Kinder, die mit Hunden lebten, als empathischer und sozialer eingestellt als Kinder, die nicht mit Hunden lebten. Kinder mit einer größeren Zuneigung zu ihren Haustieren schätzten das Klima in ihrer Familie als wesentlich besser ein als Kinder, die weniger Zuneigung verspürten. Die Interaktion mit Haustieren hilft Kindern außerdem dabei zu lernen, dass Tiere andere Bedürfnisse haben als sie selbst und fördert die Entwicklung einer Verstandestheorie (ihre Haustiere haben ihren eigenen Glauben und ihre eigene Weltsicht).
Haustiere können soziale Katalysatoren sein und dabei helfen, autistische und sozial zurückgezogene Kinder zugänglich zu machen (eine Intensivierung pro-sozialer Verhaltensweisen). Der Begriff „Tiergestützte Therapie“ wurde vor mehr als vier Jahrzehnten von Boris Levinson geprägt und wird heute noch verwendet. Levinson, ein amerikanischer Kinderpsychologe, fand heraus, dass viele Kinder, die zurückgezogen oder unkommunikativ waren, aus sich herausgingen und positiv interagierten, wenn sein Hund Jingles die Therapiesitzungen begleitete.
Haustiere helfen auch Missbrauchsopfern, indem sie sie vorbehaltlose Liebe lehren, Pufferung und das Überwinden des Traumas erleichtern. In einer Studie werden Haustiere für sexuell missbrauchte Kinder als größere Unterstützung eingeschätzt als Menschen. Haustiere bieten Kindern Unterstützung, über eine Scheidung, die Erkrankung oder den Verlust eines Familienmitglieds oder engen Freundes hinwegzukommen. Der Wert von Tieren für uns Menschen kann nicht übertrieben dargestellt werden und es sind ihre Emotionen, die uns zu ihnen hinziehen. Und obwohl wir Tiere brauchen, wären doch viele Tiere ohne uns besser dran.
EIN PARADIGMENWECHSEL
Überdenken unserer Annahmen und Revidieren unserer Klischeevorstellungen
Fragen zu den Gefühlen von Tieren und warum sie von Bedeutung sind können einen ganz schönen Wirbel verursachen. Unsere Beziehung zu Tieren ist komplex und wie wir Tiere behandeln, verändert sich je nach Zusammenhang oft dramatisch. Viele Menschen können ihren Haustieren eine enorme Liebe und Hingabe entgegenbringen, doch gleichzeitig, mit wenig Achtsamkeit, Sorge oder Reue, andere Tiere in verschiedenen Situationen auf unglaubliche Weise missbrauchen. Dies gilt besonders für Wissenschaftler und die Tiere, die sie zu Hause und im Labor halten. Wenn Wissenschaftler (und andere) sagen, sie lieben Tiere und sie dann, direkt oder indirekt, vorsätzlich Schmerz und Leid aussetzen, lautet meine Antwort: Ich bin froh, dass sie nicht mich lieben! Zum Leidwesen der Tiere war und ist ihre Beziehung zu Menschen äußerst asymmetrisch. Menschliche Interessen stehen fast immer über denen der Tiere.
Vor einigen Jahren las ich die prestigeträchtige Zeitschrift Science und stieß auf diesen Satz: „Mehr als jede andere Spezies sind wir die Begünstigten und Opfer einer Fülle emotionaler Erfahrungen [26].“ Der Wissenschaftler, der dies schrieb, Professor R. J. Dolan, kann unmöglich wissen, ob dies der Wahrheit entspricht. Tatsächlich mögen andere Tiere noch lebhaftere Emotionen empfinden als wir, sowohl positive als auch negative. Diese Form der menschlichen Egozentrik ist es, die das Studium der Tieremotionen behindert, und sie ist zudem einer der wichtigsten Gründe dafür, dass Tiere auf so unterschiedliche Weise behandelt werden. Was macht uns so besonders? Warum glauben wir, dass wir solch tief empfindende Tiere sind und alle anderen Tiere nicht (oder weniger) zu Emotionen fähig sind? Beim Blick auf den heutigen Zustand der Welt finde ich es schwer zu akzeptieren, dass wir den Standard darstellen sollen, an dem andere Tiere gemessen werden.
Es ist meine Hoffnung, dass das Studium der Mensch-Tier-Interaktionen den nutzlosen Dualismen von „wir“ versus „denen“, von „Labor“ (wo Tiere oftmals verfügbare Objekte darstellen) versus „Zuhause“ (wo Tiere hoch geschätzte Freunde sind) und von „höheren“ versus „niederen“ Tieren ein Ende bereiten wird. Diese Dualismen sind nicht präzise und sie fördern ganz sicher nicht die Entwicklung und Erhaltung tiefer, respektvoller und symmetrischer Beziehungen zwischen Menschen und anderen Tieren.
Ich hoffe, einen Paradigmenwechsel in Bezug darauf zu fördern, wie wir über Tiere denken, wie wir tierische Emotionen und tierische Empfindungsfähigkeit untersuchen und was wir mit den Informationen, den „wissenschaftlichen“ und anderen, die uns bereits vorliegen, anfangen. Dieser Paradigmenwechsel beinhaltet das Revidieren unserer Klischeevorstellungen davon, wie das Gefühlsleben von Tieren verschiedener Arten „unserer Meinung nach“ zu sein hat. Statt anzunehmen, dass Fische weniger fühlen als Mäuse und Mäuse weniger fühlen als Schimpansen oder dass Ratten nicht so emotional sind wie Hunde oder Wölfe oder, ganz allgemein, dass Tiere weniger fühlen (und weniger wissen und weniger leiden) als Menschen, lassen Sie uns annehmen, dass zahlreiche Tiere vielfältige Emotionen haben und alle Formen von Leid empfinden , möglicherweise sogar in einem größeren Ausmaß als der Mensch.
Die vorliegenden Beweise belegen solch eine Hypothese. Bei der bereits früher erwähnten Konferenz in Rio erklärte der weltbekannte Wissenschaftler Ian Duncan, dass die von ihm, seinen Studenten und weiteren Wissenschaftlern initiierten Forschungen ergaben, dass Fische Schmerz und Angst fühlen. Sie sind außerdem listig, betrügerisch und pflegen kulturelle Traditionen. Außerdem, so Donald Broom, Professor an der Universität Cambridge in England, bestehe die Möglichkeit, dass Tiere mit komplexeren Gehirnen mit Schmerz effektiver umgehen können als Tiere mit weniger komplexen Gehirnen, da Erstere über vielfältigere Reaktionen und flexiblere Verhaltensweisen verfügen, um mit unangenehmen Situationen besser fertig zu werden. Brooms interessante Hypothese lautet, dass Fische möglicherweise nicht so effektiv mit Schmerz umgehen können wie Tiere mit komplexeren Gehirnen und aus diesem Grund mehr leiden. Bei der Bestimmung, was und wie viel ein Tier fühlt, ist es am besten, für alles aufgeschlossen zu bleiben.
Wie ich schon sagte: Wenn es um die manchmal unbewusste Doppelmoral geht, die Menschen in ihrer Behandlung von Tieren häufig aufweisen, dann ist für mich die Frage „Würden Sie das mit Ihrem Hund machen?“ eine großartige Möglichkeit zur Relativierung. Wenn man etwas nicht mit seinem Hund machen würde, weshalb sollte man es dann mit einem anderen Wesen tun?
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