Marc Bekoff
Das Gefühlsleben der Tiere
Ein führender Wissenschaftler untersucht Freude, Kummer und Empathie bei Tieren
Mit einem Vorwort von Jane Goodall
© 2008 Marc Bekoff/animal learn Verlag
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung, Verbreitung und Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
3. Auflage 2014
ISBN 978-3-936188-42-4
Übersetzung ins Deutsche: Elke Franz
Lektorat: Petra Schmidt, Susanne Artmann
Fotos: Cliff Grassmick, istockphoto, fotolia, pixelio
Satz & Layout: Annette Gevatter, Riegel a. K.
eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net
Alle Rechte der deutschen Übersetzung:
animal learn Verlag
Am Anger 36, 83233 Bernau
Email: animal.learn@t-online.de
www.animal-learn.de
INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT von Jane Goodall
EINFÜHRUNG
Das Geschenk der Gefühle von Tieren
DANKSAGUNG
KAPITEL 1
Argumente für die Gefühle der Tiere und
weshalb sie von Bedeutung sind
KAPITEL 2
Kognitive Ethologie: Das Studium des Verstandes
und der Herzen von Tieren
KAPITEL 3
Tierische Leidenschaften: Was Tiere fühlen
KAPITEL 4
Wilde Gerechtigkeit, Empathie und Fairplay: Tiere und Ehrgefühl
KAPITEL 5
Schwierige Fragen: Antworten für Skeptiker und das Ansprechen der Unsicherheit in der Wissenschaft
KAPITEL 6
Ethische Entscheidungen: Was wir mit unserem Wissen tun
QUELLENHINWEISE
LITERATURHINWEISE
ÜBER DEN AUTOR
Für Jasper, den Sprecher der Bären für Hoffnung und Freiheit, und Pablo, den Schimpansen CH-377
– zwei von viel zu vielen.
VORWORT
Es freut mich sehr, das Vorwort für dieses wichtige Buch schreiben zu dürfen, denn es befasst sich mit einem Thema – den Gefühlen von Tieren – das für das richtige Verständnis von Tieren und ihre Beziehung zu uns entscheidend ist. Schon während meiner Kindheit faszinierten mich alle Tiere – ich beobachtete sie, lernte von ihnen und liebte sie. Im Alter von zehn Jahren entwickelte ich eine ganz besondere Beziehung zu dem außerordentlich intelligenten Mischlingshund Rusty, der zu meinem ständigen Begleiter wurde. Er und drei aufeinander folgende Katzen, zwei Hängebauchschweine, ein Goldhamster, ein Kanarienvogel und zwei Schildkröten, mit denen wir unser Haus und unsere Herzen teilten, lehrten mich, dass Tiere, zumindest solche mit ziemlich komplexen Gehirnen, starke und unverwechselbare Persönlichkeiten sind und über einen Verstand verfügen, der sie zu einem gewissen rationalen Denken befähigt – und insbesondere dazu, Gefühle zu haben.
Später, im Jahr 1960, erhielt ich die außerordentliche Gelegenheit, die Schimpansen im Gombe National Park in Tansania zu beobachten. Ich hatte keine Ahnung von wissenschaftlichen Methoden und hielt einfach alles fest, was ich sah. Glücklicherweise war ich geduldig, denn während der ersten paar Monate flüchteten sie, wann immer sie dieses merkwürdigen weißen Affens ansichtig wurden, der so plötzlich in ihrer Mitte aufgetaucht war. Das erste Tier, das seine Angst vor mir verlor, nannte ich David Greybeard. Er war ein auffallend schöner, erwachsener Schimpansenmann mit großen, weit auseinander liegenden Augen. Ich fand schließlich heraus, dass er mit seiner freundlichen, aber entschlossenen Art eine echte Führungspersönlichkeit war. Davids ruhige Akzeptanz meiner Anwesenheit half anderen Mitgliedern seiner Gemeinschaft zu erkennen, dass ich letztlich doch keine so Furcht erregende Kreatur war. Dennoch wurden viele von ihnen aggressiv und unternahmen Einschüchterungsversuche, wie sie üblicherweise Leoparden oder großen Schlangen zu Teil werden. Doch schließlich entspannten sie sich, und nachdem ich Stück für Stück ihr Vertrauen gewonnen hatte, erlaubten sie mir, mich in ihrer Welt zu bewegen – immer nach ihren Regeln. Ich lernte die vielfältigen starken Persönlichkeiten kennen: Davids engen Gefährten Goliath, bei dem es sich, wie ich schließlich erkannte, um das Alpha-Männchen handelte; die hochrangige, bestimmte Flo und ihre große Familie; die schüchterne Olly und ihre alles andere als schüchterne Tochter Gilka; den reizbaren JB; Jomeo, den unabsichtlichen Clown – und all die anderen.
Nach einem Jahr ermöglichte es mir Louis Leakey, mich an der Universität von Cambridge auf meine Doktorarbeit in Ethologie vorzubereiten. Dort wurde ich dafür kritisiert, nicht nach wissenschaftlichen Methoden gearbeitet, den Schimpansen Namen statt Nummern zugeteilt und ihnen damit Persönlichkeit „verliehen“ zu haben – und dafür, zu behaupten, sie hätten Verstand und Gefühle. Dies, so wurde mir mit strengen Worten mitgeteilt, seien Attribute, die ausschließlich für das Tier Mensch reserviert seien. Ich wurde sogar dafür getadelt, einen männlichen Schimpansen mit „er“ und eine weibliche Schimpansin mit „sie“ zu bezeichnen: Wusste ich denn nicht, dass die korrekte Weise, mit der ein Tier zu bezeichnen war, „es“ lauten musste? Ein nichtmenschliches Tier , selbstverständlich. Und so wurden meine Beobachtungen größtenteils als die einer naiven jungen Frau ohne universitäre Bildung abgetan. Und doch war es gerade diese „fehlende Qualifikation“ in Verbindung mit meiner Leidenschaft, etwas über Tiere in freier Wildbahn zu erfahren, was meinen Mentor, den inzwischen verstorbenen Louis S. B. Leakey, für mich eingenommen hat. Er wünschte sich einen Beobachter, dessen Verstand unbeeinflusst war vom begrenzten Denken der Wissenschaft der frühen Sechziger Jahre. Tatsächlich vertraten Ethologen sowie zahlreiche Philosophen und Theologen den Standpunkt, Persönlichkeit, Verstand und Gefühle seien einzig menschliche Attribute und das Verhalten nichtmenschlicher Lebewesen sei lediglich auf umweltbedingte oder soziale Einflüsse zurückzuführen.
Das konnte ich jedoch nicht akzeptieren – es widersprach allem, was ich in den Jahren mit Rusty sowie während meiner Zeit mit den Schimpansen gelernt hatte. Glücklicherweise hatte ich in Professor Robert Hinde einen weisen Doktorvater. Er war selbst bekannt für seinen streng wissenschaftlichen Verstand und seine Intoleranz gegenüber verschwommenen Denkmodellen. Trotzdem hatte er allen Rhesusaffen, mit denen er gearbeitet hatte, Namen gegeben und schrieb über sie ohne Scham als „er“ und „sie“. Robert Hinde lehrte mich, meine Ideen, denen zwar gesunder Menschenverstand zugrunde lag, die ethologisch jedoch revolutionär anmuteten, in einer Weise auszudrücken, die mich vor allzu feindseliger wissenschaftlicher Kritik schützte. Ich konnte zum Beispiel nicht sagen „Fifi war glücklich“, da ich das nicht beweisen konnte. Stattdessen konnte ich sagen: „Fifi verhielt sich auf eine Weise, dass man, wäre sie menschlich, sagen würde, sie war glücklich.“
In den späten Sechziger Jahren gingen immer mehr Biologen ins Feld und begannen mit Langzeitstudien an allen möglichen tierischen Spezies: Affen, Menschenaffen, Elefanten, Wale, Delfine, Wölfe usw. Diese Studien machten deutlich, dass das Verhalten von Tieren wesentlich komplexer ist, als ursprünglich von der Wissenschaft der westlichen Welt zugegeben worden war. Es gab immer mehr zwingende Beweise dafür, dass wir nicht allein sind in unserem Universum, dass wir nicht die einzigen Kreaturen mit Verstand sind – fähig, Probleme zu lösen, Liebe und Hass ebenso zu verspüren wie Freude und Trauer, Angst und Verzweiflung. Sicher sind wir nicht die einzigen Tiere, die Schmerz und Leid empfinden. Mit anderen Worten: Es gibt keine klare Grenze zwischen dem Tier Mensch und dem Rest des tierischen Königreichs. Die Grenzen sind fließend und mit der Zeit werden sie immer fließender.
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