1 ...6 7 8 10 11 12 ...16 Am Fenster die Inhaberin, die mir milde zulächelt. »Weniger heiß hier«, sagt sie.
Ich nicke.
Sie nickt auch. Freundliche Frau. Vielleicht … Ich zögere. »Ob ich wohl mal Ihre Toilette benutzen darf?«
Sie lächelt. Fast schelmisch blitzen ihre Augen auf. »Verraten Sie’s aber nicht den Tagestouristen.«
»Versprochen.«
Ich umrunde das Häuserensemble wieder und betrete den Laden, der vollgestopft ist mit Krimskrams. Teures italienisches Markengeschirr, Einzelteile als Mitbringsel, daneben stylische Bergflaschen mit Aufdrucken im Südtiroler Slang ›Berggitsch‹, ›Gipfelstürmer‹, ›Kraxelmax‹ oder die ›Bergluft zum Mitnehmen‹ – getrocknete Zirbennadeln in kleine Glasfläschchen gefüllt. Sie nutzt die Lage ihres Geschäfts. Souvenirs für gehobene Ansprüche. »Danke!«, sage ich.
»Keine Ursache«, sagt sie. »Die Toilette ist unten.« Sie stapft die Wendeltreppe nach unten in das Kellergeschoß. Noch mehr Ausstellungsstücke, teures Porzellan, Kristallgläser, Silberbesteck. Ein leichter Zirbenduft liegt in der Luft. Keine Toilette. Keine Toilette? Ich schaue fragend zu ihr hinüber. Im selben Moment, in dem ich verstehe, dass ich die ganze Zeit über aufs falsche Pferd gesetzt habe, fliegt ein Messer an mir vorbei. Beinahe kann ich ein Sirren hören. Im letzten Augenblick tauche ich hinter eine versilberte Hirschskulptur. Hinter mir klatscht das Messer zu Boden, schlittert noch ein Stückchen über die Terrakottafliesen, bevor es zum Stillstand kommt. Ich schaue hin. Wüsthof. Gute Marke. Wenn es mich nicht täuscht, ein Filetiermesser. Interessante Wahl. Der Showdown hat also begonnen. Ich hatte zwar eher die Besitzerin des Souvenirladens im Verdacht, aber jetzt bin ich zumindest einen Schritt weiter. Vorsichtig luge ich über den Hirschrücken zu ihr, tauche gerade noch rechtzeitig ab, um einem zweiten Messer – einem Ausbeinmesser diesmal – zu entgehen. Mit einem Klirren fällt es hinter mir zu Boden. Ein sattes »Tock« lenkt meinen Blick an die Wand hinter mir, wo soeben ein Kochmesser sich zwischen einem Messingteller und einer Kuckucksuhr in die Wand gebohrt hat. Messer zwei kreist auf den Terrakottastufen um sich selbst. Mein Verdacht, dass meine Freunde nicht zufällig verschwunden sind, hat sich bestätigt, aber gleichzeitig bin ich zur Zielscheibe für eine glücklicherweise noch recht unerfahrene Messerwerferin geworden. Wieder zischt ein Messer an mir vorbei. Wie komme ich da wieder raus? Verhandeln? »Frau …?« Doch sie lässt mich nicht zu Wort kommen. »Du versaust mir nicht noch einen Tag länger mein Sommergeschäft, du Pennerin!« Mit erhobenem Arm geht sie auf mich zu. Ein Fleischerbeil drohend über ihrem Kopf.
»Frau …«, unternehme ich einen weiteren Versuch.
»Du und dein Gesindel und die grüne Tussi und der schmuddelige Zebra-Bettler! Alle lungert ihr vor meinem Geschäft herum, dass kein Mensch sich mehr hereintraut. Damit ist jetzt Schluss. Du hast die Wahl: entweder gleich hier sterben – oder für mich arbeiten!«
»Arbeiten«, schlage ich unsicher vor und überlege, ob es noch zu früh ist, hinter dem Hirsch aufzutauchen oder zumindest eine weiße Fahne zu schwenken.
In dem Spiegel mit dem protzig vergoldeten Holzrahmen sehe ich, wie ihr Mund ein paarmal auf- und zuklappt. Sie wird doch keine andere Antwort erwartet haben – wer will schon sterben? Da arbeitet man doch lieber. Ob der Willi was anderes gesagt hat?
»Arbeiten?«, wiederholt sie.
»‘türlich«, sage ich. »Arbeit macht frei. Oder so.«
Der Satz löst nichts aus bei ihr. Ich hätte nicht übel Lust, ihr eine Geschichtslektion zu verpassen, bremse mich aber noch rechtzeitig. Willi ist wichtiger.
Sie nickt zufrieden. »Komm hinter der Säule hervor. Da drüben. Die Tür. Öffne sie.«
Ich tue, was sie mich geheißen hat, und stehe jetzt in einem fensterlosen Kellerraum. Ein Schwall Zirbenduft empfängt mich. Beim Anblick der sechs Käfige, die an der Wand aufgereiht sind, erstarre ich für einen Moment. Darin sitzen mit stumpfsinnigen Mienen meine Freunde. Vor jedem von ihnen Körbe voller Glasfläschchen neben Haufen von Zirbennadeln. Ihre Hände führen mechanisch immer dieselbe Bewegung aus: Zirbennadeln ins Fläschchen, Fläschchen verkorken, Etikett ›Bergluft zum Mitnehmen‹ draufkleben und in der Schachtel mit der Aufschrift ›Fertig‹ ablegen. Ihr Blick geht ins Leere wie bei Zombies. Tot bei lebendigem Leib.
Eine Tür im hinteren Teil des Raums öffnet sich. Heraus schießt das Falkenweibchen. »Ah! Hast du die endlich auch so weit?«, krächzt sie.
Die Ladeninhaberin nickt. »Da drüben«, sagt sie. Weist mit dem Kinn auf eine leere Zelle. »Für dich.«
Ich gehe auf den Käfig zu, versuche, die Aufmerksamkeit meiner Freunde auf mich zu lenken, aber die heben nicht einmal den Blick. Entweder sie sind vom Zirbenduft so benebelt oder … Mein Blick fällt auf ein Fläschchen Psychopax, das auf dem Tisch in der Mitte steht. Daneben ein Wasserkrug. Auf den Arbeitstischen meiner Freunde das dazu passende Wasserglas nebst einem Stückchen Schüttelbrot. Sollte sich der Willi in den Tagen, seit ich ihn nicht mehr gesehen habe, nur von Beruhigungsmittel und Schüttelbrot ernährt haben?
Meine Gedanken arbeiten fieberhaft. Vor mir lauert das Falkenweibchen, bereit, das Vorhängeschloss zu meiner Zelle zuschnappen zu lassen, hinter mir die Inhaberin des Haushaltswarengeschäfts, das Fleischerbeil wurfbereit. Da habe ich einen Geistesblitz.
» Money makes the world go around, the world go around … «, intoniere ich Liza Minellis Song aus CABARET, recke die Arme hoch und tanze hüftenschwingend zu dem vielstimmigen Orchester in meinem Kopf auf die Kauffrau zu, nutze die Schockstarre, in die sie verfällt, um ihr das Messer zu entreißen, und setze es ihr an die Kehle.
»Es reicht jetzt mit der Bergluft«, sage ich. »Lass sie frei.«
Ein gellender Schrei kommt aus dem Mund des Falkenweibchens. Mit vorgerecktem Kopf schießt sie auf uns zu. Wie zufällig zeichnet das Messer einen feinen roten Strich auf den Hals der Ladeninhaberin. Sie schluckt.
»Tilda«, sagt sie – ihre Stimme klingt, als hätte sie ihre Stimmbänder mit der Parmesanreibe geraspelt. »Tilda. Nein.«
»So ist’s fein«, flüstere ich liebevoll in ihr Ohr. »Schick sie raus.«
Die Kauffrau nickt ihrer Kollegin zu. »Tilda?«
Der Kopf des Falkenweibchens ruckt noch ein paarmal empört vor und zurück, dann räumt sie das Feld. Zieht sich zurück durch die Tür, aus der sie gekommen ist, und leise schnappt das Schloss zu. Übrig bleibt das Klackern der Glasfläschchen, die befüllt und verkorkt in der Schachtel mit der Aufschrift ›Fertig‹ landen. Der schwere Atem der Ladenbesitzerin.
»Lass sie frei«, sage ich. Nehme die Klinge vom Hals der Kauffrau, setze sie ihr zwischen die Schulterblätter. Wie in Trance geht sie auf die Verschläge zu, öffnet die Vorhängeschlösser davor mit dem kleinen Schlüssel, den sie an einer Kette um den Hals trägt. Willi ist der Letzte, den sie befreit. Die Finger meiner Freunde befüllen weiterhin Glasfläschchen mit Zirbennadeln, verkorken sie und lassen sie klackernd in die Schachtel fallen.
»Es reicht«, wiederhole ich. Keine Reaktion. Ich packe Willi am Handgelenk, ziehe ihn hoch und aus dem Verschlag. Er bleibt wie bestellt und nicht abgeholt mitten im Raum stehen. Da versetze ich der Ladeninhaberin einen Stoß, reiße ihr den Schlüssel vom Hals und verriegle die Käfigtür.
Willis Hände greifen wie ferngesteuert nach den leeren Fläschchen, die auf dem großen Tisch in der Mitte liegen. Nachschub.
»Es reicht, Willi«, sage ich. »Es reicht mit der Bergluft.« Ich schiebe meinen Arm unter seinem durch und stütze ihn. Raus aus dem düsteren Lager, über die Überreste der Messerwerferei, vorbei am Ausstellungstisch. Im Vorübergehen reißen wir die Tischdecke mit. Das teure Geschirr mit Goldrand fällt klirrend und scheppernd zu Boden und erst das Geräusch scheint die Watte um Willis Sinne zu durchdringen. Sein Blick kriegt ein Ziel, er sieht sich um. Erkennt mich. Ein Lächeln überzieht sein Gesicht. »Dreckskathi«, sagt er nur und dann noch einmal: »Dreckskathi«.
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