1 ...7 8 9 11 12 13 ...16 Dann steigen wir die Treppen nach oben, verlassen den Laden und steuern auf unsere Bank zu. Die von einem Touristenpärchen in Socken und Birkenstock besetzt ist. Ich weiß nicht, ob es mein grimmiger Gesichtsausdruck ist oder Willis Gestank, der sie schleunigst das Weite suchen lässt. Jedenfalls sind sie fort, bevor wir die Bank ganz erreicht haben.
»Du stinkst, Willi«, sage ich liebevoll.
»Dreckskathi«, sagt er. Es wird wohl noch ein Weilchen dauern, bis sich der Nebel in seinem Hirn verzogen hat. Ich ziehe mein Telefon heraus und wähle den Notruf.
Zusammen mit dem Willi sehe ich zu, wie die Carabinieri den Laden stürmen. Wie die Gosch-Tina und der Präsident auf die Straße taumeln. Auf uns zu. Sich neben uns auf der Bank niederlassen. Und da bleiben wir dann auch sitzen. Wir, das schlechte Gewissen der Stadt.
 |
GRIECHENLAND |
Ingrid Werner Die grüne Göttin
Apoll, in den letzten 2000 Jahren leicht gealtert, sitzt auf einem Stein und singt. Mit den zotteligen Locken und dem gebräunten, ehemals muskulösen, jetzt nur noch nackten Oberkörper könnte man ihn für einen übrig gebliebenen Hippie halten. Um ihn herum die frühsommerstrotzende Macchia, aus der Ginsterbüsche wie knallgelbe Ausrufezeichen hervorleuchten. Bienen umsummen den blühenden Salbei, weiße Schmetterlinge spielen Fangen und eine Ziegenherde zieht meckernd vorüber. Von seiner Position aus kann Apoll den Blick hinunter auf die Bucht von Gerakas genießen. Das Meer liegt satt und träge in der Sonne.
Er schlägt seine Lyra an. »Zakynthos, Du Sohn des Dardanos, Prinz von Troja …«
»Apoll, ich bitte dich, Bruder, halte ein!« Artemis, auch ihre langen Haare inzwischen ergraut, lässt sich vom Pferd gleiten. Der Köcher mit den Pfeilen und der silberne Bogen landen unsanft im Oreganobusch.
»Schwester, was hast du für eine schlechte Laune?«
»Ach.« Sie schenkt ihm einen tiefen Seufzer. »Mir ist sterbenslangweilig.«
Apoll verdreht die Augen. Diese Leier kennt er zur Genüge. »Das mit dem Sterben funktioniert aber nicht, meine Gute.« Er entlockt dem Instrument ein paar Töne. »Lass uns stattdessen singen! Zakynthos, Du …«
»Bloß nicht!« Sie hält sich die Ohren zu. »Gehen wir hinunter. Wir waren schon lange nicht mehr bei Nikos. Lass uns schauen, was die Menschen so treiben.«
»Von mir aus.« Behutsam legt er die Lyra beiseite und sieht sich nach einem Hemd um.
»Beeil dich doch!«
» Sigá, sigá , meine Gute, langsam, langsam. Ich komm ja schon.«
Die göttlichen Zwillinge entschweben, um sich im nächsten Augenblick in der Taverne Nikos am blaugestrichenen Holztisch wiederzufinden. Die Bougainvillea über ihnen nickt im leichten Wind und gleich hinter der niedrigen Steinmauer glitzert das Meer, glatt wie Olivenöl. Vom Strand weht der Geruch von Sonnencreme zu ihnen herüber.
An den Nebentischen ist einiges los. Die einen beenden gerade ihr Frühstück, die anderen bestellen schon den griechischen Salat und ein Glas Weißwein zum Mittagessen. Theodoros, der Kellner, läuft mit einem voll beladenen Tablett auf der Schulter an ihnen vorüber.
Apoll hebt die Hand. »Einen Frappé mit Milch, ohne Zucker, und für mich einen Elenikó, halbsüß, parakaló.«
Prompt steht das Gewünschte vor ihnen. Theodoros kann nicht aus seiner Haut. Schnelligkeit war schon immer sein Ding und Götter bedient er am liebsten. Im letzten Jahrhundert änderte er seinen Namen. Er war es leid, immer über die dummen Witze der Touristen zu lachen. Was sind schon internationale Paketdienste im Vergleich zu seinen Fähigkeiten?
Abends wird hier noch mehr los sein und die Klientel wechseln. Das Nikos ist im ganzen Ionischen Meer für seine Fischspezialitäten bekannt. Die Genießer kommen in Scharen. Per Jeep oder auch per Yacht.
Gerade legt wieder eines dieser weißen Schiffchen am Steg vor der Taverne an. Die Bootsbesatzung, in blau-weiß geringelten T-Shirts, springt an Land, um die Taue festzumachen. Auch wenn die Yacht noch so viel Reichtum ausstrahlt, interessiert das höchstens die Touristen, die Einheimischen haben sich längst daran gewöhnt.
Mit dem Strohhalm sticht Artemis im hohen Kaffeeglas zwischen den Eiswürfeln hindurch, es klackert vergnügt. Ihre Augen saugen jede Bewegung der Menschen auf, ihre Ohren sind gespitzt. Stimmengewirr und Sprachgebabel sind für sie kein Problem. Sie liebt es, auszukundschaften, was die Sterblichen umtreibt. Liebesgeflüster, Eifersuchtsdramen, Bruderzwist, das alles erinnert sie an zu Hause und lässt sie sentimental werden. Wie lange war sie schon nicht mehr im Olymp!
Apoll hat sich zurückgelehnt und summt ein Lied. Plötzlich stößt Artemis ihm den Ellbogen in die Seite. Er schrickt auf. »Was?«
»Scht …. leise«, raunt sie ihm zu. »Schau jetzt nicht hin, aber da hinten vor der Küchentür steht so ein Ringel-Seemann und ordert bei Nikos selbst das Abendessen für seine Herrschaft.«
Apoll entspannt sich und senkt die Lider. »Das ist ja nichts Neues.«
Sie brummt. »Wenn es sich dabei aber um eine Fischsuppe aus Caretta Caretta handelt, schon.« Ihre grünen Augen funkeln erbost. »Selbst die Menschen sind inzwischen zu der Einsicht gekommen, dass die Wasserschildkröten geschützt werden müssen. Die sind nicht zum Essen da!«
Nun ist Apoll doch wach. Behutsam dreht er seinen Kopf nach hinten, um einen Blick auf die Szene zu werfen. Da piekt sie ihn mit dem Strohhalm in die Brust, er fährt herum. »Au!«
»Du sollst dich nicht umdrehen, hab ich gesagt!« Ihre Stimme ist rau vor Wut. »Wenn ich doch nur meinen Bogen dabeihätte, dann würd ich den Mann erledigen, auf der Stelle.«
Apoll schüttelt den Kopf. »Du weißt doch, dass wir keine Macht mehr über die Menschen haben. Die Funk- und Handystrahlen haben unseren Kräften den Garaus gemacht. Nur das bisschen Metamorphose und Teleportieren ist uns noch geblieben. Dein giftgetränkter Pfeil könnte ihre Haut noch nicht einmal einritzen. Vergiss es.« Er macht eine wegwerfende Handbewegung. »Sie sind selber schuld, wenn sie alles ausrotten. Auch sich selbst. Am Schluss werden nur noch wir übrig bleiben. Dann wird es sein wie zu Anbeginn der Zeit.« Verträumt schaut er aufs Meer.
Artemis hat ihm nicht richtig zugehört. Das macht sie nie, wenn er etwas erzählt, was nicht in ihrem Sinne ist. Sie beobachtet intensiv das Geschehen vor der Küchentür. Nach einer kurzen Diskussion nickt der Gastwirt und putzt sich seine Hände am weißen Geschirrtuch ab. Der Matrose schlägt ihm auf die Schulter und wendet sich mit einem Grinsen zum Gehen. Einem schmierigen, wie Artemis findet. Ihre Nase ist spitz vor lauter Ärger.
»Ich werde mit Poseidon sprechen«, sagt sie mehr zu sich selbst als zu ihrem Bruder. »Er soll sich darum kümmern, die Schildkröte ist schließlich eins seiner Geschöpfe.«
»Was soll er denn dagegen ausrichten?«
Artemis blubbert mit dem Halm Luft in den Rest ihres Frappés und spricht durch die kaum geöffneten Zahnreihen. »Die brodelnde Lava eines Vulkans unter Wasser überschüttet das Schiff und zieht es in die Tiefen, hinab zu den Seeungeheuern, die damit ihren Schabernack treiben.« Sie richtet sich auf und gestikuliert mit den Händen. »Ein Wasserbeben türmt Wellen zu haushohen Wogen und begräbt die Schänder der Natur unter sich. Das …«
»Poseidon hat dafür keine Zeit«, unterbricht sie ihr Bruder. »Hast du das vergessen? Er muss sich um die Türken kümmern.«
»Stimmt.« Sie schlägt mit der Hand auf den Tisch. »Dann mach ich das. Sag du dem Wirt, dass sich die Bestellung von diesem Seemann erledigt hat. Adio .« Sie schnappt sich ihre lederne Umhängetasche und eilt dem Matrosen hinterher. Im Lauf wandeln sich ihre grauen Haare zu einem schimmernden Rot und die Falten in ihrem Gesicht verschwinden. Ihre Figur muss sie nicht verjüngen, die Jagd trainiert den Körper in ausreichendem Maße, nur die Oberweite plustert sie ein wenig auf. Die langen Hosenbeine verkürzen sich zu knappen Shorts und aus den Reitstiefeln werden Flip-Flops.
Читать дальше