»Du machst mich krank, Ephialtes, und ich verfluche mein Leben, weil ich es dir zu verdanken habe. Denn wenn dem nicht so wäre, dann, so sei dir gewiss, würde ich dich hier und jetzt mit bloßen Händen töten.« Wie zur Bestätigung ging er einen halben Schritt auf den zusammengesunkenen Zwerg zu, bevor er wutentbrannt weiter zischte. »Sage mir eins, wenn ich dir deinen schändlichen Verrat an mir, meinem Vater und meinem Volk vergeben würde, wie lange würde deine Treue zu uns wohl halten? Wie lange würde es dauern, bis du die neu gemischten Karten wieder tauschen und dich dem nächstbesten Kriegsherren an den Hals werfen würdest?
Loës’ Streitkräfte haben die Schlacht um Urgolind übrigens gewonnen, aber das weißt du ja.« Ohne Vorankündigung löste Nubrax seinen linken Arm von Paros Hüfte und deutete fuchtelnd in die Richtung, aus der sie gekommen waren.
Beinahe wäre der desorientierte Zwerg aus dem Gleichgewicht geraten und zu Boden gestürzt. Erst im letzten Moment gelang es ihm, sich unter größter Mühe am Überwurf seines Gefährten festzukrallen. Der hatte sich mittlerweile jedoch – ungeachtet der Tatsache, dass seine Stimme keinen viertel Steinwurf weit zu hören war – soweit in Rage geredet, dass für ihn sogar das Schicksal seines besten Freundes kurzfristig in den Hintergrund getreten war.
»Wieso versuchst du es nicht einmal bei den Alben? Ich bin sicher, Loës kann einen einsichtigen und treuen Untergebenen wie dich gut gebrauchen. Indirekt hast du ja ohnehin schon in seinen Diensten gestanden, es würde sich also nicht viel für dich ändern.«
Nubrax’ Gesicht hatte unter seinem Bart, in dem sich während ihrer Flucht Unmengen an Kleinstgestrüpp verfangen hatte, ein tiefpurpurnes Rot angenommen. Die Ader auf seiner Stirn war indes vor Erregung soweit angeschwollen, dass sie jeden Augenblick zu platzen drohte. Allerdings war das pochende Blutgefäß nicht das Einzige, was sich geweitet zu haben schien, denn die Schwellung seines Kehlkopfes war nun, bedingt durch seinen Wutausbruch, schlimmer denn je.
Mehr als einen pfeifenden Ton, den vermutlich nur Paro hören konnte, brachte er nicht mehr heraus. Das Atmen fiel ihm zunehmend schwerer und zum ersten Mal, seit er nach Saparins Angriff erwacht war, schmeckte er wieder Blut in seinem Mund. Erst eine leichte Berührung seines Weggefährten ließ ihn wieder zur Räson kommen, doch selbst dann bedurfte es noch einiger Augenblicke, bis ihm klar wurde, dass dieser ihm etwas zu sagen hatte.
»Sei ... nicht zu streng mit ihm ... Nubrax. Das habe ich dich nicht gelehrt ... Nur wenn wir anderen mit der Bereitschaft zur Verzeihung gegenübertreten ... können wir diese Welt zu einem besseren Ort machen. Jeder hat noch eine zweite Chance verdient.«
»Noch vor Stunden hätte er uns getötet, wenn sich ihm die Möglichkeit dazu geboten hätte. Wer sagt uns, dass er sich nicht bei der nächstbesten Gelegenheit wieder Barmbas oder Loës zuwenden wird?« versuchte Nubrax zu sagen. Doch die Anstrengung, seinen besten Freund durchs Dickicht zu ziehen und die Tatsache, dass sein angeschwollener Kehlkopf ihm die Luft nun beinahe zur Gänze abschnürte, ließen ihn größtenteils nur trocken würgen.
Paros Gesichtszüge waren schmerzverzerrt, während er versuchte, sich, entgegen des Haltegriffes seines Gefährten, langsam und unbeholfen auf einen umgestürzten Baumstamm herabzulassen. Es war ihm unmöglich, auch nur noch einen weiteren Schritt zu tun. Die Qualen, welche seine Wunde ihm bereitete, waren inzwischen so schlimm, dass er sich den Tod fast schon wehmütig herbeisehnte. Wimmernd presste der Zwerg die Lider zusammen, während er mit seiner Rechten den Unterarm kurz über dem Stumpf immer stärker umkrallte. Fast sah es so aus, als wolle er sich das schmerzende Gliedmaß herausreißen, um die Pein zu lindern.
Ephialtes kauerte in der Zwischenzeit noch immer in halb sitzender, halb kniender Position zwischen den Wurzeln der alten Gelbborke, kaum einen halben Steinwurf von ihnen entfernt. Obwohl er den im Flüsterton gehaltenen Gesprächsinhalt der beiden nicht verstanden hatte, machte er sich in einem letzten Anflug von verzweifeltem Erklärungseifer daran, für seine schändlichen Dienste Rechenschaft abzulegen.
»Ja, es ist wahr. Genau wie Ihr es mir vorgeworfen habt, habe ich unter der Führung von Barmbas dem Albengott Loës gedient, auch wenn ich selbst nicht unmittelbar an der Schlacht beteiligt gewesen bin.« Halt suchend stützte er sich an dem Baum ab und versuchte wieder auf die Beine zu kommen.
»Doch wie Ihr gerade eben selbst gesagt habt, Hoheit: Alle Zwergenkrieger Mittelbergs sind gegen die Elfen gezogen. Ich will mein Verhalten damit nicht rechtfertigen, doch bedenkt, wie Ihr an meiner Stelle gehandelt hättet. Majestät, wenn all Eure Freunde und Kameraden in den Krieg gezogen wären, wärt Ihr untätig zurückgeblieben und hättet die Strafe der Befehlsverweigerung hingenommen, anstatt für Euer Reich zu kämpfen? Zumindest war es das, was Barmbas uns vorgegaukelt hat.«
Was den Stimmen von Nubrax und Paro an Kraft gefehlt hatte, schien Ephialtes mit der Seinen doppelt wieder wettmachen zu wollen. Nicht zuletzt, um die Unsicherheit in seinen Worten zu übertünchen. Mit aller Deutlichkeit ließ er seine Worte durch den Wald erklingen, um sichergehen zu können, dass sein Gebieter, der nun nicht mehr ihn, sondern Paro ansah, auch jede einzelne Silbe gut verstand.
»Inzwischen habe ich jedoch erkannt, dass Barmbas einzig seiner Machtgier frönen wollte. Er hat sich zum obersten Heerführer ausrufen lassen und verkündet, dass die Elfen unsere Reichsgrenzen nicht mehr achten würden und dass sie grundlos unschuldige Minenarbeiter überfallen hätten. Ich schäme mich dafür, dass ich seinerzeit nichts gegen diese – wie mir jetzt endlich klar geworden ist – haltlosen Anschuldigungen unternommen habe. Doch selbst wenn ich mich ihm in den Weg gestellt hätte, was wäre das schon für ein Unterschied gewesen? Ihr wisst selbst am besten, was mit jenen geschieht, die sich Barmbas widersetzen. Viel zu viele sind auf seinen Geheiß schon verbannt oder hingerichtet worden.
Ich weiß, dass das keine Rechtfertigung für mein Handeln ist. Aber ich möchte versuchen, wenigstens einen Teil meiner Schuld abzutragen, indem ich mich euch beiden anschließe und dazu beitrage, dass Ihr dereinst Euren rechtmäßigen Platz auf dem Throne Mittelbergs einnehmt und den Mörder Eures Vaters seiner gerechten ...«
Doch weiter kam Ephialtes nicht. Verdutzt unterbrach er sich selbst, als ein splitterndes Knacken zu seiner Linken ertönte. Mit Müh und Not, vor allem jedoch durch den Ansporn, dass Nubrax und Paro ihn noch nicht gänzlich hinter sich gelassen hatten, war es dem einstigen Leibwächter bereits gelungen, einige Schritte weit auf die beiden zuzuhumpeln. Doch kaum, dass der kräftige Zwerg neue Hoffnung gefasst hatte, sah er sich plötzlich einer Gefahr gegenüber, mit der er schon gar nicht mehr gerechnet hatte.
Einige kurz aufeinanderfolgende und stetig lauter werdende Geräusche, die sich wie das Bersten kleiner Zweige anhörten, ließen ihn und seine Begleiter im ersten Augenblick noch ein größeres Tier vermuten. Doch schon kurze Zeit später schälte sich ein Schatten zwischen den dreieckigen Blättern eines Buschwerkes hervor.
Wären die Lungen von Nubrax noch in der Lage gewesen, gleichmäßig die feucht-modrige Luft des Waldes einzusaugen, so hätte ihm allerspätestens jetzt der Atem gestockt. Vor Überraschung gab er ein gleichermaßen keuchendes, wie auch pfeifendes Geräusch von sich, bei dem noch ein wenig mehr Blut seinen schmerzenden Hals emporstieg.
Durch ein kreisrundes Spinnennetz, welches zwischen zwei tief hängenden Astgabeln gewoben war und an dem noch einige Tropfen Morgentau hingen, funkelten ihm zwei nachtschwarze Augen bedrohlich entgegen. Instinktiv wanderte seine Rechte zum Gürtel, wo für gewöhnlich die Axt hing. Doch satt der Waffe bekamen seine Finger nur leere Luft zu fassen.
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