Der Satz dämpfte Franziskas Freude, doch darüber nachdenken wollte sie jetzt nicht. Ob der Vati mal die Mutti belogen hatte? Ach, es war jetzt nicht wichtig.
Im Kino lief der Film »Der grüne Bogenschütze«. Bei den spannenden Szenen kuschelte sich Franzi eng an Heiner und sie ließ es zu, dass er sie auf die Wange küsste. Und sie dachte, es war so gut, dass der Vati ihr den Kinobesuch erlaubt hatte. Wie schade wäre es gewesen, hätte Heiner vergeblich auf sie gewartet.
»Ich bringe dich noch nach Hause«, sagte Heiner nach dem Ende des Films zu Franzi. Der Weg vom Kino bis zum Haus der Eltern war nur kurz, doch Franzi widersprach ihm nicht.
»Machs gut dann!«, verabschiedete sich Franzi von Heiner an der Haustür. Franzi schloss die Tür und stieß im Flur mit den Eltern zusammen.
»Ich bin pünktlich«, verkündete sie.
»Und wer war das?« wollte die Mutter wissen.
»Das war Heiner, mein Freund.« Jetzt war es raus! Die Eltern sahen sich an. Nun war es endgültig vorbei mit dem kleinen Mädchen. Ihre Franzi wurde zur jungen Frau, sie mussten es akzeptieren.
Der Frühling hatte begonnen. Und wieder einmal stand ein Klassenausflug auf dem Plan. Franzi hatte sich schon lange vorher Gedanken gemacht, was sie dazu anziehen konnte. Die Gedanken an den Unfall im letzten Jahr hatte sie verdrängt.
»Du hast doch deinen Übergangsmantel«, machte die Mutter einen Vorschlag.
»Aber Mutti, wer zieht denn noch so was an?« Franzi zog eine Grimasse.
»Dann musst du eben die Strickjacke nehmen.« Viele Alternativen gab es nicht.
Doch Franzi hatte längst eine andere Idee.
Am Nachmittag lief sie rüber zu ihrer Oma Klara. Die hatte eine Nähmaschine. Das gute Stück hatte sogar schon einen Elektromotor. Der Mann von Oma Klara war Mechaniker gewesen und hatte den Motor bereits vor vielen Jahren angebaut. Franzi hatte den Opa nicht mehr kennen gelernt, weil er schon vor ihrer Geburt gestorben war. Seit dem lebte die Oma alleine, aber sie hatte ja Franzis Familie in der Nähe. Und Franzi war froh darüber, die Oma in der Nähe zu haben.
»Oma, darf ich mal die Nähmaschine benutzen?« bat Franziska ihre Oma.
»Aber Kind, kannst du überhaupt damit umgehen?« fragte die Oma verwundert.
»Ja, die Frau Zöllner, unsere Handarbeitslehrerin aus der Grundschule, hat es mir gezeigt. Sie hat gesagt, ich bin talentiert. Und ich habe das auch ganz rasch verstanden. Darf ich, Oma? Bitte!«, bettelte Franzi weiter.
»Was willst du denn nähen?«, wollte die Oma nun wissen.
»Ich möchte aus diesem hässlichen Mantel eine moderne Windjacke nähen!« Franziska legte den Mantel auf den Tisch.
»Hier schneide ich das ab und den Gürtel nähe ich als Bund wieder an.«
»Ach du lieber Himmel«, stöhnte die Oma. »Deine Mutter trifft der Schlag, wenn sie das sieht. Und den Ärger haben wir alle beide!«
»Aber Oma, ich kann nicht mehr mit diesem Ding rumlaufen! Du musst mir helfen, bitte!«
»Na gut, du lässt ja doch nicht locker.« Schweren Herzens erklärte sich die Oma bereit, Franzi an die Maschine zu lassen und ihre Pläne in die Tat umzusetzen.
Am nächsten Tag war es vollbracht. Stolz drehte sich Franzi vor dem großen Spiegel im Schlafzimmer. So konnte sie sich sehen lassen!
»Franziska, was ist das? Was hast du da an?« Die Mutter war ins Zimmer gekommen und sah ihre Tochter entgeistert an.
»Ist das nicht gut geworden?« Franzi wartete keine Antwort ab. »Das war mal mein Mantel.«
»Ja, das sehe ich. Aber wer hat den abgeschnitten?«
»Na ich!« Franzi strahlte.
In dem Moment kam der Vater hinzu.
»Sieh dir das an, das Kind hat den guten Mantel abgeschnitten!« Die Mutter teilte die Begeisterung ihrer Tochter in keiner Weise.
»Zeig mal her! Das sieht aber doch richtig gut aus. Und modern ist es auch.« Der Vater versuchte zwischen Mutter und Tochter zu vermitteln.
Gudrun sah ihren Mann an. »Du musst ihr wieder mal alles durchgehen lassen!«
Franziska bewegte sich langsam auf die Tür zu. Wenn das jetzt ein Streit zwischen den Eltern werden würde, wollte sie lieber nicht dabei sein.
Das Letzte, was sie noch hörte, war der Vater:
»Wahrscheinlich ist Talent doch erblich.«
Franzi überlegte. Wen meinte der Vati? Von wem kam ihr Talent? Von der Oma? Bestimmt!
5
Die letzten Wochen in der 8. Klasse gingen vorüber. Ehe Franzi es sich versah, war der Sommer da und die Zeugnisausgabe. Es war einerseits nichts Besonderes, aber andererseits eben doch das Ende eines Abschnittes in ihrem Leben und der Beginn von etwas ganz Neuem. Im September würde sie gemeinsam mit Susanne zur Oberschule gehen, um dann in vier Jahren das Abitur abzulegen. Da erfüllte sie schon ein gewisser Stolz.
Aber erst einmal waren Ferien. Und zum allerersten Mal wollte sie in den Ferien arbeiten gehen und ihr eigenes Geld verdienen. Der Vater hatte sie als Urlaubsvertretung für die Telefonistin in seiner Baufirma angemeldet. An jedem Morgen fuhr Franzi nun mit ihm im Dienstwagen in die 20 Kilometer entfernte Stadt und am Nachmittag wieder mit zurück. Die Arbeit bereitete ihr keine Schwierigkeiten. Fast schon routiniert leitete sie ankommende Gespräche weiter, vermittelte Verbindungen zum Fernamt und gab Auskunft, wenn Besucher kamen. Es machte ihr Spaß und die Kollegen waren nett zu ihr. Das Einzige, was ihr regelmäßig Schauer über den Rücken jagte, waren die schweren Baufahrzeuge, die vor dem Fenster vorbei und auf den Hof fuhren. Sie war schon fasziniert von der Technik, doch immer wieder waren dann die Bilder in ihrem Kopf, als der Unfall mit dem Bus geschah. So ein Bagger konnte genau so gefährlich sein, und ein LKW auch. Doch sie wollte nicht als Memme gelten und redete mit keinem über ihre Ängste.
Nach zwei Wochen nahm sie stolz ihren ersten Lohn in Empfang.
»Na dann, kauf dir was Schönes. Oder was möchtest du damit machen?«, fragte sie die nette Kollegin in der Buchhaltung.
»Ich weiß noch nicht genau«, dachte Franzi nach.
»Vielleicht spare ich was. Aber erst mal lade ich meinen kleinen Bruder jeden Tag zum Baden und zum Eis essen ein.« Das Wetter war hochsommerlich warm und wie dafür gemacht.
Ein paar Tage später kamen die Geschwister am frühen Abend aus dem Schwimmbad zurück. An der Zufahrt zu ihrer Straße stand ein ungewöhnliches Auto.
»Das ist ein Franzose«, vermutete Franziska mit Blick auf das ausländische Kennzeichen.
»Ja, das ist ein Citroen«, verkündete Alexander, der inzwischen um das aparte Gefährt drum herum geschlichen war. Hier, wo nur Trabant und Wartburg das Straßenbild beherrschten und schon ein Skoda aus der Reihe fiel, war dieser große französische Wagen eine Sensation.
»Franziska, Alexander!« In dem Haus, vor dem sie gerade standen, hatte sich unbemerkt ein Fenster geöffnet. »Lauft rasch heim, ihr habt Besuch, aus Frankreich, das ist das Auto!«
Die Geschwister sahen sich an. Was hatten sie mit Frankreich zu tun? Wer kam sie besuchen? Nun rannten sie die letzten Meter und stürzten außer Atem in den Korridor. Doch niemand war da. Plötzlich hörten sie fremde Stimmen, drüben bei der Oma, und lautes Lachen. Sie warfen ihre Badesachen in die nächste Ecke und stürmten zur Oma in die Stube.
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