Isolde Kurz
Florentiner Novellen
Saga
Ganz Florenz war in Bewegung, als an einem lachenden Apriltag des Jahres 1482 Graf Eberhard von Württemberg, genannt der Bärtige, mit einer stattlichen Zahl von Räten, Edlen und Knechten seinen Einzug hielt.
Zwar war es den Florentinern nicht ungewohnt, fremde Gäste in ihren Mauern zu beherbergen, wurde ja der glänzende Hofhalt des Mediceers fast nie von Besuchern leer, und dieser Reiterzug erregte die Aufmerksamkeit des schaulustigen Völkchens nur deshalb so stark, weil man wußte, daß er weit von jenseits der Alpen aus einem kalten, finstern Barbarenland komme, dessen Lage und Beschaffenheit sich tief im Nebel der geographischen Begriffe verlor. Die Menge stand viele Reihen tief in den geschmückten Straßen, durch welche die Reiter kommen mußten, denn es war denselben ein mächtiger Ruf vorangegangen, daß sie Zyklopen von ungeheuerlichem Ansehen seien, mit langen, feuerroten Haaren und lodernden Augen, deren Blick man nicht ertragen könne. Von dem Führer aber ging die Rede, er habe einen Bart, der zu beiden Seiten über den Bug des Pferdes niederwalle und das Tier wie mit einem Mantel verhülle.
Jetzt erschien der Zug in einer engen, von hohen Palästen gebildeten Gasse, die sich in halber Länge zu einer dreieckigen Piazzetta erweiterte.
Vorüber zogen die wallenden städtischen Gonfalonen, die Bläser mit ihren langen silbernen Trompeten, woran unter weißem Federbüschel das Wappen der Republik schwankte, und die lustigen Pfeifer mit der roten Lilie auf der Brust – doch als nun an der Spitze der Reiter die kleine, hagere Gestalt des Grafen Eberhard in Sicht kam, dessen Bartwuchs zwar von stattlicher, doch nicht von unerhörter Länge war, da malte sich Enttäuschung auf den meisten Gesichtern.
»Das ist der Anführer der Barbaren – er ist ja kleiner als der Magnifico! – Und wie einfach er sich trägt!« hieß es im Volke, denn der erlauchte Lorenzo war mit den Herren vom Magistrat und vielen Edlen, alle reich in damaszierten Samt gekleidet und mit den Insignien ihrer Würde geschmückt, dem fürstlichen Gaste vor das Stadttor entgegengeritten und führte ihn jetzt auf einem großen Umweg nach seiner Wohnung.
Nun drängten sich die weiter hinten Stehenden auch vor. – »Und nach Rom ziehen sie? Zum Heiligen Vater? Sind sie denn Christen?« murmelte es durcheinander. – »Nein, die hätte ich mir viel merkwürdiger vorgestellt.«
Das gleiche mochte das schöne Mädchen auf der rosenumrankten, mit Teppichen behängten Loggia denken, das zwischen zwei älteren Herren stand und den Zug aufmerksam musterte. Sie hatte dazu den allergünstigsten Standpunkt, da die langgestreckte Säulenhalle mit der schmalen Seite nach der Straße ging und mit der Längsseite die Piazzetta, auf welcher sich der Zug zu stauen begann, einfaßte.
»Nun siehst du, Kind«, sagte der betagtere von den beiden Herren, ein bartloser Mann mit regelmäßigen Zügen und dichten, noch schwarzen Augenbrauen, dem die Kapuze, welche zu seinem roten Lucco gehörte, vom Kopf geglitten war, daß das wallende Silberhaar frei floß – »siehst du, daß es Menschen sind wie wir, ohne Hörner und Klauen.«
»Puh, was sie für Bärte haben«, sagte das schöne Kind naserümpfend.
»Unseren Schönheitsbegriffen entspricht das allerdings nicht«, antwortete der Vater mit gelassener Würde. Er sprach langsam und bewegte sich so schön, daß sein Lucco bei jeder Wendung des Körpers malerische Falten warf. – »Aber es sind sehr brave Leute. Betrachte dir den jungen Mann da vorn im schwarzen Habit – das scheint mein Freund, der gelehrte Kapnion zu sein, mit dem ich schon seit Jahren im Briefwechsel stehe, wenn ihn auch die Augen meines Leibes noch nie zuvor erblickt haben. Eine Leuchte der Wissenschaft und würde es wahrlich verdienen, die Sonne Virgils seine Amme zu nennen.«
»Er wird Euch wohl die Handschrift bringen, nach der Ihr so lange suchen ließt, Vater?«
»Wenn der kostbare Kodex noch vorhanden ist, so möchte er leichthin einen andern Liebhaber gefunden haben«, mischte sich der dritte, ein hagerer Mann mit schmalem, vergilbtem Gesichte, ein, der den enthaarten Schädel durch ein flachanliegendes schwarzseidenes Mützchen geschützt hielt.
»Ich dürfte ihn darum nicht einmal schelten, Marcantonio«, entgegnete der schöne Greis mit Sanftmut. »Ist es doch ein Wettkampf, in dem alle Waffen gelten.«
»Die armen Leute!« rief das Mädchen in jugendlichem Mitgefühl, »es mag ihnen wohltun, sich an unserer freundlichen Sonne zu wärmen. Darum zogen sie auch immer so gerne von ihren schneebedeckten Alpen zu uns herunter. Es muß kalt sein, sehr kalt in diesem Germanien.«
»Ja, es ist ein kaltes, unwirtliches Land«, antwortete der Alte. »Und wenn ich denke, wie viele unserer glorreichen Väter noch dort gefangen liegen und in ihren dunkeln Burgen und feuchten Klöstern der Befreiung entgegenschmachten!« setzte er mit einem Seufzer hinzu.
Zum Verständnis unserer Leser sei es gesagt, daß der alte Herr mit diesen Vätern die römischen Autoren meinte, welche die Nacht des Mittelalters hindurch in sauberen Abschriften von den deutschen Mönchen erhalten und gehütet worden waren und jetzt, seit dem Wiederaufblühen der klassischen Studien, scharenweise in ihr Geburtsland zurückwanderten.
Aber während der Vater sich nach der Straße hinabbeugte und mit sehnsüchtigen Augen dem gelehrten Kapnion, vulgo Johann Reuchlin, folgte, hing der Blick des Töchterleins an einem jugendlichen Reiter, der hinter dem Zuge zurückgeblieben war, um sein ungestümes Pferd zu bändigen, das sich stellte und auf dem Pflaster der Piazzetta Funken schlug. Er regierte das heftige Tier nur mit der Linken, während er mit der freien rechten Hand einen starken Lorbeerzweig, den er unterwegs gepflückt hatte, über das Gesicht hielt, um sich vor der ungewohnten Sonne zu schützen, die blitzend auf seinem blanken Stahlgehenke und den Metallplatten seines ledernen Kollers spielte.
Als sein Auge das an eine Säule gelehnte, mit Rosenranken spielende Mädchen traf, senkte er langsam wie zum Gruße den Lorbeerzweig und ließ ein gebräuntes, angenehmes Gesicht, von blondem Kraushaar umrahmt, sehen. Da überkam das Mädchen der Mutwille, daß sie ein Rosenzweiglein brach und dem hübschen Barbaren zuwarf. Dieser erhob sich in den Bügeln, ließ den Lorbeer fallen und haschte geschickt das Röslein, worauf er sich dankend verneigte. Noch ein rascher Blick aus den blauen, leuchtenden Augen, und gleich darauf war der Reiter fast unter der Mähne des Rappen verschwunden, der unter seinem Schenkeldruck hoch aufstieg und ihn dann mit wenigen Sätzen dem Zuge nachtrug.
»Gar nicht übel für einen Barbaren«, lächelte der alte Herr, der sich eben umgewandt hatte, wohlwollend, »was meinst du, Kind?«
Das Mädchen schwieg, sie hätte um alles in der Welt nicht gestehen mögen, wie sehr ihr der Reiter gefallen hatte, aber während sie alle drei von der Loggia zurücktraten, legte sie sich im stillen die Gewissensfrage vor, ob es wohl möglich sei, einen Barbaren zu lieben.
Das Volk hatte sich schon verlaufen, denn alles drängte jubelnd und lärmend dem Zug zum Palaste des Medici nach, in dessen kühlem Hofraum zwischen antiken Marmorstatuen, plätschernden Brunnen und lebendigem Grün der Imbiß für die fremden Gäste bereitet war.
Doch als nach einer Viertelstunde das Mädchen noch einmal flüchtig auf der Loggia erschien, wie um auf dem Pflaster, das schon wieder seine Alltagsmiene trug, nach den Spuren des jungen Reiters zu suchen, da sah sie an der Straßenecke den ungestümen Rappen des Weges zurückkommen, von einem Reitknecht am Zügel geführt, und gewahrte nicht ohne geheimes Wohlgefallen, daß ein Diener des Medici den fremden Knecht nach der Herberge zu den »Drei Mohren« wies, die auf der Piazzetta ihrer Loggia schräg gegenüber lag.
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