Isolde Kurz
Die Nacht im Teppichsaal
Erlebnisse
eines Wanderers
Saga
Der
Herrin und Gestalterin
des
Wunderschlosses Bellosguardo
im Gedenken
an die gemeinsamen Fahrten
durch
italische Lande!
Er war über den Consumapaß gekommen um das Casentino nach allen Richtungen zu Fuße zu durchstreifen. Frühsommer lag über der Bergwelt und verjüngte ihre herben Züge durch das zwischen dem dunklen Eichen- und Kastaniengrün vordringende neue Birken- und Buchenlaub; an den Abhängen leuchtete der goldgelbe Ginster; die Sonne hatte schon beträchtliche Kraft. Den Wanderer störte sie nicht, sein sehniger Körper kannte keine Erschlaffung. Er hielt in den Wäldern Mittagsrast, und wenn er irgendwo an verschwiegener Stelle unter der Brause eines Wildbachs gebadet hatte, fühlte er seine Glieder kraftvoll und geschmeidig wie den biegsamsten Stahl.
Er war kein Wanderer, wie sie alle Tage des Weges gehen, um den Kopf zu lüften und die Füße zu vertreten oder auch des bloßen Ankommens wegen, er war vielmehr einer, der immer in Wanderschuhen ging, dem das Wandern Zweck und Sinn des Daseins, ein währender Tempeldienst im Heiligtum des Geschaffenen war. Nicht mehr jung und noch nicht alt, auf dem Scheitelpunkte des Lebens, wo die Waage für eine Weile stillzustehen scheint, ging er seines Weges, besitzlos und wunschlos, als ein Liebender der Natur und ein Gehör für ihr heimliches Weben. Darum verirrte er sich nie, noch fragte er nach der Richtung, er hatte die Landschaft in sich und ging überall wie im eigenen. Alle Vogelstimmen kannte er, und aus dem nächtlichen Sternenschein las er die Stunden ab wie von einem Zifferblatt. Er liebte es mit dem Lauf der Flüsse zu gehen, und am nächsten fühlte er sich dem Göttlichen, wenn er sie an ihrem Ursprung aufsuchen konnte. Darum hatte er unterwegs die rauhen Felsenpfade der Falterona nicht gescheut, um dem hochgeborenen Arno als Kindlein an der Wiege zu huldigen und hatte dann, auf das östliche Gebiet hinüberwechselnd, unter den Buchen des Monte Fumajuolo den dort vielfach entsprudelnden Tiberquellen das gleiche getan.
Aber er war nicht nur ein Augenmensch, dem bloß das Sichtbare gehört, er war auch ein Beschwörer, dem die Geister Rede standen. Schlösser und Burgen fragte er ab, was sie im Lauf der Jahrhunderte gesehen hatten; und über welche Stätte er schritt, da gesellte sich ihm der Genius loci und machte ihn seiner Erinnerungen teilhaft. – Es gebe nichts Vergangenes, pflegte er zu sagen, was man so nenne, das sei nur in eine tiefere Schicht hinabgestiegen, aber auf den rechten Anruf komme es gerne wieder hervor.
Denen, die ihn auf seinem Wege kennenlernten, war er ein wanderndes Geheimnis, das, ehe man es lösen konnte, entglitten war. Die Tieferblickenden erkannten einen Mann, der sich aus hartgeprüfter, umhergeworfener Jugend nur eben heil auf die höhere geistige Ebene gerettet hatte, von wo er die Dinge des Lebens tief unter sich sah, und der so aus einem unglücklichen Menschen ein nahezu glücklicher geworden war: denn wer nichts mehr für sich begehrt, der besitzt mit einem Male alles! So hatten wir ihn durch Jahre gekannt, auftauchend, verschwindend, ohne Willkomm noch Abschied; eine Zeitlang mitten unter uns; dann nicht mehr aufzufinden. – Fast hatte er keinen Namen mehr, alle nannten ihn nur den „Wanderer“. Auch er selbst unterschrieb sich auf den Ansichtskarten, die er seinen Freunden gelegentlich aus irgendeinem fernen Ende des Globus sandte, am liebsten „Peregrinus“.
Jenes Tages war er früh von dem heiligen Felsen der Verna aufgebrochen, nachdem er bei den frommen Brüdern genächtigt und zuvor den Abend mit ihnen im Gespräch über ihren großen Stifter verbracht hatte. Vor dem Abstieg hatte er noch bei Sternenschein die höchste Spitze des Berges erklettert, der das Tal des Arno von dem des Tiber scheidet, um den Aufgang der Sonne zu erwarten. Und die Nähe der beiden Schicksalsströme Italiens berührte ihn mit solcher Weihe, daß er ihren Lauf durch Raum und Zeit im Geist begleiten mußte wie den Aufbruch zweier Heldenbrüder, die hinausziehen um Weltruhm und Weltmacht zu gewinnen, der eine mit kriegerischen Waffen, der andere mit solchen des Geistes.
An Tagen, die er so in gehobener Stimmung begann, konnte ihm keine Mühsal des Weges etwas anhaben, noch ließ er sich durch einen unliebsamen Zufall stören. Wo ihm aber eine bedeutsame Begegnung bevorstand, da fühlte er es an einem inneren Zuck, wie der Rutengänger, in dessen Händen die Gabel ausschlägt, wenn er die Stelle eines unterirdischen Wasserlaufes betritt.
Der Tag begann zu sinken, als ihm von dem Vorsprung einer steilen Kuppe eine Villa von edlen Umrissen inmitten eines mächtigen alten Parks entgegentrat. Michelangelo habe sie gebaut, behauptete der Wirt in der Osteria am Wege, wo der Fremde ein Glas kühlen Wein und einen Abendimbiß zu sich nahm. Mochte die ländliche Angabe stimmen oder nicht – die Nähe von Michelangelos Geburtsort legte es nahe, daß auch Unbeglaubigtes auf seinen Namen ging – die magische Rute zuckte in seiner Hand: diese Villa mußte er sehen. Ein Eindruck von Versunkenheit und Verlassenheit zog ihn besonders an, und ehe noch sein Geist einen Beschluß gefaßt hatte, waren schon seine Füße da hinauf in Bewegung, wie um einen ihm gehörigen Gegenstand in Besitz zu nehmen. Ein geschwungener Fahrweg, ungepflegt und steinig, schmiegte sich am Felsgelände hin, nach der Talseite zu von einem engen, doppelreihigen Zypressengang begleitet. Das Tor war verschlossen, ein rostiger Glockenzug mußte mehrmals mit Kraft gerissen werden, bis ein alter Mann, dem Aussehen nach der Gärtner, mit verwunderten Augen vor dem Besucher stand.
Ob es erlaubt sei Haus und Garten zu besichtigen, fragte dieser. Der Alte wollte gerne den Besuch des Parks gestatten, aber wegen des Hauses machte er Schwierigkeit, weil er nicht ermächtigt sei, in Abwesenheit der Herrschaft jemanden hineinzuführen. Der Wanderer schritt indessen schon den Kiesweg zwischen den Lorbeerhecken entlang, als könne es nicht anders sein. Der Garten, der gemäß der Bodengestaltung in flachen Stufen angelegt war, ließ freilich erkennen, daß ihm das Auge des Gebieters seit langem fehlte. Die Pracht des Pflanzenwuchses ging schon in Verwilderung über, der die Hand des alten Gärtners nicht mehr zu steuern vermochte. Das tiefgelegte, von Kübelpflanzen umstandene Viereck des Wasserbeckens war verschlammt und sein Sprühstrahl schlief. Den seltsamsten Anblick gewährten die mächtigen Schleppkastanien auf dem Rasenplan vor dem Hauseingang, deren unterste Zweige wie lange Schlangen am Boden schleiften und Fallstricke für die Füße legten. Das Ganze ein Bild des beginnenden Wiedereinbruchs der Natur in die von Menschenhand geschaffene Ordnung. Nur die gut beschnittenen Hecken und der zärtlich gepflegte Blumenflor lobten den Fleiß und die Liebe des alten Mannes. Er war einer von den alten Gärtnern, wie man sie nicht selten auf solchen verwahrlosten italienischen Villen findet, ganz mit dem Boden, den er bebaute, verwachsen und für keine Verpflanzung mehr zu haben. Ich kann den Park nicht so pflegen wie ich möchte, sagte er entschuldigend zu dem Besucher, der durch sein lebendiges Eingehen gleich sein Vertrauen gewonnen hatte. Ich bin ganz allein hier, die junge Herrschaft lebt immer in Paris und ist überhaupt noch niemals hier gewesen. Sie schickt mir auch kein Geld für den Garten. Ich könnte ihn gar nicht erhalten, wenn ich nicht Blumen zöge zum Verkauf für die großen Kirchenfeste in der Umgegend und feines Gemüse, das ich nach Bibbiena liefere. Dafür kann ich gerade das Allernötigste beschaffen. Er hatte Tränen im Auge, als er das sagte. Mein Gehalt ist auch ausgeblieben, seit die alte Herrschaft tot ist, setzte er hinzu. Nun, ich lebe auch so. Ich habe mein kleines Häuschen von zwei Zimmern und einer Feuerstelle, den Küchenbedarf ziehe ich mir selbst, ein paar Hühner halte ich auch – ein Schwein – ich leide keine Not. Die Frau ist tot, die Kinder sind draußen in der Welt. Ich ziehe meine kleine Enkelin auf, das Kind meiner verstorbenen Tochter. Sonst habe ich nichts als meinen Garten, ich stürbe, wenn ich ihn verlassen müßte.
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