37 a) Satzungen.Das Satzungsrecht ermöglicht es den Kommunen, entsprechend ihrer individuellen Verhältnisse eigenverantwortlich Rechtsnormenzu setzen. Da die Satzungen zumeist materielles Recht regeln, binden sie gleichermaßen die erlassende Stelle, den Adressaten und die Rechtsprechung (Ausnahme: Organisationssatzungen wie die Hauptsatzung und die Betriebssatzung sowie wesentliche Teile der Haushaltssatzung).
38Obwohl sich Satzungen in qualitativer Hinsicht nicht vom Bundes- oder Landesrecht unterscheiden, müssen sie dem „Rahmen der Gesetze“ entsprechen (Art. 28 Abs. 2 GG) und sich somit entsprechend der allgemeinen Normenhierarchie dem staatlichen Recht einfügen.
39 b) Rechtsverordnungen.Soweit die Voraussetzungen der Verfassungsnormen erfüllt sind (Art. 80 Abs. 1 GG und Art. 61 Abs. 1 LV), können die Gemeinden auch Rechtsverordnungen erlassen. Solche Verordnungen gehören zum Bereich der Weisungsaufgaben. Trotzdem ist für den Erlass dieser Verordnungen grundsätzlich der Gemeinderat zuständige Behörde. Lediglich Polizeiverordnungenwerden vom Bürgermeister als Ortspolizeibehörde erlassen (§ 13 PolG). Sollen sie länger als einen Monat gelten, bedürfen sie allerdings der Zustimmung des jeweiligen Hauptorgans (§ 15 PolG).
40 c) Örtliches Gewohnheitsrecht.Das örtliche Gewohnheitsrecht (Observanz) entsteht durch lang dauernde und tatsächliche Übung, die durch die Rechtsüberzeugung aller Gemeindebürger getragen wird. Obwohl Gewohnheitsrecht und unvordenkliche Verjährung nicht identisch sind, kann für die „lang dauernde Übung“ der aus diesem Verjährungsrecht stammende Zeitraum von achtzig Jahren analog angesetzt werden. Solches „örtliches Gewohnheitsrecht“ findet man – wenn gegenwärtig überhaupt noch – vor allem im Wasser- und Wegerecht sowie im Nachbarrecht (Nutzungs- und Gemeingebrauchsrechte).
§ 2Die kommunale Selbstverwaltung
I.Begriffsdefinitionen
1.Begriff „Selbstverwaltung“
41Die bundesstaatliche Ordnung beinhaltet ein Gliederungsprinzip, nach dem der Staat die Verwaltungsaufgaben nicht primär selbst erfüllt. Er überträgt sie zu einem erheblichen Teil auf rechtlich verselbstständigte Organisationen, den Trägern der Selbstverwaltung (mittelbare Staatsverwaltung – Dezentralisation).
Unter „Träger der Selbstverwaltung“(im juristischen Sinne) versteht man
– juristische Personen des öffentlichen Rechts,
– die in den Staatsaufbau eingegliedert sind und
– im eigenen Namen, vertreten durch selbst gebildete (gewählte) Organe sowie
– in eigener Verantwortung
– öffentliche Aufgaben erledigen unter
– staatlicher Beaufsichtigung.
42 Selbstverwaltungsaufgabenwerden nicht nur von den Körperschaften des öffentlichen Rechts(z. B. Gemeinden, Gemeindeverbände, Zweckverbände, Kirchen und Religionsgesellschaften, Hochschulen, Sozialversicherungsträger, Kammern und Innungen), sondern auch von öffentlichen Anstalten(z. B. Sparkassen, Rundfunk- und Fernsehanstalten) und Stiftungen(z. B. Stiftung Preußischer Kulturbesitz, aber auch kommunale Stiftungen mit eigener Rechtspersönlichkeit 24) durchgeführt. Allerdings würde man bei den Anstalten und Stiftungen besser von „Eigenverwaltung“sprechen, da diese Organisationen nicht mitgliedschaftlich organisiert sind. Sie haben lediglich Benutzer und können deshalb ihre Organe nicht selbst bilden.
2.Begriff „Kommunale Selbstverwaltung“
43Im Unterschied zum allgemeinen Selbstverwaltungsbegriff zeichnet die kommunale Selbstverwaltung noch die Gebietshoheit(Gemeindehoheit) und die Aufgabenallzuständigkeitaus. Träger der kommunalen Selbstverwaltung sind in erster Linie die Gemeinden, in begrenztem Umfang aber auch Gemeindeverbände als Gebietskörperschaften.In Baden-Württemberg sind Gebietskörperschaften neben den Gemeinden lediglich die Landkreise; gleichwohl wird man zumindest die Gemeindeverwaltungsverbände wegen ihres etwa gegenüber den Zweckverbänden erweiterten Aufgabenbestandes zugleich zu den Gemeindeverbänden i. S. v. Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG zu zählen haben. 25
II.Verfassung und kommunale Selbstverwaltung
44Art. 28 Abs. 2 GG (ähnlich Art. 71 Abs. 1 und 2 LV) wird als „Garantienorm der kommunalen Selbstverwaltung“ bezeichnet. Dieser Artikel rechtfertigt daher nicht andere Selbstverwaltungseinrichtungen akademischer, sozialer oder wirtschaftlicher Art.
45Art. 28 Abs. 2 GG enthält eine dreifache Garantie:
– eine institutionelle Garantie der Rechtssubjekte Gemeinde und Gemeindeverbändeund damit eine zwingende organisatorische Grundentscheidung zugunsten eines Staatsaufbaus mit Gemeinden, Gemeindeverbänden, Ländern und dem Bund. Zugleich werden durch diese Bestimmung die Gemeinden und die Gemeindeverbände in den demokratischen Staatsaufbau eingegliedert (vgl. auch § 1 Abs. 1 GemO – institutionelle Rechtssubjektsgarantie);
– eine Garantie der Institution der kommunalen Selbstverwaltung, durch die ein bestimmter Aufgabenkatalog gewährleistet wird ( objektive Rechtsinstitutionsgarantie) und
– eine Gewährleistung der Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung.
46Nach überwiegender Auffassung erfasst der Schutzgehalt des Art. 79 Abs. 3 GG nicht auch die kommunale Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG. Die kommunale Selbstverwaltung ist damit nicht gegen Verfassungsänderungen geschützt.
III.Inhalt der kommunalen Selbstverwaltung
1.Garantie der Rechtssubjekte Gemeinde und Gemeindeverbände
47Art. 28 Abs. 2 GG bringt keine Bestandsgarantie für die einzelne Gemeinde oder eine bestimmte Gemeindegröße, sondern nur eine Garantie der Institution Gemeinde und Gemeindeverband. Beim Gemeindeverband ist nicht einmal eine bestimmte Einrichtung, sondern nur eine überkommunale Institution gemeindlichen Charakters (Landkreis, Bezirk o. Ä.) überhaupt garantiert. Diese Rechtssubjektsgarantiesichert nicht nur die Erhaltung der Institution „Gemeinde“ oder „Gemeindeverband“ in rein formalem Sinn, sondern die Erhaltung als rechts- und lebensfähiges Gebilde.
2.Garantie der Rechtsinstitution „Kommunale Selbstverwaltung“
48 a) Allzuständigkeit.Die Selbstverwaltungsgarantieumfasst keinen festen Aufgabenkatalog, sondern grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, die nicht durch Gesetz bereits anderen Trägern der öffentlichen Verwaltung übertragen worden sind. 26Für den örtlichen Wirkungskreis besteht damit eine Zuständigkeitsvermutung; eine Gemeinde kann alle „unbesetzten“ Aufgaben übernehmen. Zum Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantiegehört also lediglich das Universalitätsprinzip als solches, nicht aber ein konkreter Aufgabenbestand. Dieser unterliegt im Grundsatz dem Zugriff des Gesetzgebers und ist damit in Zukunft veränderbar. So können etwa aufgrund ökonomischer, technischer oder sozialer Entwicklungen oder durch Änderung der Bedürfnisse oder Interessen Aufgaben von der Gemeinde- und der Gemeindeverbandsebene nach oben oder nach unten verlagert werden.
49Der Gesetzgeber darf aber den Gemeinden Aufgaben mit relevantem örtlichen Charakter nur aus übergeordneten Gründen des Gemeinwohlsentziehen. Dies trifft vor allem dann zu, wenn anders die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung nicht sicherzustellen wäre. Das bloße Ziel der Verwaltungsvereinfachung oder der Zuständigkeitskonzentration scheidet damit als Rechtfertigung eines Aufgabenentzugs aus. 27
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