Ich kenne mein 16-jähriges Ich nicht. Sie wohnt mit ihrer großen Schwester zwei Türen weiter. Mehr weiß ich nicht. Aber sie hat offensichtlich Nirvana-T-Shirts, und in ihren Bewegungen findet sich eine langsame Eleganz, die ich bei Menschen selten sehe. Deshalb stelle ich mir vor, sie sei meine Verbündete.
Es wird jetzt heikel. Aufräumen und Wegschmeißen sind wahrscheinlich meine Lieblingsthemen. Ich bin die Marie Kondo von Wien (mit der Ausnahme, dass ich mich bei den Dingen, die ich wegschmeiße, nicht bedanke).
Je nach Sichtweise geht es um Klarheit und Struktur (meine Sicht) oder Wahn und Zwang (jene fast aller anderen). Es geht mir nicht so sehr um Reinlichkeit, wenngleich ich es schon auch gerne sauber habe, sondern vielmehr um den Luxus der Leere. Ich liebe leere Räume, und ein freier Parkettboden ist für mich der Inbegriff von vollendeter Schönheit. Nichts ist schlimmer, als wenn zum Beispiel auf dem Küchenblock oder dem Schuhregal Dinge abgestellt sind, die da nicht hingehören. Das macht mich traurig und antriebslos. Und wissen Sie, was ich ganz schlimm finde? Wenn man sich die Schuhe ausziehen muss. Ich finde Hausschlapfen schlimmer als Gartenzwerge. Aber das nur am Rande.
Diese Sichtweise hat mich beinahe schon Freundschaften und meine Beziehung gekostet. Es ist also ernst. Ich bin sonst wirklich konsensorientiert, aber in diesem Punkt gibt es wenig Verhandlungsspielraum.
Nach dem Zivildienst zog ich mit meinen beiden engsten Freunden in eine WG in die Wiener Mollardgasse. Ich suchte vorrangig in diesem Grätzl nach einer Wohnung, weil ich wusste, dass Josef Hader gerne im nahe gelegenen Café Rüdigerhof saß und ich ihn stalken wollte. Meine beiden Freunde und ich – man kann über sie im nächsten Kapitel mehr erfahren – hatten uns die Jahre davor wunderbar verstanden, waren sogar viel zusammen gereist und hatten kaum Auseinandersetzungen gehabt.
Das Zusammenleben entpuppte sich als relatives Desaster. Ich putzte den beiden hinterher und fühlte mich rasch ausgenutzt. Was ich nicht verstand: Es war ihnen egal, wie es aussah. Schneidbretter wurden mehrere Tage benutzt, danach einfach umgedreht und weitere Tage weiterbenutzt, ehe ich sie reinigte. Sie hätten erst abgewaschen, wenn sich wirklich kein einziger sauberer Teller mehr in der Küche befunden hätte! Als ich einmal längere Zeit nicht in der Wohnung war, fand ich die beiden beim Heimkommen bekifft am Küchentisch sitzend. In den Töpfen hatte sich grüner Schimmel gebildet, den sie fasziniert beobachteten. Sie hatten dem Schimmel sogar einen Namen gegeben.
Dazu hörten sie OK Computer 1, vielleicht das wichtigste Album der 90er-Jahre. Wenigstens in diesem Punkt waren wir uns einig.
Ich war fassungslos. Sie hatten nicht nur die Küche nicht aufgeräumt, sie hatten auch nicht geduscht und nicht gelüftet. Wahrscheinlich geht normales Jung-Sein so. Ich konnte nicht mit, gab bald entnervt auf, und wir zogen auseinander.
Bevor ich koche, reinige ich die Küche, bevor ich zu schreiben beginne, wird der Schreibtisch komplett geleert.
BERNARD GLASSMAN
Die Küche zu reinigen, bedeutet den Geist zu reinigen.
Ich schaue KöchInnen sehr gerne bei der Arbeit zu: Bevor die erste Zwiebel geschnitten wird, wird alles sauber gemacht. Übrigens findet sich eine ähnliche Argumentation in der buddhistischen Lehre, wenn ich das richtig verstanden habe. Jedenfalls können diese ordnenden Tätigkeiten wundervoll klärend sein.
Ich erinnere mich, dass ich mein Bücherregal einmal nach Farben sortiert habe. Es war ein klassischer Fall von Prokrastination, lange bevor das Wort modern wurde. Ich studierte und hatte mir noch nicht eingestanden, dass das Uni-Leben mich unglücklich machte. Statt für die Prüfung zu lernen, räumte ich das gesamte Regal aus und ordnete die Werke in tagelanger Arbeit nach Farben. Das Problem bemerkte ich erst zum Schluss: Ein nach Farben geordnetes Bücherregal mag zwar hübsch anzusehen sein, aber man findet darin kein einziges Buch mehr. Überdies zog ich mir die Sorge meiner Mitmenschen zu, die sich fragten, ob mich Marihuana nun endgültig zerstört hatte oder aus mir ein anthroposophischer Extremist geworden war.
Heute ist vieles leichter. Oder zumindest habe ich eine bessere ironische Distanz zu meinem Wahn. Ich weiß jetzt, was es bedeutet, wenn andere sagen: Ich muss unbedingt zum Yoga oder ins Fitnessstudio, sonst werde ich unrund. Dann sage ich: Ich muss unbedingt noch die Küche putzen und das Wohnzimmer aufräumen, sonst werde ich unrund.
In den letzten Jahren ist es mir, glaube ich, ganz gut gelungen, an den Dingen des Alltags, an den Notwendigkeiten, die eben gemacht werden müssen, Freude zu empfinden und sie als Teil des Spiels zu sehen. Ich schätze am Aufräumen wirklich sehr, dass die Tätigkeiten allesamt nach kurzer Zeit ein Ergebnis zeitigen. Abgewaschenes Geschirr. Gebügelte Wäsche. Gewichste Schuhe. Die Ergebnisse können sich sehen lassen, und sie sind schöner, klarer, und ja eben aufgeräumter als vorher. Vielleicht hat es mit meinem Beruf zu tun. Ich will jetzt nicht vom inneren Chaos sprechen, das im Außen kompensiert werden muss, aber die Tatsache, dass sich meine Arbeit oft so flüchtig und ungreifbar anfühlt, hat wahrscheinlich damit zu tun, dass ich es im Alltag gerne ordentlich habe. Schreib- und Probenprozesse führen oftmals dazu, dass auch nach Stunden des Grübelns nachher mehr Chaos herrscht als vorher. Das kann mir beim Wäscheaufhängen nicht passieren. Ich habe hier mit meinem Kollegen und Bühnenpartner Thomas Stipsits eine große Einigkeit erlebt.
Wir haben sehr schnell festgestellt, dass wir beide ziemliche »Monks« 2sind. Wenn man seinen Geschirrspüler »ohne System« einräumt, räumt er diesen wieder aus und neu ein. Ein mildes Lächeln des Besserwissenden auf den Lippen.
FRANK BERZBACH
Gehirne von Kreativen haben eine erhöhte Anfälligkeit für Verzweiflung, da sie pausenlos Probleme höchster Komplexität lösen. Während die meisten Berufsgruppen damit beschäftigt sind, klar umrissene und vorgegebene Aufgaben zu lösen, stehen Kreative oft vor Herausforderungen, bei denen nicht einmal klar ist, wo genau das Problem liegt.
Ich empfehle, alle Bücher von Frank Berzbach zu lesen. Es wird Ihnen danach besser gehen.
GUSTAVE FLAUBERT
Seien Sie in Ihrem Leben genau und geordnet, damit Sie in Ihrer Arbeit gewalttätig und originell sein können.
Es ist eine Lebenseinstellung geworden, und sie lässt sich gut begründen: Ich will es unaufwendig haben.
DIE REDUKTION IST FÜR MICH DER SCHLÜSSEL ZUM GLÜCK.
Vereinfachung im Alltag. Zum Beispiel habe ich das Fitnessstudio durch hundert Liegestütze pro Tag ersetzt. Und auf Tour habe ich fast nichts mit außer einer guten Flasche Wein, falls jene beim Catering nicht entsprechen sollte, 26 Buchstaben in unterschiedlicher Reihenfolge gebunden oder als Taschenbuch, sowie meine Laufschuhe. Die Laufschuhe immer dabei zu haben und von überall einfach starten zu können, ist eine Definition von Freiheit und Selbstbestimmung. Laufen und Lesen. Die beiden großen L’s sind ein Mitgrund, warum ich gerne auf Tournee bin. Ich muss dort keine Hausarbeit verrichten, also kann ich mich zwischen den Auftritten darauf fokussieren. Laufen und Lesen geht immer. 26 Buchstaben und ein paar Schuhe, und die Gedanken können fliegen und ganze Kontinente erschaffen. Wenn es nur gelänge, diese 26 Buchstaben in der perfekten Reihenfolge auf Papier zu bringen, hätte ich die vollendete Geschichte. Es wird mir nicht gelingen. Aber der Versuch lohnt sich allemal und immer wieder.
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