PETER BICHSEL
Aber verzichten Sie bitte darauf, mich auf Autobiografisches anzusprechen. Ich werde alles abstreiten und auf meinem Recht auf Fiktion beharren.
Das schönste Kompliment, das ich beruflich jemals bekommen habe, kam von Josef Hader. Er sagte in einem Interview mit der Zeitschrift Tele.
JOSEF HADER
Manuel Rubey ist ein hochinteressanter Schauspieler, bei dem man als Zuschauer nie genau weiß, woran man ist.
Er hat immer ein Geheimnis.
Ich werde nicht alles offenlegen, wir sind schließlich nicht im Privatfernsehen. Aber ich möchte Sie, liebe Leserin, lieber Leser, an den Dingen teilhaben lassen, die mir wichtig sind. Und seien Sie versichert: Ich gebe natürlich viel preis. Immer.
Ich wollte ursprünglich ein Buch über Faulheit schreiben, dann merkte ich, dass das Weglassen, die Reduktion viel eher gemeint sind. Dass auch eine Qualität darin liegen kann, weniger zu machen und langsamer zu werden. Wir hatten auch schon einen Titel: Rubey hört auf. Ich wollte all meinen Helden huldigen, die das Aufhören zur Maxime gemacht haben. Von Bartleby aus Melvilles Kurzgeschichte, der sich mit den Worten »I prefer not to« stets aus der Affäre zu ziehen weiß. Oder von meinem Lieblingscomic Gaston, der genialische Büroangestellte von Franquin, bis hin zu Pessoa und Groucho Marx.
Wir wollten kluge Menschen befragen, und am Ende hätte rauskommen sollen, dass wir sehr wahrscheinlich schon in nicht allzu ferner Zukunft eine 20-Stunden-Woche brauchen, um bei Vollbeschäftigung zu bleiben und dies sehr wohl auch zu finanzieren sei. Also unter dem Deckmantel der Faulheit hätte sich unter anderem ein politisches Manifest verborgen, das eine friedvolle Revolution der Langsamkeit, des Weglassens und der Menschenwürde vorgeschlagen hätte. So der Plan. Man wird ja noch Visionen haben dürfen. Wenn diese zu stark werden, empfehle ich übrigens durchaus Antidepressiva (dies ist an anderer Stelle nachzulesen).
Dann kam Corona, und fast von einem Tag auf den anderen waren all die klugen Ideen, das Fest der Langsamkeit, der Spaß an der Reduktion vom Tisch. Weil wir ja alle zusammen mit allem aufhören mussten.
Die Corona-Krise trifft die Welt in einer verwundbaren Zeit. Erderhitzung, wachsender Nationalismus, bröckelnde Demokratien, Flucht. Zum Zeitpunkt, da ich diese Zeilen schreibe, ist noch nicht abzusehen, wie die Geschichte ausgehen wird. Ob wir etwas begriffen haben werden und vielleicht auch das eine oder andere an positiver Erkenntnis mitnehmen. Zum Beispiel, dass es vielleicht doch auf so altmodische Begriffe wie Würde, Gleichheit und Respekt ankommt? Auf Solidarität zwischen Menschen, Generationen und Staaten? Haben wir erkannt, dass es der Markt eben nicht regelt? Also er regelt es schon, aber dann bleiben einfach tatsächlich sehr viele auf der Strecke. Oder wird es so ausgehen, dass sich alles noch weiter zurückzieht in nationale Kleingartensiedlungen und patriotische Egoismen? Ich habe natürlich keine Ahnung. Aber ich habe für mich aus den Wochen der Isolation mitgenommen, dass es vielleicht gar nicht so sehr um Reduktion geht, sondern vielmehr um fokussierte Verlangsamung. Dann fallen ganz automatisch Dinge weg, die wir in unserem Leben vielleicht nicht mehr brauchen und haben wollen. Die 20-Stunden-Woche ist damit ganz und gar nicht vom Tisch, wir brauchen sie meiner Meinung nach dringender denn je. Und viele sehen in Zeiten der Kurzarbeit, dass es geht, und dass es Möglichkeiten gibt, weniger zu arbeiten und trotzdem gut und verantwortungsvoll zu wirtschaften. Die Krise zeigt, dass unsere Pläne und Lebensentwürfe uns jederzeit um die Ohren fliegen können, und dass schließlich und letzten Endes nur der Moment und die Gegenwart bleiben. Das ist natürlich nichts Neues, aber trotzdem die Lösung.
Der Titel dieses Buches
EINMAL NOCH SCHLAFEN, DANN IST MORGEN
stammt von meiner Tochter. Und das trifft es. Es ist das stärkste Ja zum Leben, das ich wahrscheinlich je gehört habe. Wir nehmen diesen Tag. Soll er nur kommen. Wir heißen ihn willkommen. Wir wissen nicht, was in zwei Wochen sein wird, aber wir wissen, dass wir jetzt gerade am Leben sind. Und das ist gut. Oder wie Kid Kopphausen singen:
KID KOPPHAUSEN
Jeder Tag ist ein Geschenk, er ist nur scheiße verpackt.
Kaum etwas ist absurder als das Beharren auf nationalen Grenzen. Das Virus fraß sich in kurzer Zeit durch die Welt und brachte stabile Gesellschaften an den Rand des Zusammenbruchs. Bereits ins Wanken geratene Demokratien wurden zu Autokratien oder Diktaturen. Es zeigt sich, dass wir in einer synchronen Gleichzeitigkeit leben. In einer existenziellen Abhängigkeit von weltweiten Produktionsketten, Versorgungsketten, Lieferketten, und ja, auch Verantwortungsketten. In der zusammengewachsenen Welt mutiert ein lokales Risiko über Nacht zu einem globalen Problem. Es ist an der Zeit, zu erkennen, dass es keine Provinz mehr gibt, außer in unseren Köpfen. Mein Nachbar im Waldviertel ruft über den Zaun hinweg zu mir rüber.
DER NACHBAR
Du, Schauspieler, waaßt du, was das beste Rezept jetzt gegen die Krise ist? Selbstgebrannter! Der liebe Augustin war so fett in der Pestgrube, dass alle geglaubt haben, er is scho tot, daweil hat er nur seinen Rausch ausgeschlafen.
Mehr dazu in Kapitel 11.
Wir brauchen Geschichten, und wir brauchen Humor. Poesie ist die schöne Illusion, die uns glauben macht, wir können zärtlich und zivilisiert sein, habe ich einmal gelesen. Und um uns darauf einzulassen, brauchen wir Zeit und Langsamkeit. Ich wünsche Ihnen schöne, hoffentlich erhellende und überraschende Stunden mit diesem Buch.
NERDS, DIE UNSERE WELT RETTEN KÖNNTEN
(frei nach Sybille Berg)
Lisa Simpson
André Heller
Helene Klaar
Ankathie Koi
Miranda July
Gaston
Monk
Daniel Düsentrieb
Christine Baranski
Sybille Berg
Meine Freunde
(mehr dazu gleich in Kapitel 2)
Lesen, Verkleiden, Sitzen und Sitzungen. Wenn man genau hinsieht, liegt auch eine Ersatzlektüre parat. Des Weiteren sagen die Menschen, die mich seit damals kennen – also meine Eltern –, dass ich diese Geste auf der Bühne immer noch mache.
Ich konnte mit anderen Kindern nicht viel anfangen, und auch deren Spiele haben mich nicht interessiert. Am liebsten diskutierte ich mit Erwachsenen oder gab Theatervorstellungen zu völlig überzogenen Eintrittspreisen. Mein Vater hat ein paar Dinge mitgeschrieben, die ich so von mir gab. Zwei Zitate erscheinen mir erwähnenswert, weil sie irgendwie auch zeigen, dass ich mich kaum weiterentwickelt habe:
MANUEL ALS 3-JÄHRIGER
(am Begräbnis der Urgroßmutter)
Sterben muss schiach sein, weil da kriegt man Erde in die Augen.
MANUEL ALS 5-JÄHRIGER
Ich will Formel-1-Fahrer werden, weil das ist ein Beruf, der im Sitzen ausgeführt wird. Außerdem ist man berühmt und verdient viel Geld.
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Mein 16-jähriges Ich wohnt zwei Türen weiter oder Was das Aufräumen mit meinem Beruf und dem Scheitern zu tun hat
* Wie Sie, hochgeschätzte LeserInnen, erkennen können, bin ich schon am Finden eines knackigen, aber trotzdem nicht zu banalen Titels für dieses Kapitel gescheitert.
Sie hängt die Nirvana T-Shirts sehr akkurat auf den Kleiderständer und stellt diesen auf den Gang, vor die Bassena. Das Mietshaus, in dem ich lebe, ist zwar so alt, dass der berühmte Bassenatratsch hier bestimmt stattgefunden hat, aber das ist lange her, und deshalb traue ich mich nicht, meine Nachbarin, mein 16-jähriges Ich, das gerade wieder ihren Wäscheständer auf den Gang gestellt hat, anzusprechen. Ich würde ihr gerne sagen, dass ich es schön finde, wie liebevoll sie die Wäsche aufhängt und dass die Band Nirvana meinem Leben damals als 16-Jährigem einen neuen Sinn gegeben hat. Aber ich traue mich nicht. Ich habe Angst, sie würde es als übergriffig empfinden. Ich weiß das von meinen Töchtern. Aus ihrer Perspektive bin ich schließlich uralt. Aber ich erkenne in ihr eine Verbündete. So wie sie ihre Kräuter am Gang pflegt und stets die Fußmatte richtet, bevor sie wieder in die Wohnung geht. Warum fällt mir das auf? Weil ich in dieser Causa immer auf der Suche nach Verbündeten bin. Es ist mehr als eine Causa. Es ist eine Weltanschauung. Alles, was man nicht wirklich braucht, gehört entsorgt. Wir müssen uns von allem Ballast befreien, um uns auf die wesentlichen Dinge konzentrieren zu können.
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