Beliebt unter den Monteuren waren Mischkassetten, die unter der Rubrik „Tophits“ nummeriert angeboten wurden. Die aktuelle Kassette, die zu jener Zeit in den Bussen auf und ab lief, hieß „Tophits 32“ und dudelte morgens und abends.
Wencke Myhre gab darauf die Warnung ihrer Mutter weiter, sich von bösen Buben fernzuhalten, Nickebocker und Biene verrieten uns, dass sie ihr ganz großes Glück in einem Zug nach Osnabrück gefunden hatten, James Last ließ uns von der „Biskaya“ träumen und Al Bano und Romina Power besangen mit „Sharazano Sharazan“ ihr heimliches Paradies.
Der Laden des Kassettenshoppers befand sich an der Karrada, schräg gegenüber der BRD-Botschaft.
Wenn die deutschen Monteure den Shop okkupierten, nahmen die darin befindlichen Iraker bald Reißaus, denn dann wurde es meist laut. Vor allem, wenn ich meine Wünsche äußerte und der Händler mit Begeisterung und voller Lautstärke Titel von Black Sabbath, Deep Purple, Metallica oder Iron Maiden spielte.
Ganz hoch in der Gunst der Monteure standen aber auch zwei Stimmungskassetten, die der Händler mit „Das grobe“ und „Das Super“ beschriftet hatte. Später bekam ich einmal die Plattencover in die Hände und konnte die richtigen Titel lesen. Sie hießen: „Das großeStimmungsalbum“ und „Das Super-Stimmungsalbum“. Offensichtlich waren dem Händler jedoch die Namen zu lang. Beliebt war auch eine sehr deftige Stimmungskassette, auf der sich Titel wie „Schnell, schnell, schnell, wir fahren ins Bordell“ oder „Ja, ja in Hollywood, da ist der Puff kaputt“ oder gar noch deftigeres Liedgut deutscher Schlüpfrigkeit befand. Diese Kassette wurde meist von den älteren Kollegen gekauft, die damit wohl heimliche Sehnsüchte stillten oder bei denen eher der Wunsch der Vater des Gedanken war.
Nun aber trat ich zum ersten Mal die Fahrt zu meiner neuen Arbeitsstelle an. Dazu fuhren wir auf der Fernstraße zehn, die von Bagdad nach Falludscha führte. Für diese Stadt gab es, wie für die meisten Städte im Irak, mehrere Schreibweisen. Die Iraker bezeichneten sie „Al-Fallujah“ oder
„Al-Anbar“. Ich gehe später noch ein wenig näher auf diese Stadt ein und auch auf das Schicksal, das diese Stadt noch über drei Jahrzehnte nach meinem Aufenthalt erlitt.
Die Fernstraße führte von Falludscha über Hit und Rutbah, weiter bis Jordanien oder Syrien.
In Abu Ghraib unterfuhren wir eine Fußgängerbrücke. Ohne sie hätte das Überqueren der Straße für die Fußgänger einen täglichen Überlebenskampf bedeutet. Es wäre schlicht selbstmörderisch gewesen, diese Straße an anderer Stelle zu passieren.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand sich die Zufahrt zu einem riesigen Parkplatz, auf dem mehrere hundert Trucks und Lkw standen. Dieser Platz war ein Zollparkplatz von unübersehbarer Größe. Den Fahrern blieb es nicht erspart geduldig zu warten, bis ihre Fahrzeuge endlich kontrolliert, abgefertigt und für die Weiterfahrt freigegeben wurden.
Bei manchen dauerte das Wochen, es sei denn, die Fahrer konnten das nötige „Schmiermittel“ einsetzen, um die Zöllner in Bewegung zu bringen. Bestechung war bei den meisten Behörden im Irak nämlich das A und O und deshalb auch völlige legitime Praxis.
Wir bekamen das später manchmal auf den Baustellen zu spüren, wenn unsere dringend erwarteten Materialtrailer auf den jeweiligen Parkplätzen standen und erst ein saftiges Handgeld die sofortige Freigabe ermöglichte.
Mancher hohe Zollbeamte fuhr einen von unserer Firma „gesponserten“ Toyota Corolla, wenn zum Beispiel in Basra ein Schiff mit unseren Materialcollies auf Reede lag und die dringend benötigte Ladung sonst nicht kurzfristig gelöscht wurde.
Einige hundert Meter hinter dem Parkplatz standen auf einem riesigen Arial riesenhafte rot-weiße Sendemasten, die mit armdicken Stahlseilen mehrfach abgespannt und an allen vier Seiten durch Flakstellungen gesichert wurden.
Nach ein paar Kilometern verlief die Straße dann nach links, zu unserer Flughafenbaustelle. Dort standen einige Bauwagen und Baucontainer für die Arbeitskräfte, versehen mit Klimaanlagen und Kühlschränken.
Ein deutscher Monteur sorgte dafür, dass immer ausreichend Kaltgetränke für die Kollegen zur Verfügung standen, obendrein betreute er das Materiallager.
Die Getränke brachten die Busse aus Bagdad mit, zahlreiche Kästen Cola, Wasser und Seven Up aber auch einen süßen Fruchtsaft, der wegen seiner gelbroten Farbe von uns „Möhre“ genannt wurde.
Außerdem gab es noch einige Thermokübel mit kaltem Tee.
Zum Betreiben unserer Geräte und zur Versorgung der Baustelle mit Strom liefen den ganzen Tag über Notstromaggregate. Bei den Aggregaten handelte es sich um leistungsstarke, mit Wasser gekühlte Dieselmotoren, die den gesamten Arbeitstag mit voller Leistung liefen. Kraftstoff sparen brauchte man nicht, den gab es in diesem Land im Überfluss und zu geringsten Preisen. Eine Limo oder Cola an der Straßenecke kostete das Fünffache eines Liters Benzin oder Diesel.
Von Zeit zu Zeit kam ein Tankwagen unserer Firma auf die Baustelle, der unsere Tankfässer vor Ort befüllte. Der Fahrer betreute alle Baustellen im Irak und hatte gut zu tun.
Wir montierten auf der Baustelle Leichtbauhallen und ich wurde der Dachkolonne zugeteilt. Wie ich später erfuhr, war das die unbeliebteste Arbeit unter den Monteuren. Bereits wenige Tage später konnte ich das nachvollziehen.
Ich bekam die Hitze aus erster Hand, und die war so gewaltig, dass man selbst die kleinste Schraube nur mit Arbeitshandschuhen anfassen konnte. Die Monteure am Boden stöhnten bereits bei dieser Hitze, aber auf dem Dach war sie noch wesentlich gnadenloser, denn die Dachplatten reflektierte die Sonneneinstrahlung und verstärkte sie ungemein.
Um die Temperatur zu testen, schlugen wir auf einer Dachplatte einmal ein Ei auf und siehe da, es wurde tatsächlich ein Spiegelei daraus.
Der Sonnenbrand war mein täglicher Begleiter und ich war froh, dass ich mich so reichlich mit Sonnenschutzmitteln und heilendem Panthenolspray versorgt hatte. Nur langsam gewöhnte ich mich an die sengende Hitze und an das gleißende Sonnenlicht.
Vernünftiger wäre es natürlich gewesen, in langer Arbeitskleidung zu arbeiten, aber das war mir lästig und unangenehm. Ich musste mir deshalb im Verlauf meiner Montagetätigkeit im Irak von unserem Tropenarzt so manche Standpauke gefallen lassen.
Für die Hilfsarbeiten hatte unsere Firma Ägypter, Bengalen oder Chinesen angemietet. Die kamen mit der Hitze besser zurecht als die deutschen Monteure, trugen lange Arbeitskleidung und darüber oft noch eine Weste oder eine zusätzliche Jacke.
Um den Flüssigkeitshaushalt stabil zu halten, trank ich an einem Arbeitstag bis zu acht Liter Wasser, Saft oder Cola. Doch je mehr man trank, umso größer wurde der Durst. Eine Alternative war der gekühlte Tee, der nicht so süß war, wie die von den Arabern überaus beliebte Cola.
Mittags wurde unsere Baustelle mit warmem Essen versorgt, welches etwa vierzig Kilometer von der Baustelle entfernt im Zentrallager gekocht und in Thermokübeln auf die Baustelle geliefert wurde.
Mein erstes Essen auf der Baustelle „Muthana“ waren weiße Bohnen mit Samunen, kleine, aus Weißbrotteig gebackene Brote, die wie deutsche Brötchen schmeckten. Kartoffeln waren zu dieser Jahreszeit ein Engpass und wenn es mal welche gab, dann waren sie sehr teuer. Da wir für das Essen pro Tag nur dreihundert Fils bezahlten, war es für den Koch gar nicht so einfach, kostendeckend und für alle zufriedenstellend zu kochen.
Das Rindfleisch war ebenfalls sehr teuer und kostete pro Kilogramm auf dem Basar drei Dinare und achthundert Fils, also mehr als ein Drittel des monatlichen Beitrages eines Kollegen. Es war deshalb nötig, dass die Monteure aus Deutschland Fleisch mitbrachten, um die Küche zu unterstützen. Und so gab es eine betriebliche Anweisung, dass erstens die Teilnahme am Mittagessen Pflicht war und zweitens jeder Kollege drei Kilogramm Fleisch mitzubringen hatte.
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