Ein Fall ist mir in besonderer Erinnerung geblieben, weil das Ende dieses Projektes sehr ungewöhnlich war. Dieser Fall zeigt, was seinerzeit damit erreicht werden konnte und ist irgendwie auch die gedankliche Grundlage für den Workshop „Selbstfürsorge zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit“, über den es noch im Detail zu sprechen gilt.
Es war ein Bewerbertraining für ältere Langzeitarbeitslose in Chemnitz. Ich hatte die etwa zwanzig Teilnehmer vorher über die Inhalte und Struktur der Seminararbeit informiert und auch die SozialMethodik erwähnt.
Einer der Teilnehmer – nennen wir ihn mal Meier –, ein recht korpulenter Herr, machte immer wieder blöde Bemerkungen, wegwerfende Handbewegungen oder versuchte meine Ausführungen mit angeblichen anderen Erfahrungen zu widerlegen. Irgendwann reichte es mir und ich fragte ihn direkt: „Herr Meier, würden Sie sich einstellen?“ Er schaute mich verdutzt an und sagte: „Nein!“
Ich fragte einen anderen Teilnehmer: „Würden Sie Herrn Meier einstellen?“ Die Antwort lautete: „Nein, der sieht nicht gerade arbeitsfähig aus.“
Der Betroffene gab merkwürdige Laute von sich, die wohl bedeuten sollten: „Der spinnt ja!“
Insgesamt fragte ich mehr als zehn Teilnehmer und die Antworten waren in etwa: „Der meckert doch nur rum!“, „Kein Wunder, dass ihm die Frau weggelaufen ist!“, „Der weiß eh alles immer besser!“, „Er hält sich für den Größten!“, „Der kritisiert alle, kann aber selbst keine Kritik vertragen!“
Ich hatte das Gefühl, dass Herrn Meiers Teilnehmerkollegen froh waren, endlich mal Dampf über diesen Querkopf ablassen zu können. Jedenfalls wollte ihm keiner – selbst wenn es möglich gewesen wäre – einen Job geben.
„Tja“, sagte ich zu ihm, „jetzt wissen Sie ja so ungefähr, warum Sie keine Arbeit finden. Scheint wohl doch nicht an den Unternehmen zu liegen, die Ihnen keine Chance geben wollen …“ Und weiter: „Was halten Sie von einem SozioUnternehmen, einem Projekt, um Ihre Arbeitslosigkeit zu beenden?“
„Wenn Sie mich unbedingt vorführen wollen“, antwortete Herr Meier. „Ich werde es überstehen.“
Schnell fanden sich fünf Teilnehmer, die damit begannen, dem Negaholiker „gnadenlos“ zu helfen.
Es würde den Rahmen meines Vortrages sprengen, die einzelnen Inhalte und den konkreten Ablauf des Projektes hier wiederzugeben. So genau habe ich es auch nicht mehr in Erinnerung. Ich möchte es daher nur kurz skizzieren:
Zunächst wurden die kritischen Sozialfaktoren und die möglichen Ursachen analysiert. Dann musste der Betroffene seine derzeitige Situation beschreiben und mit welchem Zustand er zufrieden wäre. Die Differenz war das mögliche Entwicklungspotenzial. Dann wurde besprochen, welche Chancen diese Krise barg und was zu tun war, damit der erwünschte Zustand erreicht werden konnte.
Einige Jahre nach dem Workshop traf ich in dem Dozentenzimmer einer Region einen Herrn, der mir bekannt vorkam. Es war Herr Meier. Es war ein ganz anderer Mensch, der da vor mir stand. Auf meine Frage, was er denn im Zimmer der Trainer mache, erwiderte er: „Ich bin jetzt Mitarbeiter in Ihrer Firma.“
Und dann erzählte er mir, dass dieses Projekt ihn damals ziemlich erschüttert hätte und er beschlossen habe, sich zu ändern. Ihm sei in dem Seminar klar geworden, wie schlimm es um ihn stand und dass er selbst schuld gewesen sei. Die Zusammenarbeit mit seinen hilfsbereiten Mitstreitern in dem Kurs hätte ihm Hoffnung gemacht, seinen Leidensdruck zu beenden. Er sei in den letzten zwei Jahren ein neuer Mensch geworden, und vor allem mache es ihm Spaß, Bewerbertrainings durchzuführen. „Mir macht keiner was vor. Ich kenne alle Tricks und Ausreden. Wenn ich es geschafft habe, dann kann es jeder.“ Diese Worte habe ich noch gut in Erinnerung.
Tja, so weit die Erfolgsgeschichte von Herrn Meier.
Es ist fast immer die gleiche Situation, ein ähnlicher Prozess. Zwischen einem Mangel (Leidensdruck) und einem Ziel (Hoffnung) befindet sich das Entwicklungspotenzial. Es sind die Aufgaben, die Maßnahmen, die für richtig erachteten Schritte, die uns erfolgreich, gesund oder attraktiv machen können.
Doch ohne Mangel bzw. Leidensdruck wird nichts erfolgen. Es gibt ja auch keinen Grund dafür, wenn alles akzeptiert wird, wie es ist. Und ohne Ziel, die Hoffnung auf bessere Zeiten, kann nichts erfolgen, denn man weiß ja gar nicht, wohin die Reise gehen soll, wofür man sich anstrengen muss!
Wenn diese beiden Voraussetzungen fehlen, kann eine Pattsituation entstehen, in der sich Führungskräfte und Mitarbeiter häufig befinden, sie sind sozusagen, was ihre notwendigen Aktivitäten angeht, neutralisiert.
Ich nenne es „das Pendel der Gleichgültigkeit“, denn beide, der Mangel und das Ziel, sind „gleich gültig“, haben die gleiche Priorität, nämlich keine. Sie paralysieren sich.
Weil Energie, wie das Modell zeigen soll, durch die Bewegung des Pendels zwischen Bedürfnis und Befriedigung entsteht, bedeutet Gleichgültigkeit, dass es nicht mehr schwingt.
Wenn wir nicht mehr richtig ticken, weil wir uns mit dem Mangel arrangiert haben und neue Ziele nicht für möglich halten, wenn also beide Seiten gleich gültig sind, dann steht das Pendel still, dann kann keine Kraft zum Tun entstehen.
Ohne den Willen, die bestehenden Mängel zu beseitigen – ohne Ziele –, ist alles „schlapp“. Das ist logisch. Es ist folgerichtig und auch erklärbar (wenn man die Logik kennt), wenn dann keine Erfolge eintreten – wenn nichts erfolg-t.
Noch ein Hinweis: Ob ein Ziel sinnvoll und erreichbar ist, ergibt sich nicht unbedingt aus der Zielbeschreibung, sondern aus den dafür notwendigen Maßnahmen. Wir können hehre Ziele haben, doch entscheidend ist der Weg zum Ziel. Das meint das Sprichwort: „Der Weg ist das Ziel!“
Noch einmal zurück zu den Krisen, die uns schmerzhaft dazu zwingen, eine Anpassung an die veränderten Realitäten vorzunehmen.
Wahrscheinlich befinden sich ständig zwei Drittel aller Unternehmen in Deutschland in irgendeiner Krise. Sei es in einer Ertragskrise oder in einer Absatzkrise; vielleicht kriselt es in der Führungsebene oder es bahnt sich eine finanzielle Krise an, weil die Bank die Kreditlinie nicht erweitern will (was bei der momentanen Situation der Banken nicht wundert). Es können aber auch die typischen personellen Krisen sein, die es zu bewältigen gilt, oder Probleme im Bereich Entwicklung, Marketing, Controlling oder Produktion, weil man nicht rechtzeitig Schwachstellen erkannt hat. Kriseln kann es letztlich überall!
Krisen gehören also zum Alltag des unternehmerischen Daseins und stellen alle Mitarbeiter vor ständig neue Herausforderungen. Und weil – wie schon Schiller sagte – der Mensch mit seinen höheren Zwecken wächst, sind Krisen an und für sich nichts Schlimmes. Im Gegenteil, sie fordern uns heraus und ermöglichen Wachstum.
Ein Teilnehmer: Wenn ich Sie so höre, dann könnte man meinen, wir sollten für jede Krise dankbar sein. Also, ich hatte schon Krisen, auf die hätte ich gerne verzichtet.
Antwort: Wenn man Krisen grob unterteilt, dann gibt es plötzlich eintretende Krisen, die unser privates und berufliches Leben entscheidend beeinflussen und durcheinanderbringen, wie z. B. plötzliche Erkrankungen oder der Tod eines nahen Verwandten. Im Berufsleben ist es die überraschende Kündigung oder wenn der wichtigste Kunde nicht mehr bei uns kauft.
Auf solche Ereignisse kann man wahrlich verzichten, doch es ist Fakt, dass wir auch dabei neue Erfahrungen machen, je nachdem, wie wir das dramatische Ereignis bewerten und damit umgehen.
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