Gerd Mjøen Brantenberg
Erste Phase
Der 1. Tag –
Ball an die Wand
Ich kann es nicht ab, wenn Leute aufhören zu rauchen. Das Rauchen hat so etwas Gemütliches an sich. Und die Leute, die es tun, auch. Etwas Behagliches, Entspanntes und irgendwie Dekadentes. Dieses Ziellose, gerade dieses Ziellose, wenn man so dasitzt und den Rauch ausstößt, finde ich angenehm.
Und ich kann die Leute nicht ab, die gegen das Rauchen – und die Raucherinnen – hetzen und gegen zu viel Qualm in der Kneipe. Dieses ewige Gejammer. So ein bißchen Rauch müssen die ja wohl ertragen können. Ich finde das unsinnig, langweilig, absolut ungemütlich und phantasielos. Phantasie, oh ja! Genau die fehlt den Nichtrauchern.
Und wenn ich etwas kurzatmiger werde, macht das auch nichts. Was soll ich denn mit so viel Kondition?
Ich habe das Gefühl, daß mein gesamtes Wesen in dem Rauch liegt, der bläulich zur Decke steigt. Alles, was ich bin und was ich denke, liegt darin – im langsamen Tanz des Rauches von der Zigarette und den Lippen. Es ist in der Glut. Eine wunderschöne Glut, die aufglimmt, wenn es dunkel ist. Du kannst die Zigarette zwischen den Fingern halten, sie leicht drehen und die Glut betrachten, von der der Rauch sich hinaufwindet. Ab und zu kannst du am anderen Ende ziehen und den Rauch in den Mund saugen.
Du kannst dich vollkommen dieser Betätigung widmen, was anderes mußt du nicht tun. Nur die Zigarette anschauen und ihren Rauch einziehen – und denken. Manchmal kannst du gleichzeitig reden. Mit anderen, die auf die gleiche Art und Weise mit genauso einer schönen Glut dasitzen.
Also: Deshalb habe ich mich ganz sicher nicht entschieden, aufzuhören zu rauchen. Ganz im Gegenteil. Ich habe nur heute noch keine geraucht. Aber ich habe nicht daran gedacht, aufzuhören. Andersrum. Wann immer ich will, kann ich mir eine anstecken. Ha! Ich muß es nur tun – Tabak und Blättchen liegen da hinten auf dem Nachttisch. Irgendetwas hält mich zurück. Nicht, daß ich unbedingt aufhören muß zu rauchen. Warum sollte ich das, wo das Leben im großen und ganzen sowieso für’n Arsch ist? Nein, das ist es nicht. Es ist was anderes, was mich zurückhält.
Ich habe keine Lust, daran zu denken, daß ich mit dem Rauchen aufhören soll. Vor allem nicht jetzt. Es ist eben nur etwas, das ich gerade jetzt tu. Ich will nicht aufhören. Rauchen ist Wohlbefinden. Rauchen ist ein gutes Buch und ein bequemer Sessel. Rauchen ist ein leiser Flirt. Rauchen ist ein hitziger Streit. Rauchen ist Freizeit. Rauchen ist das, was du tust, wenn du aufhörst, das zu tun, was du mußt, und damit anfängst, das zu tun, was du willst. Der Lebensfunke. Das ist es, was Rauchen ausmacht. Natürlich verpeste ich die Luft für die NichtraucherInnen. Und das ist es ja auch, was die Nichtraucher so ungemütlich macht. Leute, die bei Veranstaltungen Rauchverbot fordern, sind das schlimmste, was ich kenne. Ich könnte es bleibenlassen, aufzuhören, nur aus Angst, so wie die zu werden. Ja, das könnte ich. Ich habe keinerlei Ambitionen in der Richtung, eine Nichtraucherin zu werden.
Nein, es hat einen ganz anderen Grund, daß ich es mir verkneife, mir jetzt eine zu drehen. Einen Grund. Dieser Satz. Der Satz, der die ganze Zeit in meinem Kopf hämmert. Nur jetzt nicht. Ich hab solche Lust auf einen Zug. Nur jetzt nicht. Ich hab solche Lust auf einen Zug. Jetzt nicht. Einen Zug. Nicht. Lust. Jetzt nicht. Jetzt nicht. Nur jetzt nicht. Nur jetzt nicht.
Seit neunzehn Jahren habe ich jeden Tag geraucht. Ich weiß nicht, wieviel ich am Tag rauche. Ich drehe die Zigaretten und will es nicht ausrechnen. Aber ein Päckchen reicht keine zwei Tage. Vor langer Zeit, als ich etwas weniger rauchte, habe ich einmal ausgerechnet, daß ich 65 dünne Zigaretten aus so einer Packung herausbekomme. Aber ich weiß nicht, ob das noch hinkommt. Wenn mich jemand fragt, wieviel ich rauche, antworte ich, daß ich es nicht weiß, sehe zur Decke und tu so, als ob ich die Frage schon vergessen hätte.
Es gab ein paar Tage im Laufe dieser 19 Jahre, an denen ich nicht geraucht habe. Das war, als ich mich bei Windstärke neun und mehr auf dem Skagerrak befand. Aber es war selten, daß mir so schlecht war, daß ich es nicht trotzdem geschafft hätte zu rauchen.
Ich habe nie versucht aufzuhören. Niemals. Wollte nie. Heute habe ich mich gefragt, warum ich eigentlich anfing. Ich habe gedacht: Es gab ja mal eine Zeit, eine Zeit, die lange her ist, in der es einen Menschen gab, der ich war, die Nichtraucherin. Warum fing ich, die Nichtraucherin, an zu rauchen?
Ich war 16 Jahre alt, ging auf’s Gymnasium. Es war ein traditionsreiches Gymnasium »An der Fährstation am Ufer des Glomma«, wie es in einem der vielen Lieder heißt, die die Stadt und das Gymnasium preisen. Die Gelbe Anstalt. Als wir anfingen, an den Samstagabenden in die »Gymnasiastenvereinigung Vorwärts« zu gehen, rauchte nur eines der Mädchen in unserer Klasse. Inger Mette Jakobsen. Wir fanden, daß das sehr spannend und erwachsen aussah. Nach und nach, im Laufe des ersten Schuljahres, fingen die meisten von uns auch an zu rauchen. Wenn ich an den Samstagabenden im »Vorwärts« saß, war ich permanent nervös. Aber ich fing nicht an zu rauchen, weil ich nervös war. Ich glaube nicht, daß ich auf den Gedanken kam, daß diese Form der Aktivität mir dabei helfen würde. Nein, ich fing an zu rauchen, weil das toll aussah. Und toll soll heißen, daß du dasaßt und kapiertest, was in der »Gymnasiastenvereinigung Vorwärts« vor sich ging. Das bedeutete, daß du erwachsen wurdest. Erwachsen und damenhaft. Rauchen paßte zu hochhackigen Schuhen, Lippenstift und zu der Miene, die du aufsetzen solltest, wenn du ausgingst. So wie Inger Mette Jakobsen. Das paßte zu der Aufmerksamkeit, die die nun plötzlich wie Herren gekleideten Jungen dir widmeten. Eine schnell gezückte Flamme von einem dunkelblauen Jackenärmel, bevor du selbst Feuer finden konntest. Schneller Blick in die Augen. Oh, danke! Ein kurzes Lächeln. Machte er sich etwas aus dir? Das Kinn hoch und den Rauch ausgestoßen. Auf jeden Fall sollte er nicht denken, daß du nur darauf gewartet hattest.
Es paßte zu dem intellektuellen Niveau, das die Gespräche bekamen, und zu all den Fremdwörtern. Es war einfacher, mit der Zigarette in der Hand über die Witze zu lachen, die über dir unbekannte Fremdwörter gemacht wurden. Fast alle in der Klasse über uns rauchten. Einige der großen Jungen, die die meisten Fremdwörter kannten, rauchten ab und zu Pfeife. So bekamen sie eher Recht mit dem, was sie sagten.
Ich glaube, so fing es an. Alle meine übrigen Aktivitäten wurden mit der Zeit hoffnungslos kindisch. Es blieb nicht mehr so furchtbar viel übrig, was ich tun konnte, als ich anfing, damenhaft zu sein. Äpfelklauen, Bäumeklettern, Fußballspielen, Völkerball, sich im Dunkeln verstecken, Schlittschuhlaufen, auf die Dächer klettern, in den Lagerhäusern am Hafen herumschnüffeln – alles, womit ich mich, seit ich vierzehn war, vergnügt hatte, war kindisch. Außer den Wörtern. Sie waren das einzige, was übrig geblieben war von allem, was mein Leben ausgemacht hatte. Wir hatten ein Blumenbeet im Garten. Selbst das war hoffnungslos kindisch.
Als Ersatz für all das bekam ich die Zigarette. Wörter und Zigaretten. Große Wörter und kleine Wörter. Lange merkwürdige Wörter und kleine leichte. Wörter, mit denen du Versteck und Kriegen spieltest, damit die großen Jungen dich nicht ticken konnten. Wörter, mit denen du jongliertest, um dich darzustellen. Wörter, über die du lachen konntest. Wörter, mit denen du dachtest. Du bist jetzt erwachsen geworden. Du hast da mit deinen Perlonstrümpfen gesessen, die nicht zerreißen durften, und deinen hochhackigen Schuhen, die nicht für’s Gehen geeignet waren, und das einzige, womit du spielen konntest, waren Wörter.
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