Em war das Wochenende vor dem 8. März mit der kleinen Nichte Charlotte und der alten Freundin Alice B. Thorsen hier oben und hat sich in jemand anders verliebt. Das fand ich eine Schweinerei. Ich saß da, rauchte und trank und dachte an diejenige, in die Em sich verliebt hatte und fand es eine Sauerei. Das war das Wochenende, an dem wir abmachten, daß es wohl nicht mehr geht.
Das ist so was mit der Liebe. Was Verrücktes. Ich glaube, ich habe mich durch die Liebe geraucht und getrunken. Wenn sie kam und ging, immer ein Grund, Gift zu nehmen. Ich glaube fast, unsere ganze Kultur besteht daraus, daß wir uns durch die Liebe rauchen und trinken. Bedeutet mir Liebe so unnatürlich viel, weil ich eine Frau bin? Ich will es nicht akzeptieren, daß irgendetwas damit begründet wird, daß ich eine Frau bin. Aber so ist es nun mal. Die Liebe hat irgendwas. Etwas, um hin und her zu reisen, sich danach zu verhalten, sein ganzes Leben danach zu richten. Wir ziehen nicht dorthin, wo wir einen Job bekommen, wir ziehen dorthin, wo wir Liebe bekommen. Dorthin jedenfalls, wo wir es hoffen. Und es muß immer geraucht und getrunken werden, wenn geliebt wird, und wenn Schluß mit der Liebe ist, tun wir ja auch nicht gerade viel anderes, als zu rauchen und zu trinken. Denn es sind Frauen, mit denen es gemacht wird. Ein kleiner Drink, ein verliebter Zug. Ich liebe dich. Ein richtiger Streit, 40 Zigaretten am Tag. Ich liebe jemand anders. Glück, das kommt, Glück, das geht, eine Zigarette, ein Drink immer besteht!
Nein, das ist nicht lustig. Ich fand auch nicht, daß es lustig war, mir ging es schlecht, und am 7. März erreichte ich den Tiefpunkt. Mit Em und allem. Den einen oder anderen Tiefpunkt. Das passiert einfach. Ein Moment in einer Beziehung, in dem du genau weißt , jetzt ist der Tiefpunkt erreicht. Du hast den gleichen Tiefpunkt schon häufiger vorher erreicht. Aber du hast deine Grenzen, die schon zu oft überschritten worden sind. Jetzt mußt du dich zusammenreißen. Jetzt muß Schluß damit sein. Schluß. Schluß. Doch du hältst nicht mal den Gedanken aus. Also geht es trotzdem weiter.
Heute haben wir miteinander telefoniert, und ich sagte, daß ich am Wochenende doch nicht nach Kopenhagen käme. Ich hatte an der Fähre gesagt, daß ich käme, weil ich mir nicht vorstellen konnte, daß wir uns so lange nicht sehen sollten. Ich kann unsere Abschiede nie aushalten. Aus mir wird ein Stück herausgerissen. Hinterher füge ich mich mühsam wieder zusammen. Erst nach einigen Tagen schaffe ich es, vernünftige Dinge zu tun. Em hatte vergessen, daß ich gesagt hatte, ich wolle kommen.
Ich möchte nicht erzählen, daß ich nicht mehr rauche. Em macht meine Dinge zu den eigenen. Erzählt mir, was ich erlebe. Dann vergesse ich, was ich eigentlich erlebt habe, denn was Em sagt, ist nicht ganz falsch, es ist fast ganz richtig. Ja, manchmal sogar richtiger und klarer als das, was ich mir selbst hätte denken können. Aber es wird trotzdem falsch. Denn dann denke ich ja sozusagen meine eigenen Angelegenheiten in der Art, wie Em über sie denkt. Und seit ich zu diesem Ergebnis gekommen bin, ist mir fast unangenehm klar, was ich erlebe. Es ist, als seien die Erlebnisse physisch nah, wie die Sinne, unbestreitbar da, sie können nicht verschwinden und niemand kann kommen und darauf bestehen, daß sie nicht da seien. Ich sehe mich nicht von außen durch die Betrachtungen eines anderen Menschen über mich. Ich bin in mir drin, da sitze ich und blicke in die Welt.
Als wir miteinander telefonierten, hatte ich Angst, daß Em mein Erlebnis »davon« auch wieder für mich interpretieren würde.
Das durfte nicht geschehen. Ich wußte, wenn das passierte, konnte ich genausogut wieder anfangen zu rauchen. Nicht zu rauchen, gibt mir ein neues Gefühl, ich zu sein. Wenn ich zu Em sage »Ich rauche nicht mehr«, verliere ich es vielleicht wieder. Ich hatte Angst, stand mit dem Hörer in der Hand da, hatte Angst und wollte nicht sagen »Ich rauche nicht mehr«, aber Em schafft es immer, alles aus mir rauszukriegen, ich kann nichts verheimlichen, ich kann sowieso schlecht etwas verbergen, und das ist häufig ein echtes Handicap; wenn mir die Dinge nicht im Gesicht geschrieben stehen oder mit der Stimme hervorpurzeln, können die Leute es dennoch wie Saft aus mir herauspressen, und deshalb schaffte ich es nicht, ich sagte ziemlich schroff »Ich rauche nicht mehr«, ganz sachlich und emotionslos, »Ich habe seit Mittwoch nicht mehr geraucht«, war kurzangebunden und sagte tschüs.
Es ist etwas mit unserer Beziehung passiert. Nein, nicht direkt mit unserer Beziehung, sondern mit meiner Beziehung zu unserer Beziehung. Ich kann sie beiseite schieben. Ich kann Ems Gedanken aus meinen Gedanken entfernen. Zum ersten Mal schaffe ich das. Sonst waren sie immer dagewesen, mal schwächer, mal stärker, aber solange es die Beziehung gab, waren sie immer da. Seit Mittwoch habe ich nicht daran gedacht. Seit Mittwoch habe ich nicht daran gedacht, was Em wohl denkt. Seit Mittwoch habe ich an nichts anderes gedacht als an jede einzelne der ca. 120 Zigaretten, die ich seit Dienstag nicht geraucht habe.
Ich faulenze und lese Simone de Beauvoirs Autobiografie. Und endlich – S. 269 (Penguin Ausgabe) – kriegt sie ihren ersten Alkohol. Gleich um die Ecke gibt’s dort genug Liebe.
Die Uhr ist 10 nach 5, und ich muß die Straßenbahn kriegen. Ein Treffen mit einer Osterseminargruppe findet statt. Über Ostern wollen wir die Strategie der Frauenbewegung diskutieren.
Rauchen, rauchen, rauchen. Die Abende sind am schlimmsten. Wenn ich nach Hause komme. Dann bräuchte ich ja nur eine zu nehmen, den Rauch einzuziehen. Ich habe den ganzen Schrank voll. Direkt da hinten. Die Streichhölzer liegen genau vor meiner Nase. Ich muß es nur tun. Ganz einfach. Warum mache ich es nicht? Wieso in aller Welt komme ich dazu, mich auf sowas einzulassen? Ich, die nie daran gedacht hat aufzuhören. Ich, die ich mich unverdrossen bis zum letzten hartnäckigen rauchgeschwängerten Atemzug durch’s Leben rauchen wollte. Wie konnte ich nur auf sowas kommen?
Aber eigentlich war gar nicht ich es, die die Idee hatte. Es war an diesem schlimmen Wochenende, das ich am liebsten vergessen möchte, an dem es mit Em aus war und wir trotzdem nicht schafften, Schluß zu machen. Sonntag, der 6. März. Es war ein so strahlender Sonnentag, wie es ihn nur gibt, wenn du wirklich unglücklich bist. März, Neuschnee und weiche Loipen, in denen du nicht läufst. Em und Alice B. Thorsen nahmen die kleine Charlotte mit zum Linderudkollen, und ich konnte nur zu Hause sitzen und traurig sein. Ich saß zu Hause hinter den Scheiben und haßte die, mit der Em jetzt zusammen sein wollte, und ich haßte auch Em – und mich selbst, und das war fast am schlimmsten. Sogar Alice B. Thorsen, die immer nett und freundlich zu mir ist, haßte ich ein wenig, weil sie mit zum Linderudkollen war, während ich hier saß und sie alle und mich haßte.
Ich kann mir definitiv keinen typischeren Fall einer friedlichen Situation ohne jeden Gedanken an eine Gefahr denken, als diesen. Unfrieden und Gefahr herrschten derartig in mir vor, daß es unmöglich war, sich vorzustellen, daß irgendeine andere Gefahr oder unfriedliche Aktion in Gang sein könnten. Ich habe Lebenskünstler sagen hören: Ein Unglück kommt selten allein. Ich selbst bin ein Lebenstollpatsch und konnte nie mehr als ein Unglück zur Zeit ertragen. Deshalb weiß ich nicht, ob ich an diese Art Kettenreaktion glauben soll, aber das könnte der Grund gewesen sein, es jetzt zu tun, denn Greta kam zu mir in die Küche und fragte:
»Sollen wir aufhören zu rauchen, Gertrude?«
»Ja«.
Das war ich, die letzteres sagte. »Ja«, sagte ich. Und ich bin ein ehrlicher Mensch. Ich sage »Ja« nicht bloß so auf blauen Dunst, wenn ich nein meine. Den großen und entscheidenden Fragen des Lebens gegenüber versuche ich immer so ehrlich wie möglich zu sein und sage »Vielleicht«.
Читать дальше